Bochum_061022_045_00Kiosk in Bochum, Quelle/Autor: Hans-Jürgen Wiese (wie der Rasen ;) )

In meiner Position – und das dürfte hinlänglich bekannt sein – leistet man sich für gewisse Aufgaben des Alltages Personal. Ich setze voll auf Dienstleistungspersonal, wenn es um den Betrieb meiner zwei Kioske geht, die in einem Fünfzigmeter-Umkreis meines Anwesens platziert sind.

Das ist ja einer der wenigen Vorteile Düsseldorfs gegenüber der, wie eine Umfrage in meiner Wohnung ergab, schönsten Stadt dieser Welt, Münster: die Kiosk-Landschaft, obwohl man hier eher „Büdchen“ sagt, als sei „Kiosk“ verpönt unabhängig davon, dass es an den meisten draußen dransteht, sofern es sich nicht um Trinkhallen handelt.

Es gibt einen Tischtennisspieler, der Paul Drinkhall heißt. Zu dem musste ich mal für meinen Arbeitgeber, dem weltweit größten Regionalsender Deutschlands, etwas „vertonen“ oder „einsprechen“, wie man so im Fachsprech sagt und während ich den Namen „Drinkhall“ aussprach, übersetzte ich wieselflink im Kopf diesen ins Deutsche mit der Folge eines nicht enden wollenden Lachanfalls, sodass ein Kollege mit einer noch tolleren Stimme übernehmen musste. Es sind ja meist schlechte Witze, die einen Lach-Flash auslösen. Übrigens habe ich noch etwas im Gefrierfach, das in hohen Dosen zu einem Lachflash führen kann. Glaube ich, kenne mich da nicht so aus.

Ich weiß nach knapp acht Jahren des Lebens in Düsseldorf gar nicht mehr, wie man sich in Münster nach Ladenschluss mit Dingen wie Alkohol und anderen Kleinigkeiten versorgt hat. Ich glaube, wir gingen zu Tankstellen. Oder richteten uns einfach nach dem Ladenschluss. Hier jedenfalls verhalte ich mich im Supermarkt nachlässiger, denn unterbewusst weiß ich ja, dass all das, was ich vergesse, ich bis null Uhr im Kiosk holen kann.

Ich selber habe also die Auswahl zwischen zwei Drinkhalls, die sich sehr unterscheiden. Da wäre der Kiosk „Sonne schein“, dem man das „n“ geklaut hat, so wie man jüngst „Hakle“ das „H“ gestohlen hatte. Nur dass unser Kiosk nicht direkt eine Marketingaktion daraus machen muss. Er hat es nicht nötig. Dabei fällt mir gerade ein, dass früher bei „Schmidteinander“ es immer das „N“ war, das gesucht wurde; Nostalgiker werden sich erinnern.

Meine Mitbewohnerin hasst den Kiosk „Sonne schein“ und auch mit dem Personal werden wir nicht so richtig warm. Allerdings liegt er bei einem Großteil meiner morgendlichen Läufe auf meinem Rückweg, sodass ich mich dort nahezu täglich mit exotischen Getränken eindecke. Doch man ist dort sehr misstrauisch. Wenn ich da also völlig verschwitzt nach einem harten Lauf vor den Kühlschränken stehe und mir ein Getränk aussuche – meist wird es ja doch ein Eistee, es sei denn, ich bin verkatert und leide unter Nachdurst, den ich stets mit Fanta zu löschen pflege -, dauert es nicht lange, bis die Tochter des Kiosk-Betreibers hinter mir steht und genau darauf achtet, dass ich keine Zweiliter-Flasche Cola oder vergleichbares unter meinem T-Shirt verschwinden lasse. Ich nehme an, dass das der Grund ist. Ich weiß auch nicht, wie vertrauenerweckend ich wirke, wenn ich da vor Schweiß tropfend reinkomme und sie vielleicht nicht erkennt, dass ich mich unmittelbar in einer Post-Sport-Phase befinde. Vielleicht hält sie mich für einen Junkie. Ich hatte mal einen vor meiner Wohnungstür stehen. Der sah so aus wie ich nach dem Laufen.

