zu den bisherigen Teilen1280px-Brueghel_-_Sieben_Laster_-_Ira(Pieter Brueghel der Ältere, 1526/1530-1569, Sieben Laster: Zorn, Carbonstich)

Um es ganz offen zu sagen: Ich bereue den Start dieser heiteren Serie jetzt, deren zweiter Teil mir große Sorge bereitet. Ich habe mich in dieser Woche für den Zorn entschieden, weil ich noch nicht bereit dafür bin, im Rahmen der Sünde „Wollust“ mein Sexualleben öffentlich zu machen. Obwohl Ihr da vor Neid erblassen würdet! Wir vertagen das also und rufen uns noch einmal in Erinnerung, dass es die sieben Todsünden als solche gar nicht gibt, sie sich aber an sieben miese Charaktereigenschaften orientieren, die da sind: Hochmut, Neid, Zorn, Trägheit, Habgier, Völlerei, Wollust. Daraus ergibt sich eben der populäre Begriff der “sieben Todsünden”. Des Neides habe ich mich bereits schuldig gemacht. Oder? Ich muss mal eben nachlesen. Nein! Hab‘ ich nicht! Toll! Aber wie sieht’s denn nun aus mit

ira – Zorn

Bei „ira“ kamen mir spontan zwei Gedanken. Der Begriff ist lateinischen Ursprungs und ich fühle mich zurückversetzt an den Tag, als ich statt Französisch Latein als zweite Fremdsprache ab der siebenten Klasse wählte. Ich weiß nicht mehr, warum, vermutlich, weil ich ahnte, dass ich für lebende Sprachen so gar kein Gefühl habe, insbesondere, was die Aussprache angeht. Und da zum einen das Lateinische sehr nach Deutsch klingt und zum anderen man es gar nicht spricht, fiel die Wahl auf diese Leiche, die mir aber fürs Deutsche extrem viel gebracht hat. Gute Wahl.

Französisch – geht bei mir gar nicht. Ich konnte mal einen Satz aus verschiedenen Vokabeln auswendig, wobei der Satz semantisch und grammatikalisch keinen Sinn ergab. Mit diesem Satz sprach ich 1998 auf einem Campingplatz irgendwo in Frankreich deutsche Urlauber an, die sich dann in gebrochenem Deutsch dafür entschuldigten, mich nicht zu verstehen. Ich gab dann auf Deutsch zurück, dass sie aber immerhin ein fast perfektes Deutsch sprechen würden. Heiteres Lachen die Folge, ich bekam Bier umsonst und landete mit einer Schönheit am Strand und es wäre fast zu Wollust gekommen. Doch weil meine runtergelassene Hose samt nicht unerheblichen Geldbetrages während des sich anbahnenden Aktes gestohlen wurde, wählte ich statt aufregenden Sex‘ im Sand die Jagd nach dem Dieb meiner Urlaubskasse. Als sich herausstellte, dass es der Ortspolizist war, der den vor Lust Betäubten bestohlen hatte, ahnte ich, dass eine Rückkehr meiner finanziellen Mittel sehr unwahrscheinlich war und Interpol sich dafür vermutlich nicht interessieren würde. Zurück bei meiner Eroberung haderte die gerade damit, dass sie ja zuhause in Deutschland einen Freund habe. „Das ist natürlich eine ungünstige Konstellation“, sagte ich und so gingen wir unverrichteter Dinge zurück zu meinem Zelt (am Strand hatte ich ebenfalls eines gebaut), wo wir immerhin dann so nebeneinander lagen und schliefen. Ich ärgerte mich allerdings mehr als dass ich schlief, überlegte noch kurz, an mir rumzuspielen, sah dann aber auch davon ab. Vom nächsten Tag an war unser Verhältnis ein eher verkrampftes. Und warum schreibe ich diese Anekdote nicht zum Thema Wollust?! Jetzt habe ich sie hier verbraten. Aber natürlich war ich zornig und es stellt sich die Frage, ob nicht zurecht.

