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Lara. Allein der Name hatte es mir ja angetan. Lara klingt für mich allerdings ein wenig nach Blümchensex. Zumindest nach dem Versprechen davon und meist erlebt man ja dann, wenn es wirklich zur Sache geht, etwas völlig anderes, das Gegenteil. Also in diesem Falle: knallharten Sex. Ich werde das allerdings nicht überprüfen können, es sei denn, meine Mitbewohnerin stellt mir eine Ausnahmegenehmigung aus, womit ich aber nicht rechnen sollte. Vermutlich wird sie mir nach diesen Sätzen eher eine Kündigung ausstellen.

Lara ist seit einigen Wochen meine neue Nachbarin und da ich urlaubsbedingt derzeit oft zuhause bin, konnte ich ihr hier und da bei ihrem Einzug in unser Haus helfen. Oft war meine Hilfe die einzige Möglichkeit, sie überhaupt wieder loszuwerden. Sie fasziniert mich auf der einen Seite, während ich auf der anderen Seite mich über die sagen wir mal ungerechte Verteilung von Hirnmasse wundere, die aber sicherlich ihren Zweck erfüllt. Man selber glaubt ja immer, man sei mit ausreichend Hirnsubstanz gesegnet, doch vermutlich verhält es sich eher so, dass man sich ein soziales Umfeld sucht, in dem man gerade so einen Platz im oberen Mittelfeld einnimmt, sodass man sich eine angemessene Klugheit bescheinigt. Lara scheint ihr intellektuelles Umfeld mit mir bereichern und dessen Niveau erheblich anheben zu wollen. Oder aber ich überschätze mich gerade völlig, was ich übrigens nicht ausschließe.

Lara hatte bei unserem ersten Aufeinandertreffen betont, dass sie Single sei. Mit welcher Absicht teilt frau mann das mit? Für mich war völlig klar: Sie will mich. Und wer sollte es ihr verübeln?! Im Gegenteil, alles andere ließe doch an ihrem Verstand zweifeln. Ich sage das hier ganz nüchtern, mit ungesunder Selbstüberschätzung hat das selbstverständlich nichts zu tun. Und so lud sie mich schon vor Wochen einmal zu sich ein mit der Bitte, ich möge alleine kommen.

Und da ich ja ein nahezu hundertprozentig ehrlicher Typ bin, der nur lügt, wenn es zu seinem Vorteil gereicht, setzte ich meine Mitbewohnerin von diesem Umstand in Kenntnis. „Wenn Du dahin gehst, brauchst Du nicht wiederzukommen“, hatte ich von ihr erwartet. Doch ich sollte sie besser kennen und so überraschte sie mich mit „Ja, wenn sie doch nett ist, warum nicht?! Grüß sie von mir, beim nächsten Mal komme ich mit!“

Damit hat sie unwissentlich Bilder in meinem Kopf provoziert, die nicht jugendfrei sind und die ich bei Bedarf noch einmal reaktivieren werde …

Gestern, am Dienstagabend, war es soweit, ich stattete Lara einen Besuch ab, drei Etagen über mir. Vor der Tür die Fußmatte, auf der ihr Vorgänger, Pavel, mein bester Kumpel und nun Ex-Nachbar, die ein oder andere Nacht verbracht hatte, wenn er seinen Schlüssel aufgrund motorischer Unzulänglichkeiten nicht mehr ins entsprechende Loch bekam. Die Matte zeigt eine „Hansa Pils“-Flasche. Wir haben sie mal zu unserem Abi-Motto anfertigen lassen. Meine ist leider irgendwann verschollen.

Ich klingele und erwarte Lara in einem umwerfenden Outfit, da sie ja um mein Werben wirbt. Allerdings öffnet sie gänzlich unbekleidet die Tür. Nein, Scherz. Es ist spät, hier ist der Wunsch Vater des Gedanken. Ich entschuldige mich. Da habe ich jetzt Erwartungen geweckt, die ich nicht erfüllen kann. Mea culpa, Asche auf mein Haupt, kommt nicht wieder vor. Lara sah aus wie immer. Was in ihrem Fall ein Kompliment ist. Nicht, dass es bei anderen Frauen nicht so wäre. Überhaupt sehen Frauen ja am besten aus, wenn sie aussehen wie immer. Es sei denn, sie sehen immer eher nicht so gut aus. Aber ich gucke ja eh nur in die Augen. Das übrigens, verehrte Damen – und ich bin wirklich großer Freund der Frauen! –  dürft ihr den meisten Männern durchaus glauben. Es sind immer die Augen. Ich behaupte ja, in den Augen kann man lesen. Und wenn man ausgelesen hat, dann wandert der Blick natürlich runter. Und nochmal. Dann wieder hoch. Im besten Fall erst nach einer kurzen Pause. Gucken, gucken, dann hoch. Es tut mir abermals leid. Es ist spät in der Nacht und sehr still. Interessante Atmosphäre, um zu schreiben. In drei Stunden wäre ich soweit, einen Porno schreiben. Aber ich bleibe bei der Wahrheit.

Sie sieht also gut wie immer aus, ich noch etwas besser als sonst. Nein, ich wollte ja bei der Wahrheit bleiben. Also, ich sehe außergewöhnlich sensationell aus und sie findet sogar Lob für mein Haupthaar, das ich mir habe etwas wachsen lassen (bin jetzt bei etwa zwei Zentimetern). Die Frau ist aufmerksam und ich checke nochmal, ob an ihr irgendwas verändert ist. Haarfarbe. Haarlänge. Immer wichtig, so etwas zu bemerken. Ich bemerke nichts, sage dennoch: „Tolle Haarfarbe!“ und sie: „Ha! Dir ist es also aufgefallen!“ Ich sage: „Ja, klar“, und überlege, was mir nicht aufgefallen ist. Spielt letztlich auch keine Rolle, solange sie fest daran glaubt.

