Changeroom

Diese Zeilen schreibe ich via Handy vor einer Umkleidekabine. Wir haben also ausreichend Zeit, fürchte ich. Das Smartphone ist des Mannes bester Freund nicht nur auf der Toilette, sondern auch dann, wenn er mit einer Dame shoppen geht. Rechts neben mir sitzt ein Typ, der wesentlich genervter ist, als ich es bin. Ich stehe aber auch erst am Anfang eines möglicherweise langen Trips. Er sollte sich einen Blog bauen und über sein Schicksal schreiben. Schreiben hilft. Es rausschreien!

Shoppen mit der Mitbewohnerin ist nicht per se eine unangenehme Sache. Ich verstehe nur so viele Dinge nicht. Anders als ich weiß sie anfänglich genau, was sie braucht. Sagen wir mal, ein Top. Ist was für oben rum. Ich nehme schon einmal vorweg: Genau das wird sie nicht finden, dafür andere Dinge, von denen ich nicht mal weiß, was es für Kleidungsstücke sind. Wenn wir so zwischen den Ständern und Regalen umherschlawingern, zeigt sie mir öfter das ein oder andere Textil und fragt mich „Wie wäre das?“. In den meisten Fällen weiß ich dann gar nicht, was es überhaupt ist. Ein Kleidchen? Ein Top? Oder doch ’ne Hose?! Die Vorgaben der Modeindustrie machen es aus meiner Sicht den Damen auch nicht unbedingt leicht. Bei Männern hingegen wird nur zwischen Hose und weitestgehend Hemd/Pullover unterschieden. Möglicherweise muss man es uns so einfach machen, damit wir überhaupt in der Lage sind zu kaufen.

Also, wäre das was für sie? Ich sage „Nimm’s mit in die Umkleide.“ Das ist überhaupt der Trick: das „Bitte nur 3 Teile mitnehmen“ ignorieren; ich nehme immer große Teile des Gesamtbestandes mit in die Umkleide, weil ich dann weiß, wenn ich sie verlasse, habe ich irgendwas auf jeden Fall gefunden.

Ich brauche heute eigentlich nichts. Doch während sie mit einer zunehmend sich verfinsternden Miene herumirrt und noch nichts in der Hand trägt, finde ich mehr, als ich tragen kann. Stand derzeit: fünf Hosen in drei Größen-Varianten. In der Regel passt mir „W32, L34“, ich nehme aber noch „W31, L32“ und „W32, L32“ mit. So habe ich also 15 Hosen bei mir und rebelliere damit eindeutig gegen „Bitte nur 3 Teile mitnehmen“. Das hat zwei Vorteile: Eine passt mit Sicherheit. Und zum anderen halte ich mir so Verkäufer fern, denn sie sehen ja, dass ich mich in die Textil-Materie eingearbeitet habe und eindeutig Kaufabsichten neben den 15 Hosen mit mir rumschleppe.

Exkurs: Bei „Jack and Jones“ in Düsseldorf-Bilk gibt es einen Verkäufer, der etwa zwei Meter fünfzig groß sein muss. „Jack and Jones“ ist mein Laden, allerdings tummeln sich dort auch die penetrantesten Verkäufer. Ich weiß, es ist ihr Job und sie sind angehalten, die Kunden zu belästigen. Da ich Menschenkontakt eher ablehne, ist der Einkauf dort für mich eine Therapiestunde, aber auch eine sportliche Herausforderung. „Danke, ich sehe mich um.“ sage ich schon beim Betreten des Ladens. Dann stehe ich da in der Umkleide mit dem schwarzen Vorhang, der nicht mit der Decke abschließt. Porbiere gedankenversunken eins meiner zwölf Hemden an, begutachte es und mich im Spiegel, als plötzlich aus dem Nichts eine dunkle Stimme fragt: „Passt’s?“ Im Spiegel sehe ich den zwei Meter sechzig großen Verkäufer, der gar nicht anders kann ob seiner Größe, als über den schwarzen Vorhang hinweg zu sehen. Ich bin ohnehin sehr schreckhaft, aber das war zuviel des Guten. Wie lange stand der da schon?! Hat er mir auch beim Popeln schon zugesehen? Wo hab‘ ich den Popel abgewischt?! Ich sage: „Danke, ich seh‘ mich um.“ und ignoriere ihn. Er ist feinfühlig und merkt es, geht eine Kabine weiter und ich höre noch „Passt’s?“ In einem anderen Laden wurde ich mal von einer durchaus hübschen Verkäuferin gezwungen, einen Gürtel anzuprobieren, nur weil ich ihn mir angesehen hatte. Ich wollte ihn nicht mal, aber sie ließ nicht locker und ich dachte, auf die Weise werde ich sie schneller los. Ich habe den Gürtel letztlich gekauft. Er passte ja. Gürtel anprobieren! Was für ein Unsinn.

