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Update unten!

Das Mietverhältnis mit meiner Mitbewohnerin funktioniert seit mehr als zehn Jahren aus einem sehr simplen Grund ausgesprochen gut: Jeder der Beteiligten kann im Grunde tun und lassen, was er will, sofern unser Bett ausschließlich von uns benutzt wird. Und so erlaubte ich mir vor ziemlich genau einem Jahr, mir einen Bart stehen zu lassen, was ich schon viel eher hätte tun sollen. Meine Mitbewohnerin beobachtete das Experiment mit Argwohn und vielleicht auch einer gewissen Naivität, denn mitnichten war es für mich ein Experiment, höchtens ein nach bereits wenigen Wochen gelungenes. Und ich weiß nicht mehr, wie sie darauf kam, dass der Bart bis Weihnachten 2014 wieder verschwunden sein würde. Zunächst aber ließ ich sie in dem Glauben, nicht aktiv, aber doch sehr passiv, indem ich nicht widersprach, sondern vom Thema ablenkte.

Weihnachten 2014 ist nun lange Geschichte und sie weiß nun, dass der Bart Weihnachten 2014 überstehen wird. Aber Freunde sind Bart und Mitbewohnerin bis heute nicht geworden, wobei sie keine optischen Einwände erhebt, sondern eher auf die taktile Problematik hinweist. So ein Bart kratzt eben und das auch in ihrem Gesicht, wenn ich ihr (bedrohlich) nahekomme. Gestern Abend, als wir den Prozess des Einschlafens einläuteten, fiel mir allerdings auf, dass auch ich leide – unter ihren Haaren, die sie vornehmlich am Hinterkopf trägt. Liege ich dann recht nahe bei oder vielmehr an ihr, hängen mir ihre Haare in meinem Gesicht, teilweise atme ich sie sogar ein. Und so schlug ich ihr vor, dass wenn ich meinen Bart abrasieren müsse, sie auch ihre Haare abnehmen müsse. Das sei nur fair. Wie sehr sie meinen Bart hassen muss, machte sie mir mit ihrer Antwort auf diesen Deal deutlich: „Okay.“

Sie weiß natürlich, dass eine Kurzhaarfrisur bei ihr nicht in meinem Sinne wäre, aber es scheint, sie würde alles tun, um mein „George Clooney-Kinn“, wie sie es nennt, wieder einmal sehen zu können. Fotos, die älter als mein Bart sind (also soooo einen Bart haben), können wir uns kaum ansehen, sobald ich Teil des Motives bin, da sie beinahe wehmütig mein haarfreies Gesicht betrachtet. „Guck‘ mal, wie gut Du da noch aussahst“, heißt es dann. „Ja, aber da sieht mein Kopf doch aus wie ein Ei.“ – „Jetzt sieht er aus wie ein Ei mit Haaren.“

Vielleicht ist der monatliche Bart-Schnitt genau deshalb für sie so ein Vergnügen. Mein Vertrauen in sie geht immerhin so weit, dass ich ihr Schere und Kamm an die Hand gebe, damit sie meinen Bart wieder in Stellung bringt. Früher geschah das alle vier Wochen, inzwischen habe ich den Eindruck, dass ich wöchentlich in der Küche auf einem Hocker über einem Handtuch sitze und ihr ausgeliefert bin. „Nur die Spitzen“, erwische ich mich, zu sagen worauf sie beschwichtigt „Jaja, ich schneid‘ nur unten ein bisschen …“ Aber was hat die Schere dann an meinen Wangen zu suchen?!

Beim Betrachten von Fotos, wo ich den stolzen Bart bereits stolz trage, fiel mir jetzt allerdings auf, dass mein Bart mal viel länger war. Da sind die Urlaubsfotos, die mich aus dem Ozean steigend zeigen – mit nicht unerheblichen Teilen des Meeres noch in meinem Bart hängend. So ein Bart ist eben auch Wasserspeicher. Andere trocknen ihre Haare nach dem Duschen, ich muss den Bart trocknen. Früher konnte ich noch große Mengen des Abendessens in meinem Bart speichern, inzwischen bleibnen nur noch klägliche Reste von Saucen dort hängen. Ich glaube, die Frau hat mich über den Tisch gezogen und jede Gelegenheit genutzt, das Längenniveau meines Bartes ihrem Geschmack anzupassen und würde ich dem nun nicht Einhalt gebieten, wäre mein Bart innert der nächsten drei Monate zu einem erbärmlichen Dreitage-Bart degeneriert. Diese hinterhältige Mitbewohnerin hat es geschafft, mich sukzessive an einen kürzeren Bart zu gewöhnen. Schamlos ausgenutzt hat sie demnach mein Vertrauen – so sehe ich das, während ein Freund mir sagte, dass das doch recht schlau von ihr gewesen sei, was er ihr gar nicht zugetraut hätte. Sie zeigt nun ihr wahres Gesicht, während ich meines unter einem Bart verberge.

