Zu Teil 1 (Neid) und Teil 2 (Zorn)!

Georg_Emanuel_Opiz_Der_Völler_1804(Georg Emanuel Opiz, Der Völler, 1804)

Dritter Teil der heiteren Todsünden-Serie, die sich weiters um die Sünde der Wollust drückt und mit der sechsten Todsünde, der Völlerei, in die nächste Runde geht. Völlerei hat üble Folgen, folgt man der Lehre der katholischen Kirche. Unter Hölle mit ewigen Schmerzen ist da nichts zu machen, was schade ist, da ewige Schmerzen lang andauern dürften. Abgesehen davon, dass ich die Konsequenz der Hölle als absolut unverhältnismäßig empfinde, bleibt nur zu hoffen, dass die Synapsen des Sträflings nach ein paar Jahren des Schmerzes abstumpfen und die Reize nicht mehr übertragen. Dann allerdings hätte man mit ewiger Langeweile zu kämpfen. Wer absolut sicher gehen und sich das ersparen will, dem sei ein Eintritt in ein Kloster ans Herz gelegt, wo Bescheidenheit an der Tagesordnung steht – eben aus diesem Grunde.

Wikipedia verlinkt im Zusammenhang mit der Völlerei unter anderem auf „Binge Eating“ und „Essstörung“. „Binge Eating“, dolle Sache. Man muss nicht auf die nächste Mahlzeit warten, man schließt das Abendessen direkt an die Birne Helene an. Das ist allerdings in sofern einseitig, als dass Völlerei eben nicht nur eben nicht nur übermäßiges Essen meint, sondern ein ausschweifendes und maßloses Leben. Hier bekenne ich mich in Teilen schuldig – der

gula – Völlerei

Es fällt mir jedes Mal schwer, mich (öffentlich) mit den Todsünden auseinanderzusetzen, denn Völlerei meint auch Selbstsucht, einen weiten Begriff, dem ich mich hier keinesfalls unterwerfe. Dann lieber doch Gefräßig- und Maßlosigkeit. Maßlosigkeit wird mir gerne von meinem Vater unterstellt. Der muss es wissen, denn von ihm habe ich es ja, eine Tatsache, in der ich es mir komfortabel gemütlich mache. Was ich jahrelang abgestritten hatte, beobachte ich nun im reiferen Alter doch bei mir. Klassisches Beispiel war schon früher die Dosierung des Kaffeepulvers. „Du kennst kein Maß“, sagte mir mein Vater damals schon, der, sagen wir mal, leicht erhöhten Blutdruck hat und von von mir gekochten Kaffee ungern trank. Mir hingegen kann Kaffee eben nicht stark genug sein, denn das ist ja nun mal Sinn des Kaffees. Ich würde auch nie alkoholfreies Bier trinken. Allerdings auch kein alkoholhaltiges.

Kleiner Exkurs: Ich weiß bis heute nicht um die korrekte Kaffeepulver-Dosierung. Aufgewachsen war ich mit der Regel „drei Lot auf vier Tassen“ oder „fünf Lot auf sechs Tassen“, also stets eine Tasse mehr als Lot. Doch Sinn ergibt das nicht, da das Verhältnis jedes Mal ein anderes ist. Inzwischen dosiere ich nach Augenmaß, zumal ich kein Lot nutze, sondern eine Kaffeemühle.

Die Sünde besteht nun darin, dass ich die Gabe Gottes, den Kaffee, der vermutlich unter sehr unfairen Bedingungen geerntet und gehandelt wird, nicht zu schätzen weiß. Und vermutlich stimmt das. Also: beichten und fair gehandelten Kaffee kaufen.

„Viel hilft viel“ ist auch mein Vorgehen bei Medikamenten. Freilich sprechen wir hier nicht von Hardcore-Pharmazeugs, sondern von den üblichen Erkältungsmedikamenten, die natürlich auch alle zurecht umstritten sind und in ihrer Wirkung fragwürdig. Dennoch wird ein Kratzen im Halse bei mir mit einer Armee von Medikamenten bekämpft (Ich weiß es besser; es gibt keine Erkältungsmedikamente mit Wirkung und ohne ist gesünder. Und auch das macht die Todsünde aus, ich handele bewusst und wider besseres Wissen). Ich habe eine Stammapotheke, in der man mich kennt, allerdings aus anderen Gründen. Ich stehe kurz davor, einen Schlüssel für sie zu bekommen. Ich durfte da sogar schon bei einem Gewinnspiel mitmachen, das eigentlich für Kinder gedacht war und habe ein Malbuch abgestaubt, das jetzt verstaubt, weil ich meine Filzstifte verlegt habe. Ich gehe dennoch davon aus, dass ich noch nicht einmal eine Erkältung durch Medikamentenkonsum verkürzt habe. Das Gegenteil dürfte der Fall sein, aber wer arbeitet schon gerne mit diesen nervigen Symptomen. Wir merken, ich diskutiere noch mit Gott über dieses Laster. Und er weiß, dass eine Erkältung mich im Alter von zwölf einmal sehr nahe an die Grenze zum Tode gebracht hat. Dieses Argument dürfte ihn überzeugen.

