Inguinalhernie-Hund

Oft sauge ich mir Dinge aus den Fingern, über die ich schreiben kann. Zuletzt war ich allerdings leergesaugt oder -gesogen, doch das Schicksal meinte es am Wochenende gut mit mir und überraschte mich mit einem Geburtstagsgeschenk, das im seppolog das Potenzial zu einer Serie hat.

Geburtstage spielen bei mir keine sehr große Rolle, nicht mal wenn es meine eigenen sind, die jährlich stattfinden, womit ich mich in guter Gesellschaft befinde. Am Wochenende war es mal wieder soweit; viel geplant war nicht, alles im kleinen Kreise mit meiner Mitbewohnerin. Dennoch bleibt dieser Ehrentag in Erinnerung, da ich große Teile dessen in der Notaufnahme verbracht habe. Ein Jahr vor unserem ersten Geburtstag waren wir ja alle im Krankenhaus, sofern nicht in der häuslichen Badewanne oder einem Taxi mit überfordertem Taxifahrer.

Während eines Laufes mit meiner Mitbewohnerin, sprechen wir von einem „Geburtstagslauf“, hatte ich ein ungutes Gefühl in der Leistengegend. Zuhause stellte ich fest, dass mir dort auf dem Venushügel ein drittes Ei gewachsen war. Für mich war sofort klar, dass es Krebs sein muss – Rumoren durch Tumoren. Ich mache mich keineswegs darüber lustig, aber Schwellungen im Intimbereich sind selten eine gute Nachricht, wenn nicht Erregung im Spiel ist. Und da ich bei solchen Dingen schnell in Panik gerate, informierte ich umgehend meine Mitbewohnerin über eine Planänderung, die alle anderen Pläne vereiteln sollte: „Wir fahren nun in die Notaufnahme, mein Intimbereich weist Veränderungen auf.“ Da wurde nicht lange diskutiert, da wurde losgefahren und während ich so fuhr, überlegte ich schon, welche Dinge sie mir in die Tasche packen soll, da ich fest davon ausging, dass man mich direkt dort behalten wird. Zeit für eine Intimrasur nahm ich mir allerdings noch, da ich den Wildwuchs niemandem zumuten wollte, wenn ich meine Hosen fallen lasse.

Bei der „Anmeldung“ setzte ich nun die freundliche Krankenhausangestellte davon in Kenntnis, dass es oberhalb meines Gliedes zu Unregelmäßigkeiten gekommen sei. Meine Mitbewohnerin sagte mir später, dass wenn ich mich so in Loriot-Manier in der Notaufnahme verhielte, würde man mich nicht ernstnehmen und so würden lange Wartezeiten für mich entstehen. Da wusste sie ja nicht, dass ich eh davon ausging, die Klinik so schnell nicht verlassen zu dürfen.

Während ich da so wartete, hatte ich unangenehm viel Zeit, mir die nahe Zukunft auszumalen. Krebs als zweithäufigste Todesursache in NRW war für mich eine wahrscheinliche Diagnose, auch wenn ich „erst“ 36 bin, was aber leider auch immer häufiger wird. Also nicht das Werden von 36, sondern Krebs in jungen Jahren. Und dann dachte ich über die Bettpfannen nach. Die würde ich unter allen Umständen verweigern. Kackt man da, während noch andere auf dem Zimmer liegen?! Im Liegen?!  Mit mir nicht zu machen. Selbst die Urinflaschen stellten die zwölfjährige Ausgabe von mir mal vor ein großes Problem. Damals lag ich im Krankenhaus und durfte nicht aufstehen. Also legte ich mir die Flasche an den kleinen Seppo und nichts geschah. Ich musste schiffen wie noch nie zuvor in meinem Leben, aber es ging einfach nicht. Unfassbare Schmerzen waren die Folge und ein mega geladenes Rohr, man macht sich keine Vorstellungen. Ich bettelte den damaligen Arzt an, mich aufstehen zu lassen, da mir sonst die Blase platzen würde und vermutlich auch der Penis. Ein nicht hinzunehmender Kollateralschaden. Da macht man Jahre nach der Geburt noch völlig ungeniert in Hosen und Betten, aber wenn man dann mal wirklich darf, geht’s nicht. Gut trainiert. Letztlich ließ man mich dann unter Begleitung auf ein Porzellan-Klo und mir bleibt diese Erleichterung unvergessen.

