wpid-20150913_104554.jpg

Ich lag sehr lang heute Nacht wach, da mir die Frage, wie man Spezielles allgemein halten könne, nicht aus dem Kopf ging. Bis in die Morgenstunden gelang mir keine befriedigende Beantwortung dieser Frage, sodass ich geduldig wartete, bis meine Mitbewohnerin aus ihrem komatösen Schlaf erwachte, um sie um Rat zu fragen. Sie mag es, wenn sie morgens ihre Augen aufschlägt und als erstes mich in Nahaufnahme sieht. „Gut, dass Du wach bist, ich habe auf Dich gewartet“, sage ich dann gerne, womit ich ihr im Grunde den Tag bereits verdorben habe.

Oft ist bei ihr nicht zu erkennen, ob sie überhaupt neben mir liegt oder nicht, da sie den Begriff des „Zudeckens“ sehr ernst nimmt, und meist lediglich ein Haarschopf von ihr außerhalb der Decke zu sehen ist. Heute Morgen sah ich nichts, was mich aber auch nicht beunruhigte, da ich sie eben komplett und vollständig unter der Decke wähnte. Bis ich dann merkte, dass sie tatsächlich nicht neben mir liegt, da ich plötzlich Rufe des Klagens und Schreie der Verzweifelung aus dem Bad hörte. Das war nicht witzig, ich glaubte, es sei wirklich Furchtbares geschehen und sprang ungeachtet meiner frischen OP-Naht aus dem Bett, schrie kurz auf, wie es derzeit meine Art bei unüberlegten Bewegungen ist, und versetzte damit meine sich im Bart Bad befindliche Mitbewohnerin in Panik.

Nun waren wir also beide in Aufruhr versetzt worden durch die Schreie des jeweils anderen. Nur, dass sie gar nicht geschrien hatte, sondern lediglich den Versuch unternahm, durch ihre Nase Luft nach außen zu befördern. Ihre Nase ist nämlich derzeit verstopft. Dabei entstand ein eigenartiges Geräusch, das ich als Laute interpretierte, die man von sich gibt, wenn man zum Beispiel am Telefon eine Todesnachricht überliefert bekommt, worüber ich hier keinesfalls scherze. Etwas Derartiges glaubte ich heute geschehen.

Auf diese Weise waren wir für sonntägliche Verhältnisse einigermaßen früh wach und ich konnte mich dem zuwenden, was ich seit nunmehr sieben Tagen tue. Für die Neuleser: Ich bin derzeit krank geschrieben und nutze die Zeit, um zum einen das Gesamtwerk Kishons mir einzuverleiben (was schwierig ist, da nicht mehr alles in gedruckter Vorm forliegt) und zum anderen meine übertriebene Anzahl an Magazin-Abos zu bewältigen.

Etwa drei Mal wurde ich in meiner Schullaufbahn penetriert mit den genauen Abläufen der Französischen Revolution. Alles, was hängen geblieben ist, ist „1789“. Neuzeitliche Geschichte also, die mich leider nicht interessiert. Ich will ja, dass sie mich interessiert, aber sie tut es nicht. Es bleibt nichts hängen, es langweilt mich. Drei Mal habe ich sie auswendig gelernt, die Revolution, drei Mal habe ich sie eingeordnet in irgendwelche Rahmen, drei Mal habe ich Klausuren über sie geschrieben, um nach dem Abi festzustellen, dass ich über die jüngere Geschichte nichts weiß. DDR. Maueröffnung. Kalter Krieg. Korea. Mao. Spielte alles keine Rolle in der Schule. Aber Hauptsache drei Mal Revolution. Französische. Nicht unsere deutschen. Dabei finde ich die viel besser. Und wir haben so viele.

Oder die Geschichte Roms. Wahnsinnig wichtig, mir ist das klar. Ich lese oft über sie. Aber diese vielen Kaiser. Wer soll sich das denn merken?! Jüngst kam raus, dass Rom viel größer war als gedacht. Immerhin das weiß ich noch. Aber ansonsten halte ich Asterix und Obelix für das beste aus dieser Epoche. Es ist mir zu abstrakt, ich kann es nicht greifen. Eigentlich lustig, da ich mal Geschichte studiert habe.

Oder irgendwelche Sonnenkönige. Diese ewig durchnummerierten Könige. Kann ich mir nicht merken. Sie brauchen mehr als eine Nummer. Zum Beispiel Lippen. Die Habsburger Unterlippen. Sowas vergesse ich dann natürlich nicht. Wie oft begegnen mir Menschen, bei deren Lippenanalyse ich denke „Ah, ein Habsburger“. Das behalte ich freilich für mich.

Das Alte Ägypten. Tod bringend langweilig. Irgendwer irgendwo unter einer Pyramide vergraben mit goldenen Töpfen und Schmuck. Das ist Ägypten früher. Das junge Ägypten gibt viel mehr her. Nicht nur Schönes, aber eben mehr.

Weil die Schule also versagt hat, was junge, für mich fassbare Geschichte angeht, begann ich irgendwann, mich populären Geschichtsmagazinen hinzugeben, um das Versagen des gymnasialen Curriculums der Neunzigerjahre wettzumachen. Im Laufe der Jahre wurde ich Abonnent folgender Printerzeugnisse:

  • Geo Epoche
  • Spiegel Geschichte
  • Zeit Geschichte
  • Terra Mater
  • Der Spiegel
  • Frankfurter Allgemeine Zeitung
  • Spektrum der Wissenschaft
  • Titanic
  • Medium
  • Brand Eins
  • Jagd und Hund

Die monatlichen Kosten will ich gar nicht addieren und die Frage, ob der „Spiegel“ wirklich sooft Hitler auf seinem Titel trägt, kann ich verneinen. Tut er nicht. Nicht mal sein Geschichtsableger.