Es ist mutig von ihr, sich mir so zu nähern, denn ich verfüge im Sommer über exakt zwei Lauf-Kollektionen, die ich somit nicht nach jedem Lauf wasche, sodass ich gerne mal kräftig stinke. Ich selber bin da aber inzwischen schmerzfrei und es ist eine Möglichkeit, Menschen auf Abstand zu halten. Sie, die Tochter (ich glaube lediglich, es ist die Tochter) scheint keine empfindliche Nase zu haben oder sie steht darauf.

Sie kann gar keine empfindliche Nase haben. Da diese Besitzer den Kiosk vor einigen Wochen an neue Besitzer verkauft haben, kann ich es ja frei heraus sagen: In diesem Laden hat es massiv nach Durchfall gerochen. Im Altenheim, in dem ich mal arbeitete, gab es freitags immer sehr fettige Reibepfannkuchen oder auch Kartoffelpuffer. Ich weiß nicht, wie man sie nennt, die Begrifflichkeiten variieren da regional. Die Folge war massiver Durchfall am Samstagmorgen bei so ziemlichen allen „Bewohnern“, was für eine entsprechende olfaktorische Belästigung im gesamten Gebäude führte. Und genau so roch es im Kiosk „Sonne schein“.

Während ich also randvoll geschissene Windeln vor Augen habe, finde ich das Getränk meiner Wahl, drehe mich um und deute der Tochter, dass ich nun zur Kasse schreiten würde, wenn sie entsprechend Platz machte. Sie macht und kassiert ab.

Den Kiosk also haben wir oft gemieden. Jetzt allerdings waschen andere dort ihr Geld. Puh. Starker Tobak! Vorurteile! Shitstorm! Gutbürger, entzürnt Euch! Nein, erzürnt Euch! Also, neue Besitzer und die sind wahnsinnig nett. Und das tolle: Sie kennen ihre Preise noch nicht und so kann man mit ihnen handeln! Wofür ich gestern noch 1 Euro 80 hinlegte, werden heute nur 90 Cent verlangt. Je nach Kassierer.

Viel sympathischer ist mir hingegen mein anderer Kiosk. Betrieben von drei Leuten. Könnten Geschwister sein. Zwei Brüder, eine Schwester. Wobei ich glaube, die Schwester ist die Frau des einen. Oder des anderen. Ich glaube eher, des einen. Auch diese drei kennen mich verschwitzt. Der eine, mein Favorit, fragt ganz gerne auch mal, wie denn so mein Lauf gewesen sei. Sie hingegen guckt mich immer skeptisch an. Es gipfelte an einem heißen Sommertag im Juli. Läufer unter Euch werden wissen, dass man bei 35 Grad erheblich mehr schwitzt als bei minus fünf. Und da ich gelegentlich ein Käppi trage, läuft die Suppe aus meinem Kopf in die Kappe über den Schirm, von wo aus sie runtertropft. Auf die Süßwaren, die vor der Kasse drapiert sind. Ist mir immer sehr unangenehm, daher wische ich vorher auch stets mit einem Tempo am Schirm entlang. Sie misstraut diesem Verfahren jedoch, sodass sie mir an jenem Sommertag ein Tuch über den Tresen reichte mit der Bitte, mich erst einmal abzutrocknen. Ich war zunächst irritiert, fand es dann wahnsinnig nett, um es nach einigen Minuten des darüber Nachdenkens zuhause eher wieder suspekt zu finden.

„Sie tropfen mir die Schokolade voll!“, klärte sie mich auf. Ja, sie hat ja Recht. Aber wer kauft denn noch diese bereits bei 40 Grad im Kiosk geschmolzene Schokolade?! Mein Schweiß kühlt sie eher runter, ein kostenloser Service von mir. Aber ich diskutiere ungern und spüre, dass ich mich nicht kioskkonform verhalten habe. Aber ich stelle fest, dass wenn ich in zivil den Kiosk betrete, um die Eier zu kaufen, die ich im „Kaiser’s“ vergessen habe, sie mich nahezu euphorisch begrüßt, ganz anders, als wenn ich sportiv das G’schäfterl betrete.