Ich kacke in keine Pfanne. Ich könnte mir danach nie wieder ungeniert ein Ei oder jemanden in die Pfanne hauen. „Patient geht wider Anraten des Arztes eigenständig auf die Toilette“ – hätte ich unterschrieben.

Irgendwann wurde dann mein Name aufgerufen. Zusammen mit zehn anderen. Es wurden alle aufgerufen und die versammelte Mannschaft bewegte sich vom Warteraum in einen anderen Warteraum. Auch dort konnte ich mir viele Gedanken machen über mein Schicksal. Über diesen Tag, der meinem Leben eine gewisse Drehung versetzen würde. „Sie muss mir den Laptop einpacken“, dachte ich so, denn gegen Geld gibt es W-Lan in der Klinik.

Ich kam als letzter dran. Eine freundliche Dame bat mich in bestimmten Ton ins Behandlungszimmer und ich dachte noch, die Glückliche, die darf gleich mein Glied bestaunen. Hoffentlich ist das Zimmer groß genug.

Der Arzt durfte natürlich auch gucken, denn ich ließ direkt die Hosen runter, was soll man groß reden. Dann kam etwas, das ich von der Musterung kannte: „Husten Sie einmal“, wobei mir dieses Mal kein Finger hinten drinsteckte. Und ja, beim Husten tut es weh und die Beule vergrößert sich. „Das ist ein Leistenbruch.“ Große Erleichterung bei mir. Freude brach aus und ich weiß nicht, ob sich schon einmal jemand derart über einen Leistenbruch gefreut hat. „Ich dachte, es wäre ein Tumor“, erwähnte ich, weil Ärzte es sicher toll finden, wenn der Patient die Diagnose zum Arztbesuch schon mitbringt. Er lächelt müde und erzählt mir von einem Freund, der ebenfalls Chirurg sei und sich seinen Leistenbruch seit fünf Jahren nicht operieren lasse, weil er Angst habe. Ein Chirurg, der offenbar wenig Vertrauen in sein Handwerk hat. Aber will man jahrelang mit einem dritten Ei rumlaufen?! Abgesehen davon, dass es gelegentlich wehtut. Und vor einigen körperlichen Tätigkeiten habe ich jetzt Angst, gehen aber auch, haben wir ausprobiert. Ich finde Leistenbruch sehr unsexy.

Ich habe diese Woche einen ersten Termin. Die Nummer wird natürlich operiert und das ambulant. Danach zwei Wochen krankgeschrieben, was natürlich der positive Aspekt des Ganzen ist, neben der Sache, dass ich vermutlich keinen Krebs habe. Über ein Ei am Arm hätte ich mir zum Beispiel keine Gedanken gemacht. Aber in einer Region, wo es von Samen- und Harnsträngen und Därmen nur so wimmelt, will man so etwas nicht haben. Dank gilt meiner Mitbewohnerin, die sich von mir nicht merklich hat runterziehen lassen und einer Freundin, die mit Kuchen im Krankenhaus vorbeigekommen wäre.

Über die Ursache kann man nur spekulieren, vermutlich onaniere ich zu oft. Lass‘ ich den Satz stehen? Natürlich. Ich alter Wichser.

Den Tag hat es dennoch versaut und ich habe mich danach erst einmal aus großer Freude über die Erstbest-Diagnose an einer Flasche Captain Morgan delektiert.

Gratulationen bitte an kontakt@seppolog.de! Zudem bitte ich davon abzusehen, mir Mitteilungen zu Leistenbruch-Erfahrungen zukommen zu lassen; ich möchte mich der vermeintlichen Illusion hingeben, dass das alles unkompliziert verlaufen wird!

Übrigens, wie ein Leistenbruch aussieht, demonstriert Wikipedia mit einem anschaulichen Bild. Meine Beule ist allerdings deutlich weniger groß. Meine ist niedlich. Obiges Foto zeigt einen Leistenbruch beim Hund.