Zorn hat allerdings unangenehme Begleiterscheinungen, die im Affekt auftreten und Affekt ist immer scheiße. Wir nähern uns dem Tatbestand der Sünde, zumal wenn die Wut von aggressivem Verhalten begleitet wird. Das kenne natürlich auch ich, wobei das lediglich verbal stattfindet oder sich gegen Gegenstände richtet. Jähzorn fällt auch in diese Kategorie, eine äußerst unsympathische Angelegenheit, die man unmöglich an sich selber mögen kann. In der Tat hatte ich vor etwa zwei Wochen einen Wutausbruch, wie ich ihn vielleicht einmal im Jahr habe, da ich zumindest nach außen hin eher ruhig bleibe. Man frisst dann das ein oder andere in sich hinein, bis es dann doch mal eben hochkocht, und wenn das am Arbeitsplatz geschieht, kann es etwas peinlich werden. So schlug ich die ein oder andere Tür und entfernte mich dann vom Geschehen, um laut vor mich hin zu fluchen, bzw. den Verursacher meiner Wut Tod, Teufel, Hölle und Dämonen an den Hals zu wünschen. Übrigens hat das geklappt. Wobei, nein, lebt noch.

Es fällt mir noch schwer, in so einem ordentlichen Wutausbruch mit seiner befreienden Wirkung die Sünde zu finden. Ich war ja weit entfernt davon, jemanden körperlich anzugehen. Auch wenn es da vollkommen verdient gewesen wäre. Nein, doch nicht. Ihr merkt, ich hadere noch. Ich lehne Schlagen schon allein deshalb ab, weil es bei mir sehr ungelenk aussähe und ich vermutlich nicht mal treffen würde. Außerdem könnte ich mir ja auch eine fangen – und wer will das schon?! Meine Mitbewohnerin weiß das, übt sich aber selber in Kampfsport und Selbstverteidigung. Sie war aber schon vor ihrer sportlichen Betätigung die letzte, die Schläge von mir zu erwarten hätte. Ihr übrigens liegt Zorn völlig fern.

Dem Zorn geht in der Regel eine Kränkung voraus und/oder das Gefühl von Ungerechtigkeit. Und Ziel des Zorns ist eben nicht Vergeltung. Verdammt, denn dann hätten wir den Sündentatbestand. Aristoteles, ich konnte ihn noch knapp kennenlernen, zählte Zorn übrigens zu den elf Grundgefühlen, aus denen ich ebenfalls ’ne Serie machen sollte. Ich kenne nur ein Grundgefühl: mich.

Wir müssen die Nummer historisch betrachten: Große Teile der Menschheit sind zivilisiert und auf dem Wege dorthin galten zum einen Affektiertheit und fehlende Kontrolle als zu domestizieren, um Chaos zu vermeiden. Zorn war nicht gern gesehen und zum zweiten schon gar nicht von der herrschenden Klasse, die im Zorn des Pöbels völlig zurecht ein gewisses Aufbegehren erkannte, das ihr ja nicht lieb sein konnte. Somit war es ja eine supi Idee, Zorn als eines der sieben Hauptlaster mit Höllenfeuer als vorgesehene Bestrafung zu brandmarken, um einen Aufstand schon im Kern zu ersticken – und vielleicht auch, weil „sieben Todsünden“ besser als „sechs Todsünden“ klingt.

Es will mir nicht gelingen, Zorn, wenn er einen gerechten Grund hat, zu verteufeln. Ich weiß wie viele andere auch, wie unschön es ist, Zorn zu unterdrücken, denn irgendwann explodiert man ja doch. In dem Fall sollte man es genießen, es ist sehr befreiend, jedoch ist darauf zu achten, nichts Wertvolles oder Teures zu zerstören. Türen knallen geht eigentlich immer, ein bisschen Rumbrüllen ist beeindruckend, wobei eine dunkle Röte im Gesicht unabdingbar ist. Dazu muss man irgendwie Blut in seinen Kopf pressen, wovon dann die geschwollene Halsschlagader zeugt. Bei mir beobachte ich auch anschwellende Äderchen an den Schläfen. Achtet darauf, wie Euer Publikum reagiert. Die meisten nehmen etwas verschämt Abstand, nur die Mutigsten trauen sich, offen zu lachen. Und die riskieren natürlich einiges, wenn sie einem hochroten Wutbürger demonstrieren, dass sie ihn nicht ernstnehmen. Und das können sie auch nur, wenn – das betrifft hier eher die Männer – die Stimme nicht bricht. Nichts ruiniert den Effekt eines ordentlichen Wutausbruches mehr als eine wegbrechende Stimme. Von lautem, männlichen Gebrüll, das in ein fiepsendes Gekreische abgleitet, ist dringend Abstand zu nehmen!

Nach meinem besagten Wutausbruch vor zwei Wochen musste ich danach allerdings selber über mich schmunzeln, da ich das so auch nicht von mir kannte. Unverhofft freigesetzte Energie hatte mir hernach einen tollen Arbeitstag beschert.