Meine Kragenweite kenne ich nicht. Ich kaufe immer Marken, die „L“, „M“ oder „S“ in ihre Hemden drucken. Ich brauche inzwischen „S“. Und „slim fit“. Dann passt es. Ich habe etwa vier Marken, die in der Sache sehr gut mit mir zusammenarbeiten. Die Industrie hat sich auf mich eingestellt. Nicht aber auf meine Mitbewohnerin. Damen-Bekleidung ist komplizierter. Immerhin beherzt sie heute meinen Tipp, möglichst viel mit in die Umkleide zu nehmen, die hier „fitting room“ heißt. Früher hätte ich einen solche „store“ schon verlassen, doch da inzwischen jeder meint, die Muttersprache durch Englisch ersetzen zu müssen, bleibt mir keine Wahl. Sie also mit einem Berg von Stoffen in der Umkleide, vor der ich gerade sitze und vor der mir bewusst wird, dass das irgendwo auch ein Fehler war. Denn das Anprobieren zieht sich natürlich. Oftmals komme ich auch direkt rein mit in die Umkleide, aber wie obiges Bild zeigt, fehlt hier ein Hocker. Ich sitze gerne immer in der Umkleide, während sie sich umkleidet. Solange es die Stimmung zulässt, denn die kippt nach etwa zwei Stunden. Das ist der Moment, wo wir uns trennen, meine Beratung gottseidank nicht mehr gefragt ist und ich mich also in der Herrenabteilung („men“) umsehe. Ich brauche nichts. Habe dennoch eine „Übergangsjacke“ gekauft, denn der nächste Übergang kommt bestimmt. Das wird sie frustrieren. Fünf Hosen, eine Jacke. Und ich wollte an sich nichts. Sie hingegen will was, findet aber nichts. Langärmlige Hemden sind derzeit runtergesetzt. Da wäre ich doch doof, wenn ich nicht zugreifen würde. Auf diese Weise habe ich drei Tüten befüllt, die jetzt vor der Umkleide mit mir auf meine Mitbewohnerin warten.

Ich wollte sie, die Tüten!, gerade fotografieren, aber eine Verkäuferin untersagte mir das Fotografieren im „store“. Ich hatte vergessen, den Blitz auszuschalten und mich dadurch verraten. Der Typ neben mir grinst mich an, aber ich sehe auch Verzweiflung in seinem Gesicht. „Wann hast du deine Freundin das letzte Mal gesehen?“ frage ich ihn, was gar nicht meine Art ist, doch die Langeweile treibt seltsame Blüten. „Sie hatte dunkles Haar, glaube ich“ antwortet er und guckt wieder auf sein Handy. Er scrollt durch einen Formel 1-Ticker. „Wo ist Vettel?“ will ich wissen. „Platz 15.“ – „Ich hatte eben 15 Hosen über meinem Arm.“ Er reagiert nicht, findet es nicht lustig, ich schmeiß mich innerlich weg.

Meine Freundin kommt wieder raus! Sieht meine drei Tüten und sagt: „Du wolltest doch gar nichts kaufen!“ – „Ich hatte die Zeit. Außerdem: langärmlige Hemden sind runtergesetzt. Und ich hab‘ ’ne Übergangsjacke!“ Ich glaube, Übergangsjacken kaufe ich nur, weil ich das Wort „Übergangsjacke“ sehr schätze. Tragen tue ich sie eigentlich kaum, weil ich immer den Übergang verpasse.

Wir verlassen den Laden. Es war nichts für sie dabei. Sie lässt alles in der Umkleide hängen, wofür ich Verständnis habe. Gucke, wo die Verkäuferin ist, ob sie unser Kapitalverbrechen bemerkt, nachdem ich schon mit illegalen Fotografier-Absichten aufgefallen war. Ich bin ja jemand, der die Klamotten teilweise wieder an ihren Platz zurück hängt. Meine neueste Praktik sieht aber so aus, dass ich die nicht zu erwerbenden Textilien auch mit an die Kasse nehme und sie in des Kassierers Obhut übergebe.

Bei „Jack and Jones“ (Wer ist Jack, wer ist Jones?) kommt an der Kasse immer noch die Frage: „Möchtest du auch noch ein paar Basics kaufen?“ Wir duzen uns also. Ich weiß inzwischen, was sie mit „Basics“ meinen. Und ich sage, dass ich noch ausreichend Unterhosen zuhause hätte. Und es gehört nicht zu meinen Träumen, mir mit dem Zwei-Meter-Siebzig-Verkäufer Unterhosen auszusuchen. Außerdem: Würde ich noch „basics“ wollen, hätte ich sie mir ja schon geholt.

Wir verlassen den Laden und gehen in den nächsten. Wir präferieren Einkaufszentren (man nennt sie jetzt „malls“, was mich natürlich seit Jahren auf die Palme bringt). Sie haben den Vorteil, dass man in kürzester Zeit viele Läden besuchen kann. Inzwischen weiß ich auch, welche Shops wo ihre Sitzgelegenheiten haben. Wir gehen rein, sie geht geradeaus durch und ich biege rechts zu jenem roten Sessel ab, wo ich schon viel Zeit verbracht habe. Überhaupt möchte man ja meinen, dass der Mensch mehr Zeit vor als in Umkleidekabinen verbringt. Bei ihr bin ich mir unsicher. Vielleicht rettet sie der Umstand, dass sie oft anstehen muss, um überhaupt eine Kabine betreten zu können. Aus diesem Grund meide ich „H&M“, auch wenn deren Stärke darin liegt, dass die Verkäufer einen in Ruhe lassen. Aber anstehen für eine Umkleide-Kabine?! Das ist doch pervers!