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(In diesem Artikel geht es neben Drogen und Lesbenpornos um meinen Nachbarn Pavel, der sich hier auf oder in meinem Blog einer eigenen Rubrik erfreut.)

Wir waren ja gestern bereits bei schönen deutschen Begriffen. Eine weitere wohlklingende Vokabel habe ich vor wenigen Minuten gelernt: Über den Zustand des Fick(e)rigseins kam ich via Duden.de auf das spektakuläre Wort „Fickfackerei“. Wozu brauchen wir Anglizismen, wenn es im Altdeutschen noch so tolle Wortschätze zu heben gibt?! Und über diesen kam ich wiederum zu einer Geschichte, bei der ich mal so richtig gefickfackt worden war.

Es war zu der Zeit, als ich noch mit Pavel zusammen in einer WG gewohnt habe, im guten alten fickfackfreien Münster. Ich habe von Pavel die Freigabe, darüber zu schreiben, denn er hat sich damals gelinde gesagt beschissen verhalten und steht heute offensiv dazu.

Mich musste der Teufel geritten haben, als wir entschieden, dass er unser Miet-Konto führen würde, aus dessen Habenseite auch die Stadtwerke sich bedienten. Aber damals konnte ich, nachdem wir zuvor beide schon aus dem Studentenwerk geflogen waren, nicht ahnen, dass Pavel sich verschiedener Drogen-Experimente unterzog. Er hatte tütenweise Blau-Mohn unter seinem Bett gelagert, um daraus Opium zu extrahieren. Diverse Anleitungen aus dem Internet halfen ihm dabei. Und nicht zu vergessen seine waghalsige Konstruktion aus Reagenzgläsern, einem Bunsenbrenner und einer Zentrifuge. Letztlich war es nicht das Opium, das sein Menschsein ruinierte, sondern seltsame Anti-Depressiva aus Thailand. So fand ich einmal eine Notiz von ihm, die er während eines Trips verfasst hatte, um seine Halluzinationen festzuhalten. Er beschrieb darin, wie ihm in der Badewanne liegend ein blondes, natürlich nacktes!, Mädel erschien und ihm den ein oder anderen Dienst erwies. Dokumentierte er mit Bleistift, während der blonde Engel ihn wusch. Tolles Erlebnis, leider wurde er davon abhängig und ganz nebenbei Messie. Ich hatte das alles nicht mitbekommen, erst das Einmachglas gefüllt mit Urin neben seinem Bett machte mich skeptisch. Und der gammelnde Mohn. Sowie all die anderen Lebensmittel, die er statt im Kühlschrank unter seinem Bett lagerte, da er nicht mehr in der Lage war, sein Zimmer zu verlassen.

Besonders hellhörig wurde ich eines Nachts, als er dann doch mal seine 20 Quadratmeter verließ – nackt allerdings, und nur mit einer Lederjacke bekleidet in meinem Zimmer erschien. Ich kannte ihn nackt, ich kannte die Lederjacke, aber die Kombination war mir neu. Gewagt. Wortlos verließ er mein Zimmer wieder und ich fand nicht mehr in den Schlaf.

Drogenkonsum kann ins Geld gehen, gerade wenn man in Thailand bestellt. (Der Poststreik wäre für ihn derzeit ein kalter Entzug.) Dieses Geld, und hier kommt endlich die Fickfackerei ins Spiel, knappste er von unserem Mietkonto ab. Mich machten erste Mahnungen des Vermieters stutzig. Noch nachdenklicher wurde ich, als der Gerichtsvollzieher sich in meinem Zimmer umsah. „Wir können in WGs nicht differenzieren, wem was gehört“, erklärte der durchaus höfliche Gerichtsvollzieher, der offenbar Krankenkassenbeiträge eintreiben wollte. Ich führte ihn unter heftigem Protest in Pavels Zimmer, was abkürzend gesagt ein einziger Müllhaufen war. Selbst seine Kakteen waren vertrocknet, die Fenstervorhänge lagen am Boden und die Lesbenpornos auf einem Berg aus leeren Chipstüten. Die habe ich mir bei der Gelegenheit erstmal ausgeliehen. Nicht die Tüten, die waren ja leer, anders als die Pornos. „Four Finger Club“. Der Daumen spielt seit jeher eine Außenseiterrolle.

