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Gestern war ich geladener Patient beim Anästhesisten. Wir erinnern uns: Mir ist meine Leiste durchgebrochen. Am kommenden Montag ist die OP („OP ruft Dr. Brückner“ – Wer entsinnt sich noch dieser RTL-Serie? Stelle mir da einen OP-Saal vor, in dem ein Pfleger extra dafür abgestellt worden ist, laut „Doktor Brüüückner!“ zu rufen. Aber vermutlich lief es anders, ich hab’s nie gesehen.) und der Anästhesist sollte mich also über die Risiken der Unternehmung aufklären. 16 Uhr 30.

Wie es leider meine verfluchte Art ist, war ich ohne Scheiss bereits um 15 Uhr 45 vor Ort. Da ich aus verschiedensten Gründen im Karstadt-Parkhaus parken musste, wo beim Einchecken unübersehbar der Hinweis „Wir akzeptieren: EC, Maestro …“ zu lesen war, was hier im morgigen, zweiten Teil noch wichtig wird, entschloss ich, durch die „Young Fashion“-Abteilung zu flanieren. Seit rund zehn Jahren frage ich mich, wie lange ich noch zur Zielgruppe der „Young Fashion“ gehören würde. Mindestens solange, wie es in der reiferen Herren-Abteilung noch von beigen Wildleder-Jacken wimmelt, die der deutsche Rentner so trägt.

Nun steht es um das supi Unternehmen Karstadt ja eher etwas ungünstig, der neue Eigentümer hat viel Arbeit vor sich. Grundsätzlich war ich viele Jahre großer Freund von Kaufhäusern, weil dort eben alles an einem Ort zu finden und mein modischer Geschmack offenbar massenkompatibel ist, sodass ich dort immer fündig wurde. Später entdeckte ich die Einkaufszentren für mich, daher war dieser Karstadt-Besuch mein erster seit Jahren.

Vor rund sieben Jahren bat die Stadt Düsseldorf um meine Einbürgerung. Ich gab dem Drängen widerwillig nach, weil ich nach wie vor der Meinung bin, dass viele Teile Düsseldorfs aussehen wie große Teile Ost-Deutschlands unmittelbar nach der Maueröffnung. Als Münsteraner war das ein Kulturschock für mich. Inzwischen wohne ich selber in einem Düsseldorfer Slum und hab‘ mich daran gewöhnt. Der Düsseldorfer Karstadt oder das Düsseldorfer Karstadt war damals Ziel einer ersten „Shopping-Tour“. Ich wollte mich dem Düsseldorfer gemäß kleiden. Ein Scherz. Ich war eben da. Wollte dann in dem „Restaurant“ einen Kaffee zu mir nehmen, und da ich ja Menschen eher aus dem Wege gehe, suchte ich mir einen Sitzplatz möglichst weit hinten in einer Ecke. Dort sitzend wunderte ich mich, warum die wenigen, die mir dort ungefragt Gesellschaft leisteten, alle ein Namensschild und warum einige einen seltsamen Kittel trugen. Eine freundliche Dame klärte mich dann in unmissverständlichem Ton darüber auf, dass ich unbefugt in der Betriebskantine säße. Offenbar war ich auf meiner Flucht vor dem Menschen etwas über das Ziel hinaus geschossen. Ich durfte den Kaffee noch austrinken und ging dann leicht schmunzelnd von dannen. Solche Dinge passieren immer dann, wenn man mich alleine lässt. Und damals war ich alleine, kannte kein Schwein in Düsseldorf und meine Mitbewohnerin war in Münster zurückgeblieben. Nicht geistig, nur in Münster.

An diese Anekdote musste ich gestern im Karstadt wieder denken. Es war übrigens vorgestern. Mein Gott, wie die Zeit verrinnt. Karstadt hat sich seither sehr verhindert. Nein, verändert. Zu faul, das zu löschen. Einfach neu weiterschreiben. Auch irgendwie krank. Stehe aber unter Zeitdruck. Hätte aber weniger lang gedauert, als diese vergangenen zwei Sätze zu schreiben. Oder drei sogar. Jetzt natürlich vier. Fünf. Man kommt nicht hinterher.

