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Wenn hier etwas zu kurz kam, dann ja wohl der traurige Auszug meines besten Freundes und eben Nachbarn Pavel. Doch er erteilte mir wegen der mysteriösen Umstände seines Auszuges das Verbot, darüber zu schreiben. Was schade ist, denn ich hätte gerne über ominöse Drogengeschäfte geschrieben.

Es gibt seltsame Nachnamen. Ich bin mit meinem, Flotho, recht zufrieden und es ist mit meiner Mitbewohnerin ausgemachte Sache, dass sie diesen übernehmen wird. Da bin ich eben noch ganz altmodisch. Ich selber würde ihren aus einem einfachen Grunde nicht annehmen: Ich trage seit 36 Jahren denselben Nachnamen und würde mich ungern an einen neuen Namen gewöhnen müssen. Obwohl ich dann die Chance hätte, mich endlich mal auf eine Unterschrift zu einigen. Jedes Mal, wenn ich irgendwas unterschreibe, sieht mein Name anders aus. Das bringt mich besonders bei „Rewe“ in Schwulitäten, wenn ich mit EC-Karte und Unterschrift bezahle. Offenbar sind die Rewe-Kassierer darauf abgerichtet, tatsächlich die Unterschriften von Bon und EC-Karte abzugleichen. Und wenn man Äpfel mit Birnen vergleicht, stellt man eben Unterschiede fest wie auch bei beiden Unterschriften an der Kasse. Also zücke ich schon in vorauseilendem Gehorsam meinen Personalausweis, um meine Identität zu bestätigen. In meinem Stamm-„Kaiser’s“, der wegen des Kartellamtes aktuell in seiner Existenz bedroht ist, kennt man mich inzwischen und weiß, dass ich jedes Mal eine andere Unterschrift hinterlasse. Ich frage mich, ob mich das alles irgendwann in Schwierigkeiten bringt. Ich sollte meinen derzeitigen Urlaub vielleicht dazu nutzen, mich auf eine Variante zu einigen. Pavel hat dereinst auf komplizierte Weise Unterschriften gefälscht. Im Grunde völlig überflüssig, wie mein Beispiel zeigt. Es wird jede Variante von „Sebastian Flotho“ akzeptiert. Meine müsste er gar nicht fälschen. Doch damit niemand auf falsche Gedanken kommt: Ein kleines Detail meiner vielen Variationen ist immer gleich.

Pavels Wohnung ist inzwischen mehr oder weniger saniert und weiter vermietet worden. An einen Menschen mit einem tollen Doppelnamen, dessen erster Teil „Ungern“ ist. Den zweiten verschweige ich freilich. Dass Pavel einige Straßenblöcke weiter gezogen ist, freut mich insofern, als dass mein Wein- und Rumkonsum sich nun meiner Leber-Kapazität anpassen kann – nach unten. Denn man kann ihn ja nicht wegschicken, wenn er mit einer Flasche „Captain Morgan“ vor meiner Tür steht. Obwohl er weiß, was ich von unangekündigtem Besuch halte – nämlich nichts. Künftig wird er weniger oft kommen.

Dafür kommt nun Lara. Nicht nur, dass ich „Lara“ für einen sehr schönen Vornamen halte, in Kombination mit „Ungern“ klingt Lara einfach toll. Und was soll ich sagen, Lara sieht auch noch ausnehmend toll aus. Nicht, dass das ein Kriterium für Nachbarn wäre, aber wenn ich die Wahl zwischen Pavel und Lara habe, fällt sie auf Lara. Lara Ungern sieht aus, wie man sich eine Lara vorstellt. Blond und mittelgroß. Schlank und wohlgeformt. Gott hat es gut mit ihr und mir gemeint.

Wir kennen uns erst wenige Tage und eines verbindet uns bereits: das Schätzen meiner Person. Nein, das Problem mit dem Telekom-Techniker. Dieser sollte ihren Telefonanschluss freischalten, wozu er in einen Kellerraum muss, zu dem nur eine Mietpartei hier einen Schlüssel hat. Das weiß man aber erst, wenn die Telekom vorbeikommt. Und wie auch ich damals beim Einzug klingelte sie sich auf der Suche nach diesem ominösen Schlüssel durch alle Wohnungen. Und so lernten wir uns kennen. Und ich habe ein ungutes Gefühl, denn Lara ist Single.

