Lauf durch Himmelgeist 20km 15.06.15

Ich bin gestern herrliche 20,02 Kilometer gelaufen. Es erstaunt mich auch nach 13 Jahren noch, wie weit man zu Fuß kommt. Und ich weiß nicht, ob es mit reifendem Alter zusammenhängt, dass ich mir während des Laufens Gedanken über ein unerwartetes Ausscheiden aus dem Leben während des Laufens mache. Nicht etwa wegen eines Herzinfarktes durch große Anstrengung bei Hitze oder so. Ich denke selbst während des ein oder anderen Orgasmus‘ über den Herztod währenddessen nach; soll es ja geben. Ich muss mich dringend mal darüber informieren, welche Arbeit das Herz im unmittelbaren Moment des Höhepunkts leistet. Es muss unmenschliche Arbeit sein. Aber die Hitze beim Laufen sehe ich nicht als Problem, man kann sich ja mit einem gemütlicheren Laufstil darauf einstellen. Gestern jedoch widerfuhren mir zwei Dinge. Zum einen schmerzte urplötzlich nach Kilometer 10 mein Schienbein. Völlig aus dem Nichts heraus und mitten in menschenleerer Pampa. Was, wenn jetzt mein Schienbein mittig durchbricht? Dann liege ich da. Ohne Handy. Niemandem gesagt, wo ich herlaufe, weil ich es vorher ja selber nicht weiß. Was macht man dann? Kriecht man zehn Kilometer zurück? Völlig unterschätztes Problem. Allerdings ging der Schmerz, so schnell er gekommen war und ich konnte mich dem Insektenproblem zuwenden.

Permanent fliegen einem irgendwelche Tiere in den Mund. Die meisten sind geschmacksneutral, aber es gibt da draußen irgend eine Fliegenart, die sehr unangenehm schmeckt. Das ist aber ein Luxusproblem verglichen mit dem Problem, das die Fliege im Moment der Landung auf meinem Gaumen hat. Sie stirbt. Selber schuld, das kann ich mir nicht vorwerfen. Was aber, wenn mir mal eine Wespe in den Hals fliegt und zusticht? Da ist das gebrochene Schienbein nichts gegen. Ich würde unter ungünstigen Umständen möglicherweise ersticken. Wobei ja auch hier gilt, dass man nicht erstickt, sondern das Herz-Kreislauf-System vorher kollabiert. Ich weiß nicht, was besser ist. Das Ergebnis ist so oder so der Tod. Mitten im Nirgendwo wie gestern am Rhein würde in dem Fall das Handy vermutlich auch nichts mehr bringen. Notruf absetzen mit der Bitte, mein Gerät zu orten und dann warten. Könnte zu lange dauern.

Eine andere Gefahr gestern war eine Kuh. Ich habe seit vielen Ferien auf dem Bauernhof meiner Oma, selig, Angst vor Kühen. Es begab sich einst, dass eine Kuh aus dem Stall ausgerissen war und meine Oma, mien Onkel und ich mussten sie wieder zurück treiben. Wir also alle hinter der Kuh her, die allerdings die Situation völlig missverstanden hatte. Sie fühlte sich in ihrem Streben nach Freiheit massiv eingeschränkt und nahm ihrerseits die Verfolgung auf. Und da ich der einzige Jäger ohne Mistgabel war, entschied sich das Tier für mich, drehte sich um und rumpelte auf mich zu. Ich werde das laute Getrampel nie vergessen, es verfolgt mich noch heute. Kühe kennt man als gemächlich rumstehend und wiederkäuend, man ahnt ja gar nicht, zu welchem Tempo sie in der Lage sind. Ich, damals vielleicht elf Jahre alt, akzeptierte den Rollenwechsel und fügte mich meiner in die des Gejagten und flüchtete mich in den Stall.

Ich kam gestern an vielen Kühen vorbei und ich nutzte die Einsamkeit für ein Gespräch mit einer Kuh, die mir ein sanftes Gemüt zu haben schien. Uns trennte nur ein Drahtzaun. „Wohnst du hier?“ fragte ich die Kuh, die plötzlich das Kauen einstellte und mich fragend anguckte. Mir war natürlich klar, dass sie meine Frage weder verstand noch beantworten würde. Aber sie schien irgend etwas zu denken. Sie kam näher. Und ihre Freundinnen ebenfalls. Da wurde mir unwohl, zumal sie plötzlich schnaubte. Was, wenn die sich jetzt ihrer Kraft bewusst werden? Wenn sie den Aufstand proben wollen? Dann rennt plötzlich eine Herde tollwütiger Kühe hinter mir her. Wären sie schneller als ich? Ich habe inzwischen mehr Angst vor Kühen als vor Hunden beim Laufen. Als Friedensangebot reichte ich einen Büschel Gras, der aber abgelehnt wurde. Ich entfernte mich langsam mit besänftigenden Worten und deeskalierte die Situation auf diese Weise. Ich bin ohnehin Deeskalationsprofi. Auch hier hätte mich ein Handy nicht gerettet. Notruf absetzen, weil fünf Kühe hinter mir her sind? Würde das jemand glauben?

Rinder(von l. nach r.: Kuh, Kuh, Kuh)

Lauft Ihr mit Handy? Ich weiß gar nicht, wo ich das hinpacken soll. Aber ich denke zunehmend darüber nach, weil mir diese Wespen ein Graus sind. Der Tod hat ja nicht nur Folgen für einen selber, sondern auch für Hinterbliebene. Meine Mutter würde sagen: „Ich hab’s ihm immer gesagt. Er wird beim Laufen kollabieren.“ Ich würde sie in meinen letzten Minuten anrufen und sagen: „Du hattest Recht, ich kollabiere gerade beim Laufen.“ – „Siehst du! Aber du hörst ja nicht.“ Tja, man scherzt so. Bis es soweit ist. Vielleicht erwerbe ich ein Billig-Handy ohne SIM-Karte, da Notrufe ja immer gehen. Aber kann man es ohne SIM orten? Wisst Ihr das zufällig? Wäre ja schade, wenn ich den Notruf wähle und man mir sagt, wir können Sie leider nicht orten, steckt Ihre SIM-Karte nicht richtig drin? Dann müsste ich noch schnell einen Vertrag abschließen, was aber vermutlich zu lange dauern würde.

Vielleicht gehört es zum Laufen dazu, dieses Risiko. Es ist ja gerade der Reiz für mich, in ferne Gefilde vorzuzdringen, wo außer Kühen und Insekten sich niemand mehr aufhält. Diese Stille und der Geruch von Gräsern. Ich kann diese Art der sportlichen Betätigung nur empfehlen.