Der dritte Versuch nach Menschemassen und Menschenmassen II. Aber auch unabhängig davon lesbar. Und gib ihm.

CottontallRabbit

(Hallo, Anja.) Ich als ausgewiesener Menschenfreund bin ja absoluter Fan von massierten Menschen. Also von Menschen, die sich in großen Massen auf möglichst knappem Platz zusammenfinden, um rhythmisch ihre Gliedmaßen zu bewegen. Ich wäre der letzte, der sich da unwohl fühlen würde. Ich giere geradezu danach. Und nicht selten rufe ich Passanten in meine Wohnung, einfach damit es schön eng wird.

Vorgestern war ich auf einer Veranstaltung, die sich aus unerfindlichen Gründen „Kaninchendisko“ nennt. Wer hier Kaninchen erwartet, möglicherweise Düsseldorfer Kaninchenzüchter (oder Hasenzüchter, die den Unterschied zwischen Hase und Kaninchen nicht kennen (sie wären doppelt enttäuscht, da sie weder auf Hasen noch auf Kaninchen träfen)), der wird mit einer großen Enttäuschung rechnen müssen.

Es war eine freilich Freilichtveranstaltung und ich fackelte nicht lange, bedrängte meine Begleiter, möglichst zügig die großzügig angelegte Tanzfläche auszusuchen, denn sobald ich Musik höre, muss ich einfach tanzen, das hab‘ mich im Blut, das ist menschlich, das ist warm, das ist Seppo. Dann schiebt man sich oder wird vielmehr durch die Massen geschoben und wundert sich, dass man überhaupt ankommt. Im Gedränge verschüttet man da gerne sein Getränk über sich selbst oder im besten Fall über andere, denen man gleichzeitig auf die Füße tritt. „Pardon“, sag‘ ich dann am laufenden Band oder kriege Schläge angedroht, was selten und unverhältnismäßig ist. Abgesehen davon ist es schwierig, in so einem Gedränge zu schlagen, denn zu einem kräftigen Schlag muss man ausholen können, dafür reicht der Platz jedoch nicht. Kneifen ginge. Und beißen. Zwei Gewalt-Mechanismen, die auf engstem Raume funktionieren, man muss zu einem Biss in die Schulter beispielsweise nicht ausholen. Es sähe allerdings sehr albern aus. Vielleicht probiere ich das mal, ich beiße mir den Weg frei. Zum Thema Beißen eine Erkennis: Führt man den Vorgang des Beißens mit einer Parallel-Handlung aus, so ist darauf zu achten, dass die Parallelhandlung nicht zu kräftig erfolgt, da man schnell die für die Parallelhandlung aufzuwendende Kraft auf den Beißvorgang überträgt, sodass diese Primärhandlung des Beißens stärker ausfällt als ursprünglich geplant. Nicht selten beißt man plötzlich ein Stück zum Beispiel seiner Mitbewohnerin ab, die dann nicht ganz zu Unrecht verärgert reagiert.