Damit ist aber nun Schluss, ich habe ein Bartschneide-Moratorium verhängt: Der Bart wird in den nächsten Wochen keinen Kontakt mit Schneidwerkzeug haben, ich will die alte stolze Länge zurück. Kitzeln oder Kratzen tut der Bart unabhängig davon, ob er nun drei oder eben fünf Zentimeter lang ist. Meinetwegen erhöhe ich die Menge des Bart-Öls, wenn es intim wird oder wir ölen uns komplett ein, was ja auch seinen Reiz hat. Problematisch am Bart-Öl ist jedoch, dass sobald man sich mal, weil man zum Beispiel schwer nachdenkt, durch den Bart fährt, man eine Ölschicht an seinen Händen trägt, die man dann überall in der Wohnung verteilt. Aber solange sie Nagellack verteilt, verteile ich eben Bart-Öl. Eine weitere Eskalationsstufe im Krieg um den Bart.

Als wir unser Mietverhältnis gestartet hatten, sagte ich ihr, vor ihr käme immer das Laufen. Inzwischen laufen wir ja zu zweit, sodass das keinen Konflikt darstellt – und es war auch nie einer, warum auch. Ich würde nun den Bart in diese heikle Rangfolge einfügen, lasse aber offen, welchen Platz er belegt, da ich Prügel fürchte, sie macht ja Kampfsport. (Gestern Abend griff sie mir einmal an mein Ohr. Nicht aus Zärtlichkeit, sondern weil man über das Ohr seinen Gegner schachmatt setzen kann. Es war nur ein Reflex, glaube ich, aber es zeigte mir, die Gefahr, die von ihr ausgeht, ist real und nicht zu unterschätzen. Inzwischen habe ich eine Waffe bei mir unter der Matratze, um mich dann wehren zu können, wenn sie im Schlaf – der bei ihr sehr lebendig ausfallen kann – mal wieder die wesentlichen Verteidigungsgriffe an mir probt.)

Ich las kürzlich im „Spiegel“, im „Der Spiegel“ (Ich gehe zum „Beim Türken“.) über den Rollenkonflikt des Mannes. Kurze Essenz: Die meisten Frauen suchen sich noch immer Männer mit Geld. Trotz aller Emanzipation, die ich hier gar nicht bewerte, suchen sie den Ernährer. Wollen aber gleichzeitig, dass er halbtags zuhause ist und sich um die Kinder kümmert. Ein Widerspruch. Das sage nicht ich, das sagte dieser Artikel. Das Rollenbild des Mannes ist derzeit ein schwieriges und so möchte ich doch zumindest nicht auf das Männlichkeitssymbol des Bartes verzichten, während ich die Wäsche aufhänge oder bügele. Der Bart, der ja momentan angeblich so wahnsinnig im Trend liegt, ist möglicherweise reine Notwehr des inzwischen verweichlichten Mannes geworden. Bei Facebook bin ich seit einiger Zeit Mitglied in einer „Bart-Gruppe“: „Beards for life – Ein Herz für Bärte“ schimpft sie sich und scheint so eine Art Selbsthilfe-Gruppe für Bartträger zu sein. Männer posten dort Abbilder ihrer mächtigen Bärte und zelebrieren sich selbst. Vollkommen zurecht. Eigentlich genau meine Welt. Ein Refugium für entmannte Männer, die wieder Mann sein wollen. Allerdings sind dort viele Frauen ebenfalls Mitglied. Frauen, die Bärte eben so finden, wie sie sind, nämlich recht geil.

Ich habe dort noch kein Foto von mir gepostet, ich lese nur mit und staune, wie stolz die Freunde dort auf ihren Wuchs sind. Völlig zurecht. Ich lade mal meine Mitbewohnerin in diese Gruppe ein. Es wird ihr Albtraum. Ich bin ihr Albtraum.

Weitere Betrachtungen zum Bart findet Ihr hier!

Update: Ich war so frei, diesen Artikel in oben erwähnter Facebook-Gruppe zu posten. Ich bin nicht allein, wie beispielsweise dieser Kommentar dort zeigt:

„Das Problem gibt es bei mir ebenfalls und man muss versuchen dagegen anzugehen :) Sie hat mich ohne Bart kennen gelernt und nach nunmehr knapp 5,5 Jahren habe ich angefangen mir einen Bart wachsen zu lassen. Die ersten Monate in 2015 waren noch ganz ok, aber die Fronten verhärten sich so langsam. Ich hab den Standpunkt das er so lange und so lang bleibt wie ich möchte und Sie würde mindestens auf einen Drei-Tage-Bart zurückgehen wollen. Man ist halt leider immer in der Verteidigungsposition bei solchen Themen … Ich kann Ihre Seite verstehen, aber wie du geschrieben hast haben wir dasselbe Problem mit ihren Haaren. Also du bist nicht allein ;) „