bart

Vor einigen Jahrzehnten galten Bartträger als Friedensengel. Nein, als Hippies, Freunde des Friedens aber auf jeden Fall. Das hat sich dramatisch geändert, wie ich nach zehn Monaten des Mannessymboltragens bilanzieren kann. Wo ich hinkomme, ist die erste Frage, ob ich demnächst aufbräche in ein Terrorcamp. Bart steht nun für Tod und Verderben. Ich werfe das niemandem vor, ich wäre der erste, der diesen naheliegenden und leicht billigen Scherz machen würde. Tod und Verderben allerdings liegen mir fern, auch wenn das heutige Datum an die „Bewegung des 2. Junis“ erinnert.

Ich höre daneben auch immer davon, dass momentan offenbar so ziemlich jeder Mann, der über Bartwuchs verfügt, Bart trägt, da es nun mal „in“ sei. Gerne werde ich mit der Hippster-Bewegung in Verbindung gebracht, was natürlich Quatsch ist, da mehr als nur ein hipper Bart jemanden zu einem Hipster macht. Zumal ich gelegentlich mit der Bewegung der Spießer in Verbindung gebracht werde, was sich natürlich völlig widerspricht, obwohl ich der Meinung bin, dass gerade die, die überall Spießer ausmachen, selber welche sind, da sie sich krampfhaft abzugrenzen versuchen. Das ist ein anderes Thema und mir auch völlig egal.

Ich bin also ein Hipster mit Flugticket in ein Terrorcamp. Frage mich gerade, was Geheimdienste nun zu tun gedenken, denn die scannen das seppolog auf jeden Fall. Rasterfahndung, der Hippster steht unter Generalverdacht.

Wenn Bart also wieder „in“ ist, dann war er es wohl zwischenzeitlich nicht mehr. Das habe ich gar nicht mitbekommen, auch wenn es medial zeitweise vermittelt wird. Was sich aber verändert hat, ist das reichhaltige Pflegeangebot für den Bärtigen. Man muss uns nur vermitteln, dass es Produkts im Bart bedarf, dann wird aus einem Bedürfnis ein Bedarf. Das klappt bei mir immer wunderbar, woraus ich auch keinen Hehl mache. So war es in den Siebzigern – Hippies! – für Männer undenkbar, ein Deodorant zu benutzen. Ich selber nutze ein äußerst aggressives, das aber tatsächlich jede Schweißbildung unterbindet -, aber in der Regel führen die doch nur dazu, dass sich der Schweißgeruch mit einem anderen vermischt, was es nicht besser macht. Genauso wie bei Faltencremes: Natürlich gibt es caine, die wirklich Faltenbildung vereitelt, denn wenn das so wäre: würde man diese Eigenschaft dem Produkt nicht mehr werbend zuschreiben, so wie man bei einem Zündholz inzwischen nicht mehr dazu sagen muss, dass es entflammbar ist, denn wir haben uns alle davon überzeugen können. Ein Auto wird nicht damit beworben, dass es fährt, denn auch das wissen wir. Bei Faltencremes muss die Werbeindustrie aber dazu sagen, dass sie die Haut straffen. Weil wir es eigentlich besser wissen. So wird aber aus einem Bedürfnis ein Bedarf, womit wir uns in die Gefilde der Makro- oder Mikroökonomie begeben. Eben auf diese Weise hat man den Männern in den Achtzigern das Gefühl gegeben, dass auch sie ein Deo unbedingt brauchen. Heute ist es selbstverständlich. Dr. med. Raulin lässt grüßen.

Bartpflegeprodukte sind wahnsinnig teuer. Hier soll der Preis natürlich mehr als nur den eigentlichen Rohstoff-Wert signalisieren. Und auch das funktioniert bei mir reibungslos:

pflege

Meine Mitbewohnerin war so freundlich, ob der überproportional steigenden Masse an Bartpflegeprodukten ein Regal zu räumen. Wo früher lediglich mein Deo und mein Parfum standen, tummeln sich nun sieben Pomaden in unterschiedlichen Härtegeraden und diversen Glanz-Faktoren in den Duftrichtungen Kiefer, Kaugummi, Zitrone, und undefinierbar, aber gut. Dazu kommen neben Bartölen (gleiche Duftrichtungen) noch Bart-Balsam, Bart-Tonics und drei Bartshampoos.

Keine Frage, das ist natürlich übertrieben. Zumindest in der Menge, denn tatsächlich befriedigen sie alle einen Bedarf: Und weil ich es keinesfalls vergessen darf, fange ich mit dem Bartöl an. Meine Mitbewohnerin ist keine Freundin meines Bartes, was in sofern ein Problem ist, da wir mehr miteinander tun, als nur miteinander zu wohnen. Wenn es also taktil zwischen uns wird, unbedingt Bartöl auftragen, weil es sonst unangenehm piekst. Ich kann das in Maßen nachfühlen. Bartöl macht den Bart weich. Und alle anderen ihm zugeschriebenen Eigenschaften sind mir eigentlich egal. Haar und Haut würden auch gepflegt und so weiter. Möglich.

Bartshampoo. Man könnte meinen, ein Haarshampoo reiche auch. Tut’s aber tatsächlich nicht, denn die Pomade kriegt man mit einem herkömmlichen Shampoo nicht raus. Eine fettige Masse, die sich den meisten Produkten erfolgreich widersetzt. Und ich hasse es, abends noch das Zeug im Bart zu haben, weil man ständig reinfasst und die Freundin nicht mehr. Es klebt irgendwann auch am Hemdkragen. Daher Bartshampoo, das es auch in Seifenform gibt. Kann ich nur empfehlen, ist am effektivsten und dem Bartshampoo überlegen. Kostet nur rund zwanzig Euro. Das ist eben das Problem, reicht aber für zwei Monate etwa.

Bartbalsam? Keine Ahnung, ist wie Bartöl nur in fester Form. Ich wollte es ausprobieren. Kommentar meiner Mitbewohnerin: „Riecht nach Oma“. Damit ist das Balsam raus, denn wenigstens würde ich nach Opa riechen wollen. Was sind diese Bart-Tonics? Ich hab nicht den leistesten Schimmer (blasse Ahnung?). Anderes Wort für Öl. Effekt ist derselbe, klingt vielleicht cooler. Öl und Tonic sind mit Abstand die teuersten Produkte, seien aber auch von Hand abgefüllt! Na dann zahle ich gerne drauf!

Die größte Gefahr lauert aber in Ungeschick: Ich warte auf den Tag, an dem ich mit einer unkontrollierten Wischbewegung (bei Wischbewegung denkt man inzwischen eher an Touchscreens als an die wischende Hand) Teile meiner Sammlung gen Boden werfe. Hätte es dann mit einer unsympatschischen Massierung von Ölen und Pomaden zu tun, die vom Boden zu entfernen eine Herkulesaufgabe werden würde. Wenn es passiert, gibt es Bedarf an Reinungsmitteln.