Teil 4 aus der Serie „Vom Schwachmaten zum Läufer“

IMG_0104(14.12.10, irgendwo in Düsseldorf-Flingern während eines 6-Uhr-Laufes)

Zu Teil 1, 2 und 3! Aber auch unabhängig davon lesbar!

Nachdem ich also rund sieben Jahre durch Münster gelaufen war, kannte ich im Grunde jede Straße, jeden Winkel. Münster hat noch die Größe, wo das möglich ist, die Vororte eingeschlossen! Der Wechsel der Stadt hatte berufliche Gründe und es verschlug mich ausgerechnet nach Düsseldorf, das im Vergleich zu Münster dann doch etwas größer ist. Nach sieben Jahren hat man auch vergessen, wie es ist, durch völlig unbekanntes Terrain zu laufen; darauf hatte ich mich gefreut, nicht so schön war hingegen der Beginn einer vierjährigen Wochenendbeziehung und hätte man mir 2008 gesagt, dass die wirklich vier Jahre dauern würde, es hätte mich schwerst betrübt. Der Umzug fand an einem Samstag statt, der erste Lauf in Düsseldorf am folgenden Sonntag und natürlich habe ich mich direkt verlaufen. Damit das aber nicht passiert, was dann eben doch passierte, druckte ich mir vorab diverse Karten aus, da ich noch keinen Stadtplan hatte. Über mehrere DIN-A4-Seiten ergab sich dann ein Gesamtbild mit der Vorgabe, bloß nicht über den Kartenrand hinauszulaufen. Ich nehme es vorweg: Genau das passierte. Ich hatte mir eine Route durch den Stadtwald (Grafenberger und Gerresheimer Wald) zurechtgelegt, die ich dann aber durch Einfluss meiner eigenen Dummheit verließ.  Für die Ortskundigen: Ich fand mich plötzlich in Gerresheim wieder, gestartet in Grafenberg. Nur wusste ich natürlich nicht, wo Gerresheim liegt und hätte man mir gesagt, ich wäre in Köln, hätte ich es geglaubt. Wobei der Dom in Gerresheim deutlich kleiner ist.

Ich versuchte, mich auf meiner ausgedruckten Karte wiederzufinden, allerdings musste ich die losen Blätter dazu erstmal zusammenpuzzeln, was recht dämlich ausgesehen haben muss. Hockte da also in der Abenddämmerung auf dem Bürgersteig (Düsseldorfer, Ihr legt die Bürgersteig-Platten irgendwie falsch. Wenn Ihr sie nicht diagonal anordnen würdet, müsstet Ihr keine Platten für die Ränder durchschneiden. Aber Ihr müsst ja alles stets anders machen. Wir sollten mal über die gelben Fußgängerampeln sprechen. Ja, warum eigentlich nicht jetzt?!

Düsseldorf wirbt damit, dass die Fußgängerampel eine Gelbphase hat. Wo man als Autofahrer noch schnell Gas gibt, solle man als Fußgänger auf keinen Fall bei Gelb die Straße überqueren. So wird es in einer Broschüre der Stadt beschrieben. Und es hat seinen Grund: Anders als in normalen Städten haben die Autofahrer noch ein paar Sekunden Rot, wenn das Fußgängersignal von Grün auf Rot springt, damit der Fußgänger noch eine letzte Chance hat, das andere Ufer zu erreichen. Nicht hier. Sobald der Fußgänger Rot hat, springt des Autofahrers Lichtsignal auf Grün. Und der Düsseldorfer lässt sich nicht lange bitten und fährt los – unabhängig von dem, was sich ihm da möglicherweise noch in den Weg stellt. Denn natürlich quert man hier als Gehender noch die Straße auch dann, wenn die Fußgängerampel auf Gelb springt. Weiterer Nachteil dieser Drei-Licht-Phasen-Nummer: Geht man auf eine gelbe Ampel zu, tritt man innerlich in einen Diskurs mit sich selbst: „Schaffe ich das noch? Bisher hat’s ja immer irgendwie geklappt…“ Meist geht es ja auch gut, aber es sollte wohl überlegt sein. Sinn ergibt diese Gelbphase nicht, reine Marketing-Nummer. Ich vermisse die Anzeige aus Münster, die dem Fußgänger ankündigt „Grün kommt“. Gut, was soll auch sonst auf Rot folgen?!)

