1280px-Abort_01

Hier und da sagt man statt „Strohwitwer“ auch „Graswitwer“. Beides durchaus positiv besetzte Begriffe, wie ich in den kommenden Tagen feststellen darf, obwohl dem Begriff „Witwer“ ja eher ein tragischer Umstand inne ist. Ich bin also die kommenden Tage Strohwitwer und auch, wenn ich über meine Koexistenz mit meiner Mitbewohnerin nicht ansatzweise klagen kann, freue ich mich stets auf diese Phasen. Diese begann mit einem Schwall Erbrochenen.

Eine Magenverstimmung also, die vermutlich falschem Essen geschuldet ist, da es sich bis jetzt schon wieder etwas gebessert hat. Während des Brechens hatte ich tiefe Einsicht in unser Klo und staunte, wie frisch und sauber es anmutete, was sich im selben Moment dann auch schon erledigt hatte. Alles strebt nach Chaos. Ganz einfach, weil es weniger Energie kostet, die Dinge ins Chaos zu versetzen, als sie zusammenzuhalten. Hab‘ ich heute morgen gelesen. Was man liest, stimmt. Vielleicht ist mein Bogenhusten aber auch psychosomatisch. Stress und so. Aber dazu neige ich nicht. Ist auch egal, denn da es besser wird, hinterfrage ich es nicht mehr und richte den Blick nach vorn. Zudem hatte ich schon eine Hungerattacke und fürstlich gespeist. Da bin ich der Überzeugung, dass es richtig ist, diesen Gelüsten nachzugeben, auch wenn es angesichts des rückwärtigen Essens gewagt scheint. Kennt Ihr dieses Brechen, das einem Krämpfe verschafft? Ich habe ein Theorie dazu entwickelt. Während des Degobilierens. Ich hocke in der Situation meist vor der Toilette, den Torso gekrümmmt. Das ist vermutlich eine absolut widersinnige Körperhaltung für das Erbrechen. Ich glaube, im Stehen wäre es entspannter, doch danach wäre es mit der bloßen Klo-Reinigung nicht getan. Stehpinkler verursachen ähnliche Kollateralschäden. Bei uns muss ich sitzpinkeln. Doch jetzt bin ich ja Strohwitwer. Vielleicht stehe ich übermorgen schon gar nicht mehr zum Pinkeln auf. Das Recht des Strohwitwers.

Ich schweife ab. Als ich das Gefühl hatte, der Magen ist ausreichend entleert, bekam ich Schlaf-Gelüste zu einer Uhrzeit, zu der sich mindestens drei Postboten jeden Tag aufs Neue ankündigen. Gegen zehn Uhr klingelt unten immer die TNT-Post, die eigentlich schon gar nicht mehr so heißen dürfte, ist sie doch eigentlich Postcon. Oder es ist nur ’ne Marke derer. Lest es nach. Irgendeine Mietpartei öffnet dann unten die Tür, eine stimmgewaltige Frau ruft „T-ENN-TEEEEE-POOST“, man hört die Briefkästen klappern und dann kracht wieder die Tür zu. Dann irgendwann kommen die Zeugen Jehovas, über die ich mir schon lange ein Urteil gebildet habe, das sie offenbar bei mir revidieren möchten, weil sie oft kommen. Ist immer ein sehr netter Herr dabei. Mit Hut. Und Wachtturm. „Ich glaube nur an mich.“ sag ich dann, womit seine Mission beendet ist.

So um Zwölf rum kommt dann die richtige Post. Keine Generika-Post, sondern unsere gute Post, die momentan „Deutsche Post World Net“ heißt. Nein, falsch. Das ist vorbei. Sie heißt jetzt „Deutsche Post DHL Group“. Bloß nicht „Gruppe“. Verstünde ja keiner … Mein erster Tag als Strohwitwer wurde mir nun dadurch versüßt, dass sich Teile des Humankapitals der „Deutschen Post World Net DHL Group“ im Ausstand befinden und mein persönlicher Briefträger offenbar nicht verbeamtet ist. Er würde mich somit nicht in meinem Nickerchen stören.

Es ist wirklich unsympathisch, dass unsere Briefkasten-Situation es für den Briefträger unumgänglich macht, hier zu klingeln. Aber was bleibt ihm übrig? Ein Power-Nap, wie man es heute nennt, ist schier unmöglich, wartet man nicht erst TNT-Post, Jehova und Deutsche Post World Net DHL Group ab. Dieses Mal kam nur TNT-Glitz, nein, -Post und selbst Jehovas Zeugen ließen mir mein ungestörtes Nickerchen.

Während dieser Tag-Nickerchen träume ich immer wahnsinnig realitätsgetreu; vermutlich weil man weniger tief schläft. Lest es nach. Zu meinem Standard-Repertoire an Träumen gehört der, dass ich träume, ich würde wach werden und aufstehen. Dann realisiere ich, dass ich nicht wach bin und träume abermals, ich würde nun tatsächlich wach sein. In dieser Schleife bin ich solange gefangen, bis ich dann für alle anderen sichtbar wach bin. Ich wache dann meist verstört und völlig unerholt auf. Heute ging’s eigentlich, ich war einfach froh, dass ich nicht in Magensäften erwacht war.

Ich werde in den kommenden Tagen mein Leben als Strohwitwer hier dokumentieren, muss allerdings ankündigen, dass ich eigentlich in keinem Punkt durch meine Mitbewohnerin eingeschränkt werde. Bis auf die Essgewohnheiten (bestellen, bestellen, bestellen!) wird sich im langweiligsten Falle gar nichts ändern. Aber die Wohnung wird auf Hochglanz gebracht. Da leben wir nämlich wider das Klischee, denn hier bin ich in weiten Teilen der Hausmann, der unruhig wird, wenn nach einem Küchenputz die Küche plötzlich wieder benutzt wird. Ich weiß, von wem ich das habe.

Es ist zehn vor drei, ich werde mich ins Bett zurückziehen und über Biotechkopien lesen, die die Pharmabranche elektrisieren. Puh.