Türmeruhr

Aber nicht im Bett. Da bin ich groß im Timen, auch wenn es bei massiver Erregung dann doch mal zu früh losgeht. Darauf lasse ich mich festnageln. Soviel zu den kracher Wortwitzen, hier soll es um mein permanentes Zufrühzuterminenkommen gehen. Um das vorwegzunehmen: Das ist an sich keine schlechte Angewohnheit, aber eben eine Zeit fressende.

Beispiel Zahnarzttermin. Ich gehe gerne zum Zahnarzt, weil in der Regel es nichts zu beanstanden gibt. So sind es meist Termine für eine professionelle Zahnreinigung, die ich sehr schätze. Kürzlich lehnte ich das Röntgen meines Gebisses ab mit der Ansage: „Sie werden eh nichts finden, Herr Doktor.“ – „Ich bin gar kein Doktor und Sie lehnen nichts ab, sondern sich weit aus dem Fenster.“ Das war für mich neu, für mich sind Ärzte immer Doktoren. Ein Kulturschock, der mir zeigte, wie realitätsfremd ich mitunter durch die Welt gehe. Was ich aber auch sehr an mir schätze. Ich lag da nun im Zahnarztstuhl und dachte, was, wenn er doch was findet? Aber er fand nichts. Und dafür lasse ich mich nicht konradröntgen.

Ein Exkurs ist vonnöten: Als Kind lag ich mal in einem Zahnarztstuhl und wartete auf den Herrn Doktor, der vermutlich auch keiner war. Dabei fummelte ich an den Knöpfen des vollautomatisierten Stuhls ‚rum und fand mich nach wenigen Sekunden in einer bedenklichen Schieflage wieder, aus der mich eine Zahnarztgehilfin befreien musste. Peinlich. Aber es hat sich für diesen kleinen Exkurs schon gelohnt.

Zu jenen Zahnarztterminen komme ich immer mindestens eine halbe Stunde zu früh. Weil ich in groben Zeiteinheiten denke. Mein Zahnarzt derzeit ist um die Ecke. Zufuß braucht man ehrlich gesagt nur drei Minuten. Ich denke allerdings immer in 15-Minuten-Einheiten, darunter mache ich es nicht. Und zur Sicherheit gehe ich immer zwei Einheiten vorher los und so sitze ich da 27 Minuten zu früh. Weit gefehlt, wer denkt, ich würde da nun für ’ne halbe Stunde sinnlos rumsitzen, der irrt gewaltig. Entweder mein Zahnarzt hat sich auf mich eingestellt, was nur ein Narzisst denken würde, oder ich habe einfach Glück. Denn jedes Mal komme ich direkt dran und verlasse die Praxis nahezu zu dem Zeitpunkt, zu dem mein eigentlicher Termin ansteht.

Nur bei Allgemeinmedizinern funktioniert es nicht. Dort addiert sich die halbe Stunde, die ich zu früh erscheine, zu den weiteren zwei Stunden, die man als Kassenpatient warten muss. Alles Klischee, ich weiß es nicht, weil ich nicht zu Ärzten gehe. Panische Angst, dass sie was finden. Mir wurde einmal der Blutdruck gemessen beim Arzt. Extrem hoch. Ich war nahtod-gefährdet. Was ich der Ärztin, die hoffentlich ’nen Doktor hatte, nicht weismachen konnte, war, dass, sobald man bei mir was misst, die Messgeräte massiv ausschlagen. Messe ich zuhause mit meinem durchaus professionellen Blutdruckmessgerät, komme ich auf Idealwerte. Bei meiner Musterung bei der Bundeswehr, zu der ich 27 Minuten zu früh kam, gleiches Bild: Sehr hoher Blutdruck, ich musste zu einer Nachuntersuchung ins Bundeswehr-Krankenhaus in Hamm. Was für ein Umstand, wollte ich doch eh verweigern.

Wenn man stets überpünktlich ist, erwartet man das dann auch von seinen Mitmenschen? Nein. Ich selbst sehe mich da keinesfalls als Maßstab und lebe mit einer Dame zusammen, die sich meinen Pünktlichkeitswerten inzwischen angenähert hat. Ich wurde allerdings vor ’ner Woche nervös, als sie zu einem Fernsehauftritt nicht unbedingt überpünktlich kam. Aber das macht sie mir sympathischer, als sie ohnehin schon ist. Sie wird mich für diese Zeilen hassen. Lest sie, solange ich sie noch nicht löschen muss.

Mein Nachbar Pavel, der sich auch guter Freund in meiner Gegenwart schimpft, ist das Gegenteil. Wenn man das weiß, kann man damit umgehen. Schwierig wird es nur, wenn er Termine ganz vergisst. Alles schon vorgekommen. Trafen uns zum Zusammenbauen von Ikea-Regalen bei ihm. Ich war 27 Minuten zu früh, Ikea lieferte punktgenau – nur er war nicht da und so stand ich mit mehreren Kartonagen Holz vor seiner Wohnung. Das war in sofern ungünstig, als dass ich meinen Wohnungsschlüssel vergessen hatte, leider in der Wohnung. Pavel kam etwa drei Stunden später und fragte: „Warum noch nichts aufgebaut?“ Ja, warum eigentlich nicht. Hätte ich gewusst, dass er sich um drei Stunden verspätet, hätte ich den bekackten Kleiderschrank natürlich schon vor seiner Wohnung aufgebaut. „Ich hab‘ noch ’nen Kasten Bier geholt.“ war seine Entschuldigung. „Ich muss heute bei dir übernachten. Mein Schlüssel liegt im Wohnzimmer.“ Kein Problem, sagte er, er müsse aber tagsdarauf pünktlich raus. Is‘ klar.