OBfBgW Vereinstreffen

Auch ohne diese Einleitung lesbar!

In Deutschland wird gerne von „Vereinsmeierei“ gesprochen, was pejorativ gemeint ist, da sich kein Volk besser schlechtzumachen weiß als das deutsche. Ich bedaure das übrigens sehr, denn wir sind besser, als wir so denken. Aber vermutlich ist stetige Unzufriedenheit der Antrieb für die Talente, die wir – wie andere auch – so haben. Ich selber bin Mitglied in vier Vereinen. Einen muss ich aus beruflichen Gründen verschweigen, da sich „Journalisten“ der Neutralität verschreiben sollten. Ich trage seit Jahren ein Geheimnis mit mir rum. Die Vereine also:

  • Verein zur Rettung von Vereinen e.V.
  • Campusradio Münster (Verpasse die jährliche Kündigungsfrist immer wieder …)
  • Oberbilker Bürger für Bürger gegen Würger e.V.

Im letzten noch nicht lange. Es handelt sich dabei um eine Bürgerwehr, die im Düsseldorfer Stadtteil Oberbilk tätig ist und recht rabiat gegen Störenfriede vorgeht, die ihrerseits allerdings auch mitunter sehr deutlich ihre Anliegen vortragen, wenn sie dem unbescholtenen Bürger einmal zu nahe kommen.

Unser Hausmeister und Nachbar Herr Fahrgescheit, den ich versehentlich einmal Herr „Fahrgeschäft“ nannte, ist Vorsitzender dieses Vereins und diese Tätigkeit erfüllt er mit voller Hingabe und sie wiederum sein Leben im Ruhestand. Manchmal denke ich, mit ihm in Alleingan hätte Deutschland den Zweiten Weltkrieg gewonnen, aber wir sind froh, dass das nicht eintrat und über seine Gesinnung erlaube ich mir kein Urteil, ich nehme an, dass er auf der richtigen Seite stand und er ist ein sehr netter, hilfsbereiter Mann, der zupacken kann. Das zeigte er schon bei meinem Einzug, als ich versuchte, einen sechs Meter langen Teppich in meine Etage zu hieven. Trotz Herzinfarktes packte er zu und scherte sich nicht um die anderen Wohnungstüren, wenn er das Teppichende dagegen rammte. Auch das Treppengeländer war für ihn nicht vorhanden, wenn er mit dem anderen Ende dessen Handlauf zerbrach.

„Das mache ich morgen heile!“

Ohne ihn hätte ich diesen Teppich nie in meine Wohnung bekommen. Unvergessen auch der Vorfall, wie er einen Hund zu bändigen wusste, der sich selber nicht zu bändigen wusste. Es war der Hund der Nachbarin unter uns, der mich noch nicht als neuen Hausbewohner akzeptiert hatte und auf mich losging. Herr Fahrgescheit, der stets im Keller raucht, weil er in der Wohnung nicht darf, bekam das mit, stürzte die Treppen hoch und sich dann auf den Hund. Alles nach einem Herzinfarkt. Der Hund, ein Schäferhund, der nur spielen wollte, war sehr beeindruckt und kannte Herrn Fahrgescheits zupackende Art vermutlich bereits und zog sich somit zurück.

„Macht er sonst nie“, erstaunte sich Frauchen nach dem Vorfall und ich wusste nicht, ob sie das auf den Hund oder auf Herrn Fahrgescheit bezog.

Im Juni dieses Jahres wurde ich Mitglied bei der Bürgerwehr. Dazu kam es, als ich auf Herrn Fahrgescheits Einladung hin ein Vereinstreffen besuchte. Und die laufen genau so ab, wie man sich das so vorstellt.

In einem Keller des Nachbarhauses steht also vorne ein Tisch, an dem Herr Fahrgescheit als Vorsitzender sitzt und noch zwei weitere Herren zu seinen Seiten, derer er zwei hat. Davor mehrere Stuhlreihen und an der Seite ein kleines Buffet, das Frau Fahrgescheit angerichtet hat. Kuchen halt. Alte-Leute-Kuchen irgendwie. Aber schmeckt.

Nach und nach trudeln die Mitglieder ein und den ein oder anderen erkenne ich sogar, muss aber feststellen, dass ich irgendwie einer der jüngsten bin. Da ist noch Matthias aus unserem Haus, der eigentlich anders heißt, doch kann ich mir den wahren Namen nie merken. Wir nehmen für ihn gelegentlich Pakete an und er unterhält sich oft mit meiner Mitbewohnerin im Treppenhaus.

„Ah, Matthias!“, rufe ich, während mir einfällt, dass er so gar nicht heißt. Vielleicht reagiert er deshalb nicht und ich tue so, als meine ich jemand ganz anderen. Nach ein paar Minuten Karenzzeit wage ich den zweiten Anlauf, gehe auf ihn zu und sage eben nur:

„Ah!“

„Ach, du auch hier? Deine Mitbewohnerin auch?“

Nun sagt er natürlich nicht „Mitbewohnerin“, sondern eben naja, dürfte klar sein.

„Nein, die lehnt Vereinsmeierei ab.“

„Ich an sich auch. Ich bin nur Schriftführer.“

„Ah, der Führer. Verstehe. Du schreibst hier gleich mit?“

„Führerwitze machen wir hier nicht.“

„Ach, ich dachte. Hat hier alles sowas straff organisiertes. Die gucken alle so ernst.“

„Ja, es gab wieder einen Vorfall. Frau Dosenrund wurde überfallen. Sonntagmorgen um halb sieben am Kiosk!“

„Da war ich noch im Bett, meine Mitbewohnerin ist Zeugin“, sage ich, da ich das Gefühl habe, ein Alibi zu vorweisen zu müssen, „wer ist Frau Dosenrund?“

„Die mit dem Kopfverband da vorne.“

„Und daneben? Ist das Herr Dosenrund? Warum trägt er auch einen Kopfverband? Wärmt er ihn vor zum Wechseln?“

Ich fand das lustig, da ich mitunter schon mal Bettdecken vorwärme.

„Herr Dosenrund griff ein und wurde auch verletzt.“

Nun weiß ich ja, dass das nicht lustig ist. Aber da sitzt ein älteres Pärchen, beide mit Kopfverband und einem Namen, den ich nur aus meinem Zeugenschutzprogramm kenne, als ich drei Jahre lang als „Simone Siebensand“ in Ostwestfalen-Lippe lebte. Die Tarnung flog auf, da ich erkennbar keine Frau war. Dazu ein anderes Mal mehr.

Aber gut, der Alltag ist auch im Tragischen voller Komik und so nahmen wir alle Platz. Schüchtern setze ich mich nach ganz hinten, als Herr Fahrgescheit die Anwesenden direkt auf mich hinweist:

„Das ist Herr Flotho! Er ist unser neuestes Mitglied!“

Applaus. Ich bekomme nicht zum ersten Mal Applaus. Erhebe aber dezenten Einspruch:

„Ja, ne. Moment. Ich gucke erstmal.“

„Wir bei der Bürgerwehr wir gucken nicht, wir machen Nägel mit Köpfen! Herzlich willkommen!“

Wieder Applaus, dieses Mal etwas müder. Das Ehepaar Dosenrund klatscht nicht, vermutlich weil der jeweils rechte Arm in Gips befindlich.

Ich beobachte, wie Matthias, der Schriftführer, angestrengt mitschreibt. Was schreibt er gerade? „Die Menge applaudiert dem neuen Mitglied zu, das von der eigenen Mitgliedschaft völlig überrumpelt scheint“?!

Wie bei Loriot wird nun die Tagesordung vorgelesen. Und die macht mir Angst, denn Punkt eins der Tagesordung – „Vortragen der Tagesordung“ – zieht sich sehr in die Länge.

„Punkt sieben: Analyse Vorfall Eheleute Dosenrund …“

Ich bin froh, direkt an der Tür zu sitzen, um schnell gehen zu können. Irgendwie überkommt mich die Angst, dass ich gleich die Hauptrolle in einem Initiierungsritual spielen werde.

„Punkt 16: Einführungszeremonie …“

Ohje. Das ist fest eingeplant. Ist das eine Sekte? Fragt man in einer Sekte, ob es sich um eine Sekte handelt? Wissen Sekten, dass sie Sekten sind? Überhaupt wirken hier alle Anwesenden ganz anders, als wenn ich sie außerhalb dieses unheimlichen Kellers treffe. Gerade Matthias, der ganz anders heißt, ist doch immer sehr nett. Aber hier habe ich eher Angst vor dem Jura-Studenten, der übrigens jüngst festgestellt hat, dass Jura nichts für ihn ist, wie er meiner Mitbewohnerin kürzlich mitteilte.

Das Folgende niederzuschreiben wäre genau so langweilig wie es sich tatsächlich abspielte. Alles sehr trocken und auch die Dosenrunds scheinen einen Powernap zu machen. Man lässt sie, haben sie doch viel hinter sich. Und auch ich dämmere leicht weg und schrecke auf durch ein donnerndes Kampfgeschrei:

„WER SIND DIE BÜRGER?

WIR SIND DIE BÜRGER!

GEGEN WEN SIND WIR BÜRGER?

GEGEN DIE WÜRGER SIND WIR BÜRGER!

FÜR WEN SIND WIR BÜRGER?

FÜR DEN BÜRGER SIND WIR BÜRGER!“

Hui, und kaum einer ist mit „Bürger“ und „Würger“ durcheinander gekommen. Und auch die Dosenpfands haben laut mitgerufen, obwohl ich den Eindruck hatte, dass Herr Dosenrund (Schrieb ich eben „-pfand“?!) nur die Mundbewegung gemacht hat, so wie ich, wenn es mich mal in eine Kirche verschlägt. Apropos Kirche, kommender Heiligabend findet ohne meine Mitbewohnerin statt. Wir teilen uns auf. Traurig.

Über das Einführungsritual werde ich dann im nächsten Teil berichten.