Ihre Wohnung kenne ich ja bereits, sodass eine Führung nicht notwendig ist und Lara mich sofort in Kenntnis über den weiteren Verlauf des Abends setzt.

„Sebastian, Du musst mir heute helfen, Männer kennenzulernen!“

Ja, da bin ich natürlich genau der Richtige, denke ich und bin gleichzeitig etwas erleichtert. Oder enttäuscht?! Man weiß es nicht. Das Tier in mir ist enttäuscht, der kluge Mann jedoch erleichtert.

„Zeig‘ mir die Altstadt! Wir gehen einen trinken!“

Hm. Das ist so eine Sache. Zum einen bin ich nach wie vor noch zugedröhnt mit zwei Schmerzmitteln und eher feige, was die Kombination derer mit Alkohol angeht. Auf der anderen Seite dürfte es mir sehr gut tun, überhaupt mal wieder abends in der Altstadt einen zu trinken, denke aber auch an meine – es tut mir leid, ich muss es wieder erwähnen! – kleine Narbe, die noch nicht ganz verheilt ist. Aber gut, warum nicht. Gepflegt den ein oder anderen Cocktail trinken und dabei Lara an den Mann bringen.

„Wie kommst Du eigentlich darauf, dass ich Dir da eine Hilfe sein kann? Kein Mann wird es wagen, Dich in meiner Gegenwart anzusprechen!“

Lara hat Probleme mit Ironie. Wenn sie Ironie allerdings erkennt, dann nicht, dann lacht sie. Vermute ich, denn bislang erkennt sie Ironie nicht. Sie denkt nach. Ich stehe vor ihr und sehe, dass sie nachdenkt. Ich sage ja, in Augen kann man lesen. Und bei Lara lese ich gerade, dass sie über das Gesagte nachdenkt. Und je länger sie darüber nachdenkt, desto klarer wird mir, dass das ja schon an Beleidigung grenzt, dass sie meine Behauptung, ich würde von anderen Männern als Konkurrent angesehen, in Frage stellt! Ich entscheide mich zu intervenieren:

„Lara, abgesehen davon, dass das ein Scherz war, ist es vielleicht nicht so sinnvoll, mit so einem Wahnsinnstypen wie mir auf Männerjagd zu gehen.“

Und um sicher zu gehen:

„Wir suchen einen für Dich. Oder für mich?! Lara, hältst Du mich für schwul?“

„Du hast ein paar weibliche Seiten, keine Frage, aber ich halte Dich nicht für schwul.“

„Ich habe weibliche Seiten?!“, tue ich überrascht, als hätte ich das noch nie gehört.

„Ja, also das ist ja nicht unbedingt schlimm.“

„Und weil ich in Deinen Augen eine Frau bin, soll ich in der Altstadt jetzt Männer für Dich aufreißen?“

„Ich kenne noch niemanden in Düsseldorf außer Dir.“

„Warum hast Du nicht meine Mitbewohnerin gefragt?“

„Ich glaube, sie hasst mich!“

Puh, das könnte natürlich an meiner Darstellung Laras ihr gegenüber liegen. Aber das muss Lara ja nicht wissen. Gnade mir Gott, wenn sie diesen Blog findet!

„Nein, nein. Ausgeschlossen. Sie sagte eben noch, dass sie gerne mitgekommen wäre. Aber leider wurde sie noch in den OP gerufen.“

„Ist sie Ärztin?“

„Nein, Designerin. Im weitesten Sinne.“

Solche Dinge geschehen, wenn ein Witz vorher nicht durchdacht sind. Völlige Verwirrung nun bei Lara, die ausnahmsweise mal nicht daran schuld ist. In dem Moment piept mein Handy. Ich hole es raus, gucke drauf und unterrichte Lara über folgende Facebook-Meldung:

„Lara, ich habe Erinnerungen, auf die ich heute zurückblicken kann.“

„?“

„Pass auf, perfider Plan: Da ich lange keinen mehr getrunken habe, ist mir der Anlass für einen Altstadtbesuch an sich egal. Du wirst, ob mit oder ohne mich, innerhalb weniger Minuten ohnehin von Typen angesprochen werden. Ich würde dann anbieten, die Arschlöcher von den Guten zu trennen. Willst Du ein Arschloch oder einen Guten?“

„Seppo!“

Ah, sie nennt mich erstmals „Seppo“.

„Also einen Guten. Lara, das ist simpel, ich suche nur mein Ebenbild.“

„Einen Guten! Kein Arschloch!“

Ah, Lara kann auch lustig! Sie wird mir noch sympathischer. Und so zogen wir los, nicht ohne das ich sie noch auf ein paar Eigenheiten zu meiner Person hinwies:

„Lara, es kann sein, dass ich zu später Stunde aus dem Nichts heraus verschwunden bin. Mach‘ Dir keine Sorgen, das passiert mir öfter, ich habe inzwischen einen gewissen Ruf, was das angeht. Nicht persönlich nehmen- Für eventuell nicht gezahlte Rechnungen würde ich dann morgen aufkommen.

Lara willigt ein, obwohl sie nicht ahnt, worauf sie sich einlässt und der Abend beginnt.

Morgen mehr. Wobei morgen eigentlich heute heißt. Also: Donnerstag mehr! Gute Nacht.