Insbesondere den Geschichtsmagazinen ist gemein, dass der Zweite Weltkrieg eine immer wieder kehrende Rolle spielt. Die Französische Revolution hingegen wird dem Leser eher selten zugemutet und überhaupt bewegen sich diese Magazine erfrischenderweise stets im 20. Jahrhundert, einem Zeitraum, in dem meine Schule versagt hat. Garniert wird das ganze durch Guido Knopp, dem auf „ZDF info“, neben „Spiegel TV Wissen“ mein Lieblingssender, trotz seines Ruhestandes ein solcher nicht vergönnt ist und der jeden Tag mehrfach seine „Detektive der Geschichte“ für mich losschickt. Ich kann Hitler nicht mehr sehen. Das wird mir kaum jemand vorwerfen, aber bei „ZDF info“ weiß ich inzwischen nicht mehr, wer ist eigentlich der Böse, Hitler oder Knopp? Berichtet Hitler über Knopp oder verhält es umgekehrt? Nazi-Dokus gehen nicht mehr, ich hab‘ sie durch. In Schwarz-Weiß und in Farbe. Bunte Nazis, vor zwei Jahrzehnten noch gänzlich unbekannt, sind zwar bunt, aber gedanklich bleiben sie wohl braun.

Bei dieser Menge an Zeitschriften kommt es natürlich gerne mal zu einem Lese-Stau, der mich immer enorm unter Druck setzt. Diesen kann ich derzeit wegen meines Überangebotes an Freizeit hervorragend abarbeiten. So las ich gestern Morgen zwei Stunden „Spiegel Geschichte“ über die Atombombe. Fazit: Atombomben sind schlecht, was jedoch nicht von jedem erkannt wird. Für Abonnenten gab es exklusiv eine Bastelanleitung für Wasserstoffbomben in der Heftmitte. Wäre was für das Yps-Heft. Dann liest man so über Atombomben und die „heimliche“ Atommacht Israel, um dann auf heitere Kishon-Geschichten umzuwechseln, nur, um sich von diesen deprimierend lästigen Fakten über den bevorstehenden Dritten Weltkrieg abzulenken. An den ich übrigens nicht glaube. Obwohl Bastelanleitungen zu Wasserstoffbomben in Heftmitten den ja eher begünstigen, aber ich sehe ein, die Printverleger stehen unter Druck, sie müssen sich eben was einfallen lassen. Dann wechselt man zu „Geo Epoche“, die die unschönen Seiten des britischen Kolonialismus aufbereitet hat. Und die Idioten haben die Dampfmaschine erfunden, aber vergessen, sie in ihre Streitmacht zur See einzubauen, was erst die Deutschen machen mussten.

Ich freue mich gleich auf die Lektüre von „Zeit Geschichte“. Da geht es um die Russen und uns. Ich lese oft, dass wir Deutsche die Russen lieben. Man glaubt das irgendwann, wenn man es sooft liebt. Liest. Ich bin derzeit leicht skeptisch, was meine Liebe zu ihnen angeht. Ich kenne sie auch nicht alle, aber ich höre das ein oder andere von der politischen Führung, das mir Unwohlsein beschert. Hier wird mir zum Verhängnis, dass ich Konsument der angeblichen Lügenpresse bin. Ich beschränke meine Liebe dann doch eher auf meine Mitbewohnerin mit ihrer verstopften Nase. Denn derart angeschlagen wie heute wird sie kaum einen militärischen Konflikt anstreben, sie riskierte dabei eine Herzmuskelentzündung.

Ich habe einst unter anderem Politikwissenschaften studiert. Das war in sofern ärgerlich, als dass das Münsteraner Politikwissenschafteninstitut, das vermutlich eher „Institut für Politikwissenschaften“ heißt, groß war in Anwesenheitslisten. So musste ich allen Ernstes tatsächlich in den Vorlesungen anwesend sein, wenn Dozenten aus ihren eigenen Werken dozierten. Kann ich selber auch zuhause nachlesen, dachte ich und las während der Vorlesungen immer „Der Spiegel“, der damals noch eine gewisse Relevanz hatte und mir in 90 Minuten Vorlesung mehr Wissen vermittelte, als der Prof vorne an der Tafel. Den „Spiegel“ lese ich eigentlich nur noch, weil ich nach 25 Jahren als Abonnent ein Dankesschreiben erwarte, was hoffentlich nicht zuviel verlangt sein dürfte. Vielleicht mit einem Geschenk dazu, eine kleine Taschenlampe für den Schlüsselanhänger. Überhaupt habe ich viele Abos der Abogeschenke wegen. Ich war mal mehrere Jahre Leser der „Zeit“, einer Zeitung, die neben „Landlust“ einen stetigen Leserzuwachs erfährt, da es als Prämie einen tollen Werkzeugkasten gab. Mit Werkzeug. Mehr was für meine Mitbewohnerin als für mich. Für die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ bekam ich einen Akkuschrauber, der wirklich toll ist! „Zeit Wissen“ hat mir mal eine tolle Umhängetasche zu gesandt, von der ich gerade gar nicht weiß, wo sie eigentlich ist.

Ich werde gleich mal suchen. Bis dahin stürze ich mich in die Lektüre des Magazins von „Red Bull“. Dieser Megakonzern hat ja alles, eben auch die Zeitschrift „Terra Mater“, die wirklich toll ist, die das ist, was „Geo“ vor rund zwanzig Jahren einmal war.

Schönen Sonntag.