Letztlich gab es nichts zu pfänden; dennoch hing fortan ein Schild an meiner Zimmertür mit der Aufschrift: „Pavel G.: einen Raum weiter“. Denn der Gerichtsvollzieher kündigte einen weiteren Besuch mit Polizeibegleitung an.

Den Mietrückstand konnten wir aufholen. Aber, und das wusste ich ebenfalls nicht, auf Kosten der Stadtwerke Münster. Die drehten uns alsbald den Strom ab. Und das tolle war, dass Pavel immer großartig den Überraschten spielen konnte. „Höh? Kann gar nicht sein. Alles überwiesen!“ So waren wir also vermeintlich beide überrascht. Ich schoss abermals Geld nach, damit Pavel seine strombetriebene Zentrifuge zur Opiumgewinnung weiterbetreiben konnte.

Problematisch, wenn der beste Freund sich derart wandelt und ein seit zwei Jahrzehnten gewachsenes Vertrauensverhältnis ruiniert. Seitdem bin ich mit Vertrauen äußerst zurückhaltend. Er hat das alles verbüßt, keine Frage, und war auch in Behandlung und ist heute ein erfolgreicher Mensch. Unserer Freundschaft hat das zunächst natürlich eher geschadet als genutzt, aber wir sind ja wieder Nachbarn. Mit getrennten Konten natürlich. Und ich nehme keine Pakete für ihn an! Später übrigens vertrieb er völlig legal Chemikalien ins Ausland und verdiente tausende Euro damit im Monat. Inzwischen wurde der Vertrieb dieser einen Chemikalie aus der EU heraus untersagt, damit musste er auf ordentliche Arbeit umsatteln und ist nun Chemiedoktorand.

Die ganze Nummer damals ereignete sich, während ich meine Magisterarbeit schrieb. „Digital Divide und die bedingte Notwendigkeit einer Pointe bei einem schlechten Scherz“, so der Titel der Arbeit, die vollkommen zurecht die Bestnote erhielt. Das Zerwürfnis mit Pavel hatte mich allerdings schwer belastet, für zwischenmenschliche Konflikte stehe ich ungern zur Verfügung und meide sie unter Runterschlucken von allem, was zu Unfrieden führen kann. Damals war meine Reaktion die Kündigung der Wohnung, wozu ich seine Unterschrift brauchte. Ich war zu feige zu fälschen und rannte wochenlang hinter ihm her mit einem Stift in der Hand. Letztlich trennten sich dann unsere Wege, ich lernte meine Mitbewohnerin kennen und schrieb noch einen viel beachteten Epilog zu meiner Arbeit mit dem Titel „Viel beachteter Epilog zu meiner Arbeit mit dem Titel ‚Digital Divide und die bedingte Notwendigkeit einer Pointe bei einem schlechten Scherz'“.

Wie oft uns der Strom auch in meiner Abwesenheit abgestellt worden war, erfuhr ich erst bei der Wohnungsschlüssel-Übergabe, wo auch der Stromzähler-Zählerstand abgelesen wurde. Er war zugeklebt mit mehreren datierten Hinweisen der Stadtwerke zu diversen Stromsperren. Das erklärte dann auch, warum mein Radiowecker relativ häufig verstellt war, da auch ihm natürlich der Saft abgedreht worden war.

Somit halten wir fest, dass ich an sich noch nie wirklich gefickfackt wurde, nur dieses eine Mal vom besten Freund. Nackt in Lederjacke. Aber ich hatte ja immerhin die Lesbenpornos.