Da mein Geist sich in solchen Massen-Situationen verabschiedet und dem Körper entfleucht, konnte ich die Szene von oben beobachten und sah da fünf Menschen auf der Tanzfläche stehen, von denen einer ein irgendwie unzufriedenes Gesicht machte und sich ansonsten nicht bewegte, während die vier anderen zumindest zuckten. Die eine gab dem vor sich hin harrenden den Tipp, vielleicht mal den Arm zu heben in einem, sagen wir mal, 135 Grad-Winkel, was mit dem zurecht nicht gern gesehenen Hitlergruß natürlich nichts zu tun hat, um ihn dann möglichst passgenau zur Musik leicht wippend auf und ab zu bewegen. Mit einem Getränk in der Hand wollte derjenige das wohl nicht tun und so bekam er die Empfehlung, dann einfach mit dem Kopf leicht zu wippen, wobei auch das zum Takt der Musik zu erfolgen hat. Auch das lehnte er ab und ich sah, wie er sich mit einer leeren Bierflasche beschäftigte, die am Boden lag. Ob er da reinschiffen könnte? Denn auch das ist ja immer wieder ein Problem von mir. Kaum habe ich die Tanzfläche erreicht, drängt es mich zum Toilettenwagen, wo schon ab 18.00 Uhr die Herrentoiletten für die Damenwelt freigegeben waren. Immer sehr ärgerlich, denn ein evolutionärer Vorteil des Mannes ist ja seine „fünfte Extremität“, die es ihm erlaubt, problemlos im Stehen zu ona urinieren, was den Gesamtvorgang deutlich abkürzt, sodass die Schlangen vor dem Herren-Dixi stets kürzer sind. Wären, wenn sich nicht die Frauen dazu gesellen würden. Und so stand ich da mit einem Kumpel in der Schlange und es musste uns erst ein Betrunkener darauf hinweisen, dass sehr wahrscheinlich die Urinals oder Urinale von den Frauen nicht mitbenutzt würden, ob wir nicht einfach mal mit unseren Schlangen an der Schlange vorbeihuschen würden mit dem direkten Ziel der Stehtoiletten. Er hatte Recht und fortan gab ich so ziemlich jedem an den vielen Schlangen den Tipp, ihre Schlange an den Urinals zu wringen. So zerstört man natürlich den Effekt, wenn man diesen Geheimtipp verrät, so, als wenn jeder in einem Stau stehende den Stau auf gleicher Strecke umfährt.

Interessantes Phänomen, wenn Herren und Damen dasselbe Klo benutzen: Jeder, aber wirklich jeder der Herren, wäscht sich nach dem Urinieren die Hände. Weil die Frauen ja direkt danebenstehen und möglicherweise will man ja noch die ein oder andere anfassen. Und so ziemlich jeder Typ machte den Scherz „Jetzt muss ich mir ja die Hände waschen!“ Nun würde mich mal interessieren, wie viele Männer sich nicht die Hände waschen! Auch ich wurde jüngst wieder in den Toilettenwagen zurückgeschickt – auf der Kirmes in Düsseldorf -, weil ich erwischt wurde, wie ich ungewaschen das Klo verließ. Ich würde ja sagen, dass ich das in aller Regel tue, also meine Hände waschen, und ich tu’s auch, doch es war eine spezielle Situation, in der Eile gefragt war. Ich könnte ja jetzt auch sagen, dass mein Penis immer derart sauber ist, dass er bisweilen glänzt, aber ich sehe ein, die Argumentation ist nicht aufrecht zu erhalten und wenn ein Penis strahlt ist das vielleicht auch Zeichen einer Erkrankung. Man stelle sich vor, er strahlt im Dunkeln. Ich hab‘ meinem mal ein Hütchen aufgesetzt, die erotische Stimmung war danach kaputt. Humor hat im Bett nichts zu suchen. Man muss sich entscheiden: eine gute Pointe oder ein Orgasmus? Beides ist schwierig zu vereinbaren.

Der Abend verlief dann so, dass ich nur anhand einer EC-Karten-Zahlung in meinem Online-Bankzugang nachvollziehen konnte, wann er für mich endete. Aus Erzählungen weiß ich, dass ich in einem weiteren Etablissement abermals die Tanzfläche aufsuchte, wobei ich stabilisiert werden musste. Weil ich so ausgelassen tanzte. Und es gibt da ein verstörendes Foto. Also es gibt zwei. Aber eben auch dieses verstörende, wo ich jemanden umarme, aber nicht weiß, wen, zumal die Köpfe auf dem Bild nicht zu sehen sind (Ich erkannte mich an meinem an einer Kette hängenden Portemonnaie.). Ich zeigte das Foto meiner Mitbewohnerin und erbat mir Eifersucht, die dann aber ausblieb. Das muss man sich erstmal erarbeiten: dieses grenzenlose Vertrauen, das ich da genieße. Aber so ein bisschen Eifersucht wäre doch nicht zuviel verlangt!