Also, Nicolas Berggruen, dieser Chameur, hatte eine neue Markenwelt für sein Kaufhaus entwickelt und sich damit verzettelt. So stand ich gestern vor erschreckend leeren Regalen und war mit Marken konfrontiert, von deren Existenz ich nicht wusste. Und beim Anblick der Preise war mir auch klar, dass diese Markenwelt dem Markenfetischisten Seppo auf jeh verschlossen bleiben würde. Unschlagbar allerdings war das Angebot an Boxershorts, derer ich mir neun holte. Für die Interessierten, hier trage ich profanes wie „Tom Tailor“ und „Esprit“, um meinen Intimbereich zu verhüllen. Ich hätte ja gerne noch etwas für den Herbst erworben, allerdings war Karstadt noch auf Sommer eingestellt. Eine Jacke fand ich noch – eine Übergangsjacke! Nein, das bedarf einer gewissen Betonung: eine Übergangsjacke! Übergangsjacke! ÜBERGANGSjacke! Wann findet immer dieser Übergang statt?! Ich trage ungefähr zwei Wochen im Jahr eine Übergangsjacke, weil ich den Übergang verpasse. Stecken wir schon drin!? Vielleicht trage ich heute meine Übergangsjacke und schwitze mich dabei tot. Michael Knight wurde mal in eine Sauna eingesperrt und hätte sich fast tot geschwitzt. Aber K.I.T.T. hat ihn rechtzeitig gerettet. War K.I.T.T. eigentlich mit einer Klimaanlage ausgestattet?! „Mach‘ mal 16 Grad, Kumpel. Ich schwitz‘ mich ja tot.“ – „Michael, dann fehlt die Energie für den Turbo Boost!“ – „Notier‘ das für Bonnie. Die Schlampe muss da doch was machen können …“ – „Michael, da vorn: Ist das K.A.R.R.?!“ – „Nein, das ist Goliath. K.A.R.R. sieht im Grunde aus wie Du. Goliath ist ein LKW.“

Also, ich beladen mit Unterhosen, einer Übergangsjacke für den Übergang und noch dem ein oder anderen Hemd suche die Kasse. Fort. Die ist genau so fort wie das Personal. Ich bin ja kein Freund von Verkäufern, die einen belästigen. Oder auch nur ansprechen. So gesehen war das vorgestern mein Paradies, da dort einfach niemand war. Aber ’ne Kasse müsse doch wohl drin sein, dachte ich. Ich traf auf andere Kunden, die einiges an Textil über ihren Arm trugen. Wir berieten uns, wie wohl der Bezahlvorgang von statten gehe, wenn keine Kasse vorhanden. „Ob wir einfach Geld an die Bügel hängen und gehen?“ Fand die alte Dame nicht lustig, sodass ich mein Glück woanders versuchte und auf ein Schild stieß, mit der Aufschrift „Zahlen Sie an der Kasse“. Nun, das war mir im Grunde klar, mit dieser Technologie war ich aufgewachsen. Man zahlt an der Kasse. Ah, Schild geht noch weiter. (Was für ein mieser Scherz, aber warum nicht.) „… unten im Erdgeschoss“. Ah, eine Kasse für’s gesamte Haus. Innovativ. Personal sparend. Ich fahre also fröhlich die Rolltreppe runter, die ich unglücklich bestieg, sodass ich direkt hinter einem Herren stand ohne den intimen Mindestabstand einzuhalten. Der Herr drehte sich irgendwie angewidert um und ging eine Stufe weiter. Vielleicht angewidert, weil ich so schwitzte. Ich war falsch gekleidet. Muss wohl gerade der Übergang sein.

(Wechsel ins historische Präsenz) Die Kasse ist nicht zu übersehen, denn völlig überraschend ist die Schlange dahinter doch eher sehr lang. Ungünstig lang. Wie das so ist, wenn man nur eine Kasse für ein Kaufhaus vorhält. Ein weiterer Schweißausbruch schließt sich dem vorigen an, als ich realisiere, dass das Anstehen länger als der eigentliche Einkauf dauern würde. Etwa jeder zweite Kunde beschwert sich so auch bei der Kassiererin über den Zustand und ihre Standard-Antwort ist „Bitte schriftlich an die Geschäftsführung.“ Und ein gezwungenes Lächeln, das uns zeigt, die arme Frau weiß um die Zustände und bangt vermutlich auch noch um ihren Job.

Vor mir zwei südländische Mädels, die einen Großeinkauf an Unterwäsche gemacht haben. Es gibt aber auch niedliche Höschen heutzutage! Dritter Schweißausbruch. Jetzt sehe ich aus wie ein Perverser, der sich an der Unterwäsche südländischer Mädels aufgeilt. Dabei ist mir einfach nur heiß, weil ja Übergang ist und ich falsch gekleidet. Gut, also so unsexy war das nicht, aber ich lasse mich nicht in einer Karstadt-Schlange erregen. Nicht einmal übergangsweise, zumal ich meinen Arzttermin im Nacken habe. Von dem ich dann ein anderes Mal berichte. Es geht da um ein Klavier, das mir auf den Kopf fällt. Ein verrückter Tag also, mitten im Übergang.