Aber immerhin dieses: Wenn man nicht mehr weiß, was man niederschreiben soll, obwohl man gerne etwas zu Papier bringen möchte, damit einfach meine Tippse was zu tun hat, da sie pauschal fürstlich mit Naturalien entlohnt wird, muss man sich etwas aus den Fingern saugen. Das klappt meist überraschend gut, anders als sich Fiktionales auszudenken, was vergangene Woche im seppolog klickmäßig massiv in die Hose ging, obwohl ich von meinem Meisterwerk absolut überzeugt bin.

Es war also an der Zeit, dass ich mir eine Marktforschungsabteilung einrichte. Dazu gehört eine Gruppe aus Probanden, die die Texte vorab liest und dabei von mir durch eine Glasscheibe beobachtet wird. Sensoren in ihren Monitoren, an denen sie einen vermeintlichen Literatur-Nobelpreis-Anwärter (mich) lesen, erfassen ihre Gesichtsregungen und zeigen mir an einem Kontrollmonitor an, an welcher Stelle sie schmunzeln oder eben nicht. Blicken sie auf Zeilen, die ich vorab als „lustig“ markiert habe und sie lachen nicht, werden diese Passagen auf meinem Monitor rot markiert, was soviel bedeutet wie „zur Löschung vorgemerkt“, wenn ein Prozentsatz von mehr als 50 Prozent der Test-Leser meint, über meine Knaller-Pointe nicht lachen zu müssen.

Innerlich markiere wiederum ich die Test-Leser, die mehr als dreimal nicht über vorgesehene lustige Textstellen lachen. