gesichter2Sitze auf dem Sofa und „moderiere“. 2013.

Dem ein oder anderen dürfte sich erschlossen haben, dass ich mein Geld mit so etwas wie Fernsehen verdiene. Ich wünschte, ich könnte damit angeben, aber die wenigsten bekommen von meiner Tätigkeit etwas mit. Darum streichele ich mein Ego auf andere Weise. Wenn ich alleine bin.

Um so überraschter war ich vor einigen Wochen, als ich nach langer Parkplatzsuche vom Auto gen Anwesen ging, als mich ein Typ in einem Kapuzenpulli ansprach. Nun fand das in einer Straße statt, in der man ungern angesprochen wird, da es im dann jeweils folgenden Gespräch eher um die unfreiwillige Herausgabe von Smartphone, Jacke oder Bargeld geht.

Wir haben in unserem Viertel eine Bürgerwehr, die sich „Oberbilker Bürger für Bürger gegen Würger“ (OBfBgW) nennt. Sie ist eine Konsequenz auf eine unangenehme Serie von Überfällen auf zumeist ältere Damen, die solange gewürgt wurden, bis sie ihre Tasche leerten. Und natürlich bin ich als ordentlicher Bürger Teil der Bürgerwehr „Oberbilker Bürger für Bürger gegen Würger“, ich möchte sogar andeuten, dass ich demnächst für eine Führungsposition kandidiere und weiß wegen meiner demagogischen Fähigkeiten viele Mitglieder auf meiner Seite, die, sofern sie ihr Kreuz hinter meinem Namen setzen, sich über eine kleine Aufmerksamkeit freuen dürfen. Und ihre Familien werde ich auch wieder in Ruhe lassen. Ich will mich dazu in Balde gewohnt ausführlich äußern, sobald der Wahlkampf beginnt.

Eines habe ich in der Bürgerwehr gelernt: Sobald dunkle Gestalten auf einen zukommen – und im Dunkeln, wenn ich nach Hause komme, sind sie alle dunkel -, gilt es, den Autoschlüssel so zwischen die Finger zu nehmen, dass nur noch der Schlüssel-Bart aus der Faust herausäugt. Im Falle der Notwehr muss man dann den Schlüssel nur noch in den Angreifer rammen. Und wegrennen. Aber Schlüssel nicht im Angreifer vergessen!

Als also der dunkle Kapuzenmann auf mich zukam, positionierte ich meinen Autoschlüssel entsprechend den Anweisungen aus meinem Bürgerwehr-Handbuch, um präventiv und ohne groß nachzufragen losschlagen zu können.

„Bist du nicht der von Center.TV? Oder NRW.TV?“, will er wissen.

Hier überlegt man sich die Antwort gut. Teile meiner Familie glauben, ich arbeite beim WDR, da sie „NRW“ mit WDR gleichsetzen, was für den WDR spricht. Ich habe es anfangs stets aufgeklärt, aber ausgerechnet die Teile meiner Familie, die mich beim WDR glauben, sind so renitent, dass sie es nicht verstehen wollen. Oder eben nicht wahrhaben wollen, dass es nicht der WDR ist.

Ich überlege also, ob ich der von NRW.TV bin. Schließlich könnte er ja jeden meinen, denn wir haben mehrere ders bei NRW.TV. Oder hält er mich für das personifizierte NRW.TV? Ich frage also:

„Hältst du mich für das personifizierte NRW.TV?“

„Ihr sitzt doch da immer auf Sofas und labert irgendwas?!“

Ja, okay. Er meint definitiv mich. Uns.

„Ja, der bin ich wohl.“

„Wollte ich dich schon immer mal fragen!“, meint er.

Hm, immer mal fragen?!

„Wie oft treffen wir uns denn hier?“

„Ich sehe dich hier öfter her laufen.“

„Ah, okay. Ja, danke für’s Zusehen!“

„Ja, hm, ich guck‘ nicht oft.“

„Macht nichts. Wir setzen auf Qualität und nicht auf Masse. Schönen Abend noch!“

Und so trennten sich unsere Wege. Allerdings treffe ich den Menschen inzwischen so ziemlich jeden Tag. Das hat natürlich etwas mit selektiver Wahrnehmung zu tun, denn vermutlich liefen wir uns schon vorher oft über den Weg. Und so geschah es auch heute:

„Hallo!“

„Hallo!“

Für mehr reicht es eben nicht immer. Vor zwei Wochen humpelte ich wegen diverser Umstände durch meinen „Kaiser’s“, der zu meinem Unverständnis auch andere Kunden bedient, um Kaffee-Pads für meine „Dolce Gusto“ zu erwerben. Meine Mitbewohnerin, die das Gerät anfangs eher skeptisch bewertete, steht inzwischen auf die Sorte „Capuccino“, auch wenn uns beiden nicht ganz klar ist, ob es sich bei der Milch im Cappucino wirklich um Milch handelt. Aber letztlich spielt das keine Rolle; es genügt uns, wenn es so schmeckt, als sei es aus einer Kuh. Und während ich da vor dem „Dolce Gusto“-Regal stehe, kommt plötzlich von hinten ein

„Hi! Kaufste Kaffee?“

Ich bin ein eher schreckhafter Mensch und wollte ihm schon meinen Wohnungsschlüssel in den Hals rammen, als ich ihn noch rechtzeitig erkannte. Als den Mann, der weiß, dass ich nicht beim WDR arbeite.

„Ja. Ich stehe kurz davor.“, beschreibe ich ihm meine persönliche Situation und finde es irgendwie unangenehm, dass er mir nun beim Einholen zusieht. Ich überlege, ihm eine einstweilige Verfügung zukommen zu lassen oder die Bürgerwehr auf ihn zu hetzen.

„‚Lungo‘ ist eine tolle Sorte!“, sagt er und trifft damit auch noch meinen Geschmack.

„Joa, ich suche ‚Cappucino‘.“

„Hm, ist eh nur aus Milchpulver. Musst du jetzt nicht arbeiten?“

Nun überlege ich, ob hier mein Arbeitgeber, der WDR, nein, Center.TV, einen Spitzel auf mich gehetzt hat, der beobachten soll, ob ich wirklich krank bin. Ohne mich!, denke ich und stöhne kurz auf vor Schmerz, um zu demonstrieren, dass selbst Einkaufen für mich eigentlich nicht machbar ist.

„Ich bin krankgeschrieben.“

Irgendwie wurde es da unangenehm für mich, denn was geht es ihn an? Auf der anderen Seite ist es ein netter Typ und ich verzichte in meiner Hosentasche darauf, die Kurzwahl „2“ zu wählen, die die Bürgerwehr alarmiert.

„Oh, was haste denn?“

Wer das seppolog liest, weiß natürlich, dass ich ungern meine körperlichen Leiden heraushängen lasse und so umreiße ich innerhalb einer knappen halben Stunde vor dem Kaffee-Regal die wesentlichen Eckpunkte meines Leidens.

„Oh“, sagt er, „ich hatte auch mal eine Messerstecherei.“

Die Geschichte interessiert mich eigentlich gar nicht und so würge ich ihn ab:

„Ja, ging scheinbar gut für dich aus. Ich muss los!“

„Ich hab ja auch zugestochen!“

Nun werde ich unruhig und suche in meiner Hosentasche nach der Taste „2“, während meine andere Hand sich im Schlüsselbund verheddert, als ich nach einem geeigneten Schlüsselbart suche, um ihn niederzustrecken.

„Pass auf. Folgendes. Fühl‘ dich bitte niedergestreckt. Ich muss los!“

Ich blicke in verständnislose Augen, wofür ich wiederum absolutes Verständnis habe und gehe zur Kasse in der Hoffnung, dass er vielleicht beim Wurst-Regal noch haltmacht, was dann auch so kam.

Das ist nun länger her und wir trafen uns noch einige Male. Mein Verlangen, ihn zu töten, ist nicht mehr vorhanden, er ist nett und bewundert mich aus nachvollziehbaren Gründen und er heißt „Axel“ oder „Alex“. Ich hab‘ Probleme mit Namen und mit den beiden zumal. Wenn ich ihn begrüße, räuspere ich mich bei seinem Vornamen stets, sodass er sich irgendwie höflich angesprochen fühlt. Inzwischen weiß ich auch, dass er über dem Kiosk wohnt, an dem ich gelegentlich parke, sodass unser Aufeinandertreffen nur naheliegend ist.

 

Update

Meine Mitbewohnerin las gerade diesen Artikel und sie weist mich darauf hin, dass Alex weder „Alex“ noch „Axel“ heiße, sondern Uli. Was ihn für mich natürlich zu Kapuzenuli macht.

Richtigstellung

Zu keinem Zeitpunkt habe ich in Erwägung gezogen, dass mein Arbeitgeber mich bespitzelt.