IMG_4724(15.02.13, Düsseldorf Hafen, Fußgängerbrücke)

Zurück zu mir auf dem Boden über meinem Plan hockend. Ich habe schnell gemerkt, wo ich von meiner Route abgewichen war, wusste aber nicht mehr, wie ich an diese Stelle zurückkomme, da ich mich leider bereits außerhalb des Kartenmaterials bewegte, das ich somit wegschmiss. Ich bin niemand, der gerne nach dem Weg fragt, aber angesichts der fortschreitenden Zeit und Abenddämmerung (Sie haben keine ordentlichen Straßenlaternen hier, sie beleuchten mit Gaslampen, um die derzeit schwer gekämpft wird, obwohl sie nicht gerade viel Licht spenden …) biss ich in den sauren Apfel und sprach den Erstbesten an. Noch während ich ihn fragte „Können Sie mir sagen, wo ich in etwa bin? Bin ungünstig abgebogen“, merkte ich, dass ich einen Blinden nach dem Weg fragte. Mir war und ist natürlich klar, dass Nicht-Sehende durchaus wissen, wo sie sich aufhalten, aber ich fand es dezent komisch. Nun bat mir der freundliche Herr auch an, mir seinen Blindenhund (Sicherlich gibt es inzwischen eine politisch noch korrektere Bezeichnung, wie „Nicht-Sehenden-Führerhund“, wobei „Führerhund“ eher an „Blondie“ erinnert. War sein Herrchen letztlich blind?! Ja, irgendwo war er das. Wie auch sein Volk. Anderes Thema.) zu überlassen, was ich aber gottseidank schnell als Scherz erkannt habe. Blindenhunde sind die einzigen Hunde, die mir beim Laufen keine Angst machen, da ich sie für ausgesprochen gut erzogen halte. Ich überlegte kurz, meine Frage nach dem Weg an den Hund zu richten, um auch einen kleinen Scherz zum Geschehen beizusteuern, aber ich fürchtete, der Nicht-Sehende würde nicht sehen, dass ich mit dem Hund spreche. Während der Hund ungeduldig auf seine Uhr blickte, versuchte der Passant, mir den Weg zurück zu beschreiben. Und selbstredend konnte er das. Nur nach dem dritten „Dann müssen sie rechts an der Kirche links einbiegen“ (also doch nicht der Kölner Dom) war ich raus, ließ mir aber nichts anmerken. Der Hund schüttelte den Kopf, da er ja meine verzweifelten Gesichtszüge sehen konnte. „Viel Erfolg“ gab mir der Herr noch mit auf den Weg, weil er wohl ahnte, dass er es mit einem schwierigen Zeitgenossen zu tun hatte. Doch irgendwann fand ich zurück zur Weggabelung, an der ich mich verlaufen hatte. Letztlich war ich natürlich so weit abgekommen gar nicht und bin heute, das erste Mal nach drei Jahren, wieder an dieser Stelle bei einem 19-Kilometer-Lauf vorbeigelaufen. Das ist der Grund, warum er mir wieder eingefallen war, der erste Lauf durch Düsseldorf.

IMG_5363(11.06.14, Volksgarten, Uhren-Skulptur, nach dem Pfingststurm „Ela“)

Unvergessen vor rund einem Jahr mein Lauf nach dem Pfingststurm „Ela“, der in etwa 40.000 Düsseldorfer Bäume – ich kannte sie alle – in Mitleidenschaft gezogen hat. Jeder Idiot weiß, dass man nach so einem Unwetter Parks und Wälder meidet. Da ich aber offenbar kein Idiot bin, lief ich erstmal schön durch den völlig verwüsteten Volksgarten, der erst einmählich wieder sein altes Gesicht zurückbekommt. Schwere Wortfindungsstören gerade. Einmählich?! Heißt das Wort so, das ich suche?! Oder heißt es allmählich? Wie dem auch sei, langsam bekam er sein altes Antlitz zurück.