Ich habe natürlich nicht nach ihrem Alter gefragt, aber ich schätze sie auf sympathische 28 Jahre. Aus meiner Warte ist das blutjung. Fast schon kriminell. Warum stehen Männer gerne auf jüngere Damen? Es muss etwas mit dem Beschützerinstinkt zu tun haben, den Frauen bei mir regelmäßig wecken. Lara hat das auch geschafft. „Wovor darf ich Dich beschützen?“, lag es mir auf den bereits sabbernden Lippen, als ich sie sah, aber das hätte sie womöglich als geistesgestört abgetan und das nicht ganz zu Unrecht. Ich würde bei meinem Geist auch nicht voller Überzeugung von einem gänzlich gesunden sprechen. Aber eine Gefahr für andere stelle ich nicht dar.

„Hallo! Ich bin Lara, neue Nachbarin! Dritter oder vierter Stock. Gerade eingezogen. Ich brauche einen Schlüssel für diesen Kellerraum unten links. Mit dem Telefonanschluss oder so. Dieser Kasten da. Verteiler! Hast Du einen?“

Dritter oder vierter Stock. Lara weiß offenbar noch nicht genau, wo sie wohnt. Das ist aber nicht schlimm, denn auch ich habe das Problem, dass ich das Erdgeschoss gerne bereits als ersten Stock mitzähle, sodass ich im dritten wohne. Aber ich wohne eigentlich im zweiten. Glaube ich. Mit Stock und Geschoss komme ich immer durcheinander. Oder mit Etage. Ich weiß es nicht. Ich kenne den Zusammenhang zwischen Inflation und der Arbeitslosenquote, aber ich weiß nicht, in welcher Höhe ich wohne. Lara scheint ein ähnliches Problem zu haben, aber ich spreche sie nicht darauf an, da ich von ihrer Erscheinung leicht beeindruckt bin und feststelle, dass es besser wäre, ich würde mehr Kleidung an mir tragen.

„‚Tschuldigung, aber ich komme gerade vom Sport, wollte gerade duschen“, erkläre ich meine relative Nacktheit.

Dass ich überhaupt die Tür aufmachte, lag daran, dass ich Lara für meine Mitbewohnerin hielt. Für einen kleinen Moment wünschte ich mir, Lara würde hier ebenfalls das Bett mit mir, nein, mit uns teilen.

„Macht nichts. Wär‘ mir gar nicht aufgefallen. Ich hab‘ einen Telefon-Techniker da, der muss da rein.“

Nicht aufgefallen?! Klar, sie hat sich offenbar direkt in meine Augen verliebt. Und den Techniker kann ich verstehen. Ich will da auch rein. Und sage ihr, dass Frau D. den Schlüssel hat, die im fünften oder sechsten Stock wohnt.

„Danke! Ich geh‘ mal hoch! Danke!“ Ich höre sie hochlaufen, wobei sie irgend etwas summte. Ein fröhliches Gemüt, dachte ich, genau das, was ich gerade brauche. Summend stieg das blonde Mädel empor … engelsgleich. Und ich verlor den Verstand. Nicht zum ersten Mal.

„Gern“, rufe ich etwas unbeholfen hinter ihr her und denke an Ungern. Lara Ungern.

Sehr charmant alles bis hier und ich plante schon, wie ich Lara zu meiner neuen Trink-Kumpanin machen könnte. Schönen Frauen verfalle ich umstandslos, was aber stets ein einseitiges Unterfangen bleibt. Doch sie könnte jederzeit mit einer Flasche „Captain Morgan“ bei mir vor der Tür stehen. Ich überlegte, ihr einen Schlüssel für meine Wohnung zu geben … ärgerlich, dass sie mich optisch nicht von meiner besten Seite kennengelernt hat. Oder hat sie das vielleicht doch gerade wegen meiner spärlichen Bekleidung? Grundgütiger, hoffentlich hatte ich keine Erektion …

Das ist jetzt etwa zwei Wochen her und seitdem war Lara mindestens jeden zweiten Tag an meiner Tür. Und so entging auch ihr nicht, dass ich derzeit wegen einer kleinen Leistenbruch-OP ganztags zuhause bin. Ganz stimmt das nicht. Denn ich habe den Leistenbruch nicht erwähnt; ich finde diese Nummer nach wie vor eher unsexy. Ich habe ihr die OP als Folge einer Verletzung verkauft, die ich mir bei einer Schlägerei zuzog. Ich fand das männlicher. Und ja, man wird wunderlich, wenn man den ganzen Tag zuhause sitzt und übt, sich wieder eigenständig Socken anzuziehen. Ich mache eben Reha im Kleinen.

