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Da will man sein Strohwitwer-Dasein bei seiner Sonntagszeitung und laufendem Formel 1-Stream ausklingen lassen, da kommt einem im ersten Vorspann, lead, also dem Teil unter der Überschrift, der Bergriff „Handreichung“ unter. Bei solchen wie ich finde schönen Begriffen bekomme ich einen Orgasmus. Denn bereits zu meinen Uni-Zeiten hieß das schon handout oder – nicht ganz korrekt – paper. Der Prof teilte uns Zettel aus, die überschrieben waren mit paper. Als müsste man auf ein Auto „Auto“ drucken, um zu erkennen, dass es ein Auto ist. Aber manch Prof hat einen kleinen Schwanz, sodass er diesen kompensiert mit maximalem Einsatz von Anglizismen. So wie die Uni in Münster sich bei Facebook münster university schimpft. Hahahahaaha, da lache ich eher, als dass ich weine. Weil die Uni Münster ja von internationalem Range ist! Wie lächerlich. Ein Dozent trieb es mal auf die Spitze, als er uns für das Einloggen in seine homepage „digitale goodies“ versprach. Was auch immer damit meinte, ich boykottierte ihn fortan. Stiller, ungehörter Protest.

Vor Jahren ging es ja los in der Werbung. Alles möglichst englisch. Das gipfelte für mich in der Umbenennung der „Salzletten“ in saltlets oder „Dextro Energen“ in dextro energy. Wird boykottiert. Irgendwann nahmen die Anglizismen dann Einzug in die Alltagssprache. Wir fluchen inzwischen nicht mehr fäkal mit „Scheiße“ oder „Kacke“, sondern bedienen uns des fuck, obwohl ein schönes „ficken!“ fiel befreiender ist. Ich weiß, ich stehe damit sehr alleine da, aber mir wäre es peinlich, zum Fluchen die Sprache zu wechseln.

Vor ziemlich genau zehn Jahren öffneten in Münster die „Arkaden“. Ich stand dort mit meiner Mitbewohnerin, die damals nicht meine Mitbewohnerin war, in einem Aufzug. Wir wollten ins Erdgeschoss, fanden aber kein „E“ auf der Tastatur und wussten auch nicht so richtig, auf welcher Etage wir uns befanden. Wir überlegten daher, das B zu drücken, fragten uns aber, wo das B hinführt. Heute mag das klar sein, aber wir standen vor einem Rätsel. Ein älteres Ehepaar kam dazu und wir überlegten zu viert, ob das Drücken der B-Taste uns in ein großes Abenteuer führen würde. Wir fassten allen Mut zusammen, drückten B und es ging abwärts. In den Keller. Basement. Hahahahaa. Auch hier also wieder kleine Pimmel am Werk. U wäre zu einfach gewesen. U hat sich wohl nicht durchgesetzt in der Geschichte der Aufzüge in Deutschland.

Weil ich mich gerade zum x-ten Male über diese Verseuchung der deutschen Sprache aufrege, hab ich verpasst, dass Vettel nur Vierter geworden ist. Mir sind die Argumente der Leute mit Mini-Schwannek natürlich bekannt: Sprache sei lebendig, entwickle sich immer weiter, profitiere vom Einfluss anderer Sprachen, was nie anders gewesen sei. Aber welche Sprachgemeinschaft treibt das mit so einer verve voran?! Ob’s der Tarifdschungel der Deutschen Telekom (t-home) oder der Fahrradverleih der Deutschen Bahn (call a bike) ist: Es führt doch nicht zu mehr Klarheit. Da sitzen irgendwelche marketing-Menschen, die glauben, ihr Werbesprech sei Dogma und denken sich so einen Scheißdreck aus. Aber hier und da wird das ja durchaus erkannt, der Fahrradverleih soll bald wieder einen verständlichen Namen erhalten, der service point heißt wieder „Information“.

Und wäre nicht mal die Gegenbewegung in der Werbung ein Alleinstellungsmerkmal? So wie VW international mit „Das Auto“ wirbt? Warum eigentlich heißen die Waschanlagen bei Tanken immer car wash? Oder warum sehe ich Parkhäuser mit der Aufschrift parking? Ich bin wahrlich niemand, der zwanghaft alles eindeutschen will; ich spreche auch von homepage und nicht von der „Heimseite“, einem Begriff, der eh von einer politisch fragwürdigen Gruppierung okkupiert worden ist. Ich sage auch laptop und nicht „Klapprechner“. Aber muss ich von paper sprechen, wenn ich ein beschriebenes Blatt Papier meine?! Die Motive dahinter sind eben nicht immer mehr Klarheit, sondern einfach die Erektion dabei, wenn man wieder mal einen geilen Begriff aus dem Englischen gefunden hat. Besonders irre wird es, wenn ein amerikanischer Film mit natürlich englischem Titel in Deutschland einen neuen, einen anderen englischen Titel bekommt. Völlig absurd. Reesch disch nich uff, würde ein Kollege von mir nun sagen, aber dieses ist das Einzige, was mich wirklich auf die Palme bringt. Vielem anderen stehe ich gleichgültig gegenüber. Griechen-Rettung?! Wird schon gutgehen. AfD? Zerfleischen sich selbst. Pegida? Arme Irre. Altersarmut? Gibt es noch gar nicht. Schere zwischen Arm und Reich? Schließt sich derzeit wieder. Alles wird gut.

Meine Mitbewohnerin kehrt in wenigen Minuten zurück. Sie ist gerade außer sich, weil die Bahn, in der sie sitzt, Verspätung haben wird. Eine Passagierin glaubte, sterben zu müssen und tätigte den Notknopf. Sie starb aber gar nicht. Außerdem sei erst seit wenigen Minuten die Klima-Anlage eingeschaltet. Und sie glaubt, Tinitus zu haben. Über meinen Tinitus sollte ich auch mal schreiben. Und dann mit Doppel-N.