Ihr Bruder, der vielleicht auch ihr Mann ist (Nicht „auch“, entweder oder!) ist mir absolut sympathisch. Was für ein sympathischer Mann! Meine Mitbewohnerin mag eher den anderen, was mich nicht wundert, ist das doch ein absoluter Frauentyp. Ich sollte da mal ein Auge drauf behalten (oder ihn mit Lara verkuppeln). Jetzt wird mir auch klar, warum sie immer so bereitwillig in den Kiosk geht … was, wenn die Frau dessen Eheweib ist? … und meine Mitbewohnerin bandelt mit ihm an … riesen Szene dann im Kiosk, wenn die beiden sich erwischen lassen … der „Express“ würde titeln „Ehe-Drama in Trinkhalle, Frau schießt Ehemann nieder, Geliebte beschuldigt Mitbewohner“ … nicht auszudenken … Mitbewohnerin bekommt heute noch Kioskverbot … oder ich erschieße direkt alle vier.

(Sollte ich das tun, wird man morgen sagen: „Er hat es in seinem Blog angekündigt! Warum hat niemand früher gehandelt?!“ Die Frage gebe ich an Euch weiter: Warum tut Ihr nichts? Ihr lest das (obwohl ich weiß, dass Ihr viel lieber wissen wollt, wie es mit Lara weitergeht (ich hab‘ sie erschossen) und denkt, ich scherze nur?! Ja, tue ich auch. Ich erschieße niemanden. Ich bin mir sehr sicher, dass ich in Friedenszeiten niemanden erschießen werde. Auf der Rheinkirmes in diesem Jahr habe ich einer breiteren Öffentlichkeit bewiesen, dass ich ohnehin nicht zielen kann.)

So, also. Keiner verliert sein Leben. Ich mag den anderen Mann. Wir sind per Du. Klar seien wir das, wird der ein oder andere Leser denken, doch muss man wissen, dass ich krampfhaft sieze. Ich bin ein Siezer. Es ist drin in mir, es tut mir leid. Ich sieze auch Kinder. „Würden Sie bitte aufhören, mit Wasserbomben auf mich zu werfen?“, bat ich letztens noch einen Vierjährigen, der dann seinen großen Bruder holte. Und auch diesen Sechsjährigen siezte ich. Dann kam sein Vater und ich rannte weg. Es sind nicht die Wasserbomben, die töten, es sind die Kinder, die sie werfen …

Wenn ich doch einmal beim Thema bleiben könnte. Ich also mag diesen einen Mann. Warum? Weil er sich in diesem Sommer dazu durchgerungen hat, sein Haupthaar auf wenige Millimeter zu kürzen. Ich bin im Geiste ja sehr simpel gestrickt, für mich sollten Männer kurzes Haar tragen, Frauen möglichst langes. Freilich eine Geschmacksfrage. Es ist mir auch latte. Aber da sich unsere Frisuren nun glichen, waren wir Brüder im Geiste. Ich sagte: „Coole Frise“, was das coolste ist, das mein Vokabular hergibt, womit ich aber immer wieder gerne kokettiere (Mit Kokettieren sollte man aber nicht kokettieren, weil es dann zu Explosionen kommt.). Er allerdings schien mir geknickt zu sein, für ihn war der Kahl- ein Fehlschlag.

„Nicht zufrieden?“

„Nein, sehe älter aus mit.“

Das stimmte irgendwie. Weil er gleichzeitig aus unerfindlichen Gründen grau dabei geworden ist. Aber ich meine, grau bei Männern ist wie blond bei Frauen. Kein Thema also.

„Nein, sieht gut aus.“, und das war mein Ernst. Inzwischen ist er leider wieder zu einer längeren Länge zurückgekehrt, was aber unserem Verhältnis nicht geschadet hat. Und vielleicht stellt er in einigen Wochen fest, dass ich – wie er, aber unabhängig von ihm! – mein Haupthaar lang wachsen lasse. Dann wird er sagen „Sieht gut aus“, womit er absolut Recht hat. Nein, ich teste es gerade. Mal gucken. Meiner Mutter, die mich gestern besuchte, gefiel es. Das macht mich ja schon eher skeptisch. Für sie sind Menschen mit sehr kurzen Haaren solche, die derzeit gröhlend vor Flüchtlingsheimen stehen. Ich gröhle nur an besonders gelungenen Abenden in der Altstadt. Dann aber so etwas wie „Seppooooo Hureeeensooohn!“, das sich nur gegen mich richtet und auch so eine Art Selbstironie ist. Und eine Beleidigung meiner Mutter, wie ich gerade merke. Ich sollte das abstellen.