„Du siehst nicht aus wie ein Schläger!“, teilte sie mir mit. „Eher wie ein treuer Hund.“

Aha. Ihr Ansehen bei mir bekam hier erste Risse. Ich sehe also aus wie ein Dackel. Es ist schon ungünstig, wenn Frauen einen als „süß“ bezeichnen, aber „Dackel“ geht gar nicht. Wobei sie ja allgemein von „Hund“ sprach. Seppo, ein Dobermann? Nein, das nehme ich mir selbst ja nicht einmal ab.

„Ich habe mich für einen Kumpel geschlagen, dabei rammte ein Typ mir ein Messer in die Leiste.“ Damit blieb ich zumindest, was den Ort der Verletzung anging, bei der Wahrheit. Schob aber schnell hinterher: „Funktioniert aber noch alles!“ (Wovon ich mich heute übrigens erstmals überzeugen konnte …) Ich fragte mich, worauf stehen denn nun die Frauen? Auf den harten Schläger oder den treuen Dackel? Ich entschied mich für ein Mittelding, denn eigentlich ergreife ich ja schon die Flucht, wenn meine Mitbewohnerin mit einem Küchenmesser auf mich zukommt. Ich bin eher der Wegrenner, weil ich das für klüger halte, wenn sich Gewalt anbahnt.

Lara schien schwer beeindruckt. Ein Held, der sich für einen Freund prügelt und aussieht wie ein Hund. Damit hatte ich Lara, die sich sofort erkundigte, ob sie was für mich tun könne. Mir lag auf den Lippen, sie um Hilfe beim Anziehen der Socken zu helfen, aber das schien mir dann doch zu erbärmlich, doch entging mir nicht ihr fragender Blick auf meine Füße, derer nur einer besockt war. Das hatte was hilfloses und das war es ja auch. Erst seit heute gelingt mir das eigenständige Anziehen der Fußkleider innerhalb nur weniger Minuten.

„Kann ich Dir irgendwie helfen, solange Deine Frau nicht da ist?“

Sie könnte mich waschen. Duschen darf ich noch nicht. Aber ihr das vorzuschlagen, fand ich irgendwie etwas übermutig, sodass ich zunächst aufklärte:

„Ja, also sie ist nicht meine Frau.“

„Ich dachte, wegen Deines Ringes.“

„Ja, also das ist mehr so ein Verlobungsring. Wenn überhaupt. Also irgendwie sind wir seit zehn Jahren verlobt. Also eigentlich ist es ein 29 Euro-Ring. Mit Gravur.“

„Oh wie süß! Wenn Du was brauchst, kannst ja hochkommen. Dritter oder vierter Stock. Bei ‚Ungern‘ klingeln. Ich wohne alleine.“

Ah! Diese Info hat sie mir ja nicht ohne Grund untergejubelt. Und ich sparte mir die Mitteilung, dass das Hochsteigen von Treppen derzeit nicht möglich ist. Aber für diese Erscheinung würde ich es riskieren, dass mir mein Hochschleppen die Wunde wieder aufreißt, damit sie sie dann versorgt! Aber ich war mir ohnehin sicher, dass sie wiederkommen würde. Und sie kam. Um mich einzuladen, da sie ja noch keinen in Düsseldorf kenne.

„Und komm‘ allein!“

Hatte sie das wirklich noch beim Weggehen gesagt?! Mann und gerade ich, was ich hier mal absolut offen sagen muss, bildet bzw. bilde sich bzw. mir ja sehr schnell sehr viel ein. Aber hat sie das wirklich gesagt?! Es klang so. Ohne Scheiß, es klang so. Große Aufregung bei mir also. Und damit nichts schief geht, habe ich das Treppaufwärtssteigen bereits geübt. Möglicherweise, so teilte mir meine Mitbewohnerin mit, will sie mich auch einfach nur umbringen. Ich sehe da Schwierigkeiten auf mich zukommen, was das Verhältnis zwischen Lara und meiner Mitbewohnerin angeht. Gerade nach diesem Artikel. Ich werde berichten.