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Es war für mich die unangenehmste Erfahrung beim Laufen, die ich sammeln durfte und aus gutem Grund nicht missen möchte. Ich wohnte damals noch im Studentenwohnheim, es muss also im Jahre 2004 gewesen sein, als ich mich wie jeden Morgen zu einem Lauf aufraffte. Ich zähle mich zu den Läufern der Auf-leeren-Magen-Schule und seit jenem verhängnisvollen Lauf setze ich zusätzlich auf geleerte Därme, denn Restkot kann zu einem unangenehmen Laufbegleiter werden wie an jenem Sommertag.

Als ich mich ausgerechnet auch noch dazu entschlossen hatte, möglichst weit zu laufen. Münsteraner kennen die „Bettentürme“, die bald in neuem Glanz erscheinen. Da ging es schon los, als ich dieses passierte; diverse Flatulenzen brachen sich Bahn, was mitnichten dieselbe Wirkung wie Rückenwind beim Laufen entfaltet. Ich dachte mir noch nichts dabei.

Wenige Minuten später wurde ich zumindest nachdenklich, denn ich verspürte den Drang abzuführen. Nun ist es ja nicht so, als hätte man das nicht unter Kontrolle, doch man unterschätzt die Dringlichkeit, wenn es sich beim Laufen anbahnt. Ich vergleiche es mit einem Sack Zement, der einem da im Darm liegt: Mit jedem weiteren Laufschritt und dank der Schwerkraft drückt sich dieser immer komprimierter gen Erdboden. Doch vor dem Erdboben ist noch der eigene Schließmuskel, auf den ungeahnte Schwerstarbeit zukommen sollte, als ich die ersten tönenden Warnungen meines Verdauungssystems nicht ernstnahm. Denn nur wenige weitere Kilometer später war für mich in kristallklarer Deutlichkeit unverkennbar: Du brauchst einen Baum oder ein Gebüsch oder am besten ein Klo. Wäre ich abgeschieden in einem Wald gewesen: kein Thema, Tempos habe ich immer dabei. Mitten in der Stadt: Kein Ding, irgendwo lässt man mich schon die Toilette benutzen. Ich befand mich allerdings in einer Zwischenwelt, ausgemacht von belebten Straßen und Fußgängern, aber ohne irgendwelche Etablissements oder Büschen.

Es ist schwierig herüberzubringen, wie es mir damals ging. Was erst lustig mit Blähungen begann, mutierte zu einem wirklich sehr schmerzhaften Gefühl, das mit Panik einherging: Wie lange kann ich dem Druck noch standhalten? Natürlich lief ich nicht mehr, ich ging; eierte vielmehr, da ich, um den Schließmuskel bei seiner Mammutaufgabe zu unterstützen, alles zusammenkniff, was ich nur zusammenkneifen konnte. Mein erster Plan war, in einen Bus zu steigen, der mich schnell nach Hause bringt. Ich müsste dem Busfahrer nur klarmachen, warum ich schwarzfahren muss („Einstieg nur vorn“). Allerdings hatte ich die schlichte Sorge, in den Bus kacken zu müssen. Nochmal: Man hat keinerlei Kontrolle mehr. Nie hab‘ ich mir sehnlicher eine Toilette herbeigewünscht!

Ich ging weiter. Panische Blicke nach rechts und links. Doch in das kleine Gebüsch?! Keine Chance, jeder könnte mir dabei zusehen. Außerdem: Wie kackt man im Hocken? War damals schon lange nicht mehr in die Verlegenheit gekommen. Unfassbare Schmerzen, heulende Panik, das nächste potenzielle Klo weit weg: das vom Institut der Soziologie meiner Alma Mater. Das müsste gehen. Aber … zu weit weg. Das schaff ich nicht.

Die Lösung kam näher und völlig überraschend: das „Franz-Hitze-Haus“, eine Einrichtung für kulturelle, politische, gesellschaftliche usw. Begegnung. Hatte da mal ein Blockseminar. Die müssen mich reinlassen. Ich erreichte es (kurz vorm Aasee) und der Pförtner sah mir meine Not an, als ich um die Toilettenbenutzung bat. Ich kannte mich ja aus, saß schnell am Ziel und etwas Ungewöhnliches geschah: Ich konnte nicht. Ich konnte trotz des denkbar massivsten Kackdranges nicht kacken.

Nach einigen Minuten gab ich auf und verließ die „Akademie“. Ich lief sogar wieder einige Schritte. Angstschweißgebadet. Doch das war ein vorhersehbarer Fehler: Der Drang war zurück! Vergangene Szenen wiederholten sich. Und auch das Soziologie-Institut war nun in Reichweite. Während ich meine biologischen Vorgänge verfluche, die ja nun wirklich widersinnig waren, erlebe ich die böse Überrschung, dass das Institut am Sonntag geschlossen hat. Ich denke ernsthaft über einen Einbruch nach, verwerfe den Gedanken, denn nun besteht die Möglichkeit, es bis nach Hause zu schaffen. Und das gelang auch nach längerer Zeit, weil ich mich wieder aufs Gehen verlagerte.

Und so komme ich zuhause an, stelle fest, dass ich zwischen Präsenz (historisches!) und (Im-)Perfekt nach Gutdünken wechsle, und setze mich auf mein eigenes Klo. Und es war schön. Und ich habe meine Lehren daraus gezogen.

Wer von Euch Läufern, die ich ja unter meinen Lesern tatsächlich habe, hat ähnliche Erfahrungen machen dürfen? Freue mich über etwaige Kommentare!