IMG_5399(13.06.14, Volksgarten)

Andere Erfahrung, die ich in Düsseldorf leider machen musste, die meine Mitbewohnerin, als sie vor drei Jahren nachzog, ebenfalls machte: Wenn man so durch die Stadt joggt und es kommen einem, sagen wir mal, vier Personen entgegen, die nebeneinander laufen, erwartet man neben dem tatsächlichen Entgegenkommen auch ein solches auch auf zwischenmenschlicher Ebene: Man möchte meinen, einer der beiden außen Gehenden mache Platz. Weit gefehlt! Hier nicht! Ich will mitnichten irgendwelche Klischees über Düsseldorf verbreiten, das tun sie schon selber, die Düsseldorfer, und oftmals sind es ja auch gar keine Düsseldorfer, die man in Düsseldorf sieht, sondern vielleicht Münsteraner. Aber von diesen Vieren fühlte sich keiner dazu veranlasst, mir Platz zu machen. Das erlebe ich immer wieder und ja, es gibt Schlimmeres, aber jedes Mal fluche ich laut, wenn ich einen gewissen Sicherheitsabstand erreicht habe, um meinen Ärger mitzuteilen. Natürlich ernte ich kein Verständnis.

Gerne wird man auch fast überfahren. An Ampeln beispielsweise. Auch unabhängig von der Gelbphase. Ich erinnere mich an ein Vorkommnis an der Kölner Straße. Ich hatte gerade ein Paket meiner Packstation entnommen (was ich oftmals beim Laufen tue, sofern es eine lauffähige Größe hat), da wurde ich von einem Autofahrer mit der Stoßstange berührt, obwohl ich dunkelstes Grün hatte. Er fuhr weiter, stockend, ich rannte hinterher und schrie dabei irgendwas mit „Arschloch“ und zeigte den Mittelfinger, den ich noch frei hatte, denn der andere war ja ins Tragen des Paketes involviert. Das muss Adrenalin sein, das einen so deutlich werden lässt. Weil der Fahrer nicht reagierte, klopfte ich an sein Beifahrerfenster. Ich weiß nicht, was ich mir erhofft hatte, doch beim Anblick des Fahrers wurde mir klar, dass ich mich verkalkuliert hatte. Mit so einem sollte ich mich nicht anlegen, dachte ich, doch es war schon zu spät. Nun wurde auch er laut und ich war von seiner Muskelmasse einigermaßen beeindruckt. Er konnte zudem wirklich sehr laut schreien. Fenster waren ja auch zu. Ich leitete also meine Flucht ein, wobei mir einfiel, dass er motorisiert und schneller sein würde. Erstaunlich, wie schnell man unter solchen Bedingungen mit einem Paket in der Hand plötzlich rennen kann! Ich tat es den Hasen gleich und nahm jede Stichstraße, die sich mir bot, um ihn abzuhängen. Was mir auch gelang. Seither zeige ich nur noch den Mittelfinger, wenn mal wieder jemand bei Rot fährt, halte mich ansonsten aber zurück.

Inzwischen gibt es auch in Düsseldorf kaum noch Ecken, die mir unbekannt sind. Zumal es zwei prägnante Gebäude gibt, die man auch aus weiter Ferne noch sehen kann. Zum einen den Rheinturm natürlich und zum anderen die „Deutsche Rentenversicherung“, in deren Nähe ich wohne. Als ich heute durch den Eller lief, erblickte ich plötzlich das zehn Kilometer entfernte Hochhaus, sodass ich mich nur fast verlaufen hätte.