Verstehen wir „Völlerei“ unter dem Gesichtspunkt der maßlosen Nahrungsaufnahme, stehe ich in einem besseren Licht, da ich seit rund 15 Jahren nur einmal am Tag esse. Ich folge da keinem Prinzip oder einer bewussten Entscheidung, es ist einfach so und spare mir Diskussionen über „alle drei Stunden essen“ oder „nach 18 Uhr gar nicht mehr essen“. Ich esse, wann es mir passt. Und vor allem: was mir passt. Wenn ich Bock auf fünf Kilo Kohlenhydrate habe, gibt es fünf Kilo Kohlenhydrate. Gelüstet es mich nach einem Pfund Butter, wird gebuttert. Sättigung und Geschmack haben bei mir Priorität, allerdings in umgekehrter Reihenfolge… Hier und da bin ich bekannt als Asket in Sachen Essen und wurde jüngst dabei fotografiert, als ich eine Pizza aß. Das Foto ging um mit dem Kommentar „Es isst“. Es heißt also, ich esse nicht, doch denkt man das weiter, müsste doch deutlich werden, dass wenn ich lebe, auch esse.

Wo ich hingegen zur Völlerei neige, sind Brunches. Es geht nichts über Brunchen, wobei es mir nicht darum geht, den Pauschalpreis rauszuholen, sondern möglichst alles zu essen, was gerade angeboten wird. Gerade gestern selber einen kleinen Brunch für Mitbewohnerin und Gäste zubereitet, wo ich mich allerdings zurückhielt, um nicht als Völler dazustehen. Nachdem die Gäste weg waren, kam Brunch Nummer zwei. ;) Meiner Erfahrung nach ist so ein ausgedehntes Frühstück sehr leicht zuzubereiten bei maximalem Schinden von Eindruck, um den es natürlich nur tertiär geht. Wir haben nun auch die Entscheidung durchgewinkt, jeden Samstag ausgiebig zuhause zu brunchen. Könnte man am darauffolgenden Sonntag direkt beichten. Wobei gerade bei so einem Brunch weiß ich Gottes Gaben zu schätzen. Ich bin übrigens nicht gläubig, zumindest zielt mein Glaube auf andere Dinge ab. Nun ist mir die Hölle sicher. Kann ich eigentlich auch reinhauen jetzt. Wie ist das eigentlich vor einer juristisch wasserdichten Hinrichtung? Kommt der Pfarrer vor oder nach der Henkersmahlzeit? Steht einem bei seiner Henkersmahlzeit eigentlich der Sinn nach Völlerei? Allerdings ist die Hinrichtung die größere Sünde, die sich manch demokratischer Staat noch leistet. Möget Ihr in der Hölle schmoren.

Zweifellos zur Völlerei neige ich nach einem ordentlichen Besäufnis. Manch einer fühlt sich am Folgetag nicht in der Lage, etwas zu essen, bei mir ist das absolute Gegenteil der Fall. Abgesehen davon, dass das Gelage am Vorabend an sich schon Völlerei darstellt, plane ich schon beim Zubettgehen – sofern ich da überhaupt noch irgendwas planen kann – die maximal fetthaltige Völlerei. In Bezug auf Nahrungsaufnahme und auch auf – Sex. Ich sag‘, wie es ist. Das ist wissenschaftlich allerdings untermauert und ich gebe es nur laienhaft wieder. Der übermäßige Alkoholkonsum schaltet neben zahlreichen Bereichen des Hirns auch den ab, der für gewisse Hemmschwellen zuständig ist. Wenn der Körper schon von dem einen Suchtmittel zuviel bekommt, verlangt er auch nach weiteren. Bei manchem ist das Koks, bei mir ist das Essen. Sättigungsgefühl ist ausgeschaltet oder wird ignoriert und der Magen mit dem ekligsten Essen befüllt, sodass ich danach einen Fresskater habe, der den eigentlichen überspielt. Beim Kaffee allerdings halte ich mich an solchen Tagen zurück, sodass hier ein gewisser Ausgleich stattfindet, so man es sich denn schönreden will.

Lebe ich ansonsten maßlos und ausschweifend? Allein mir fehlen die pekuniären Mittel, ansonsten wäre ich vermutlich dabei. Maßlos bin ich im Konsum technischer Geräte. Beispiel Fernseher. Ich gucke nur noch non-linear („Binge Watching“, was wie „Binge Eating“ auch maßlos ist.) und das kann ich überflüssigerweise auf mehreren Wegen, denn man braucht an sich keinen Chromecast, wenn der Fernseher ein smarter ist. Und wenn wir abschließend unseren ausschweifenden „westlich“ genannten Lebensstil mit dem von Naturvölkern vergleichen, wird’s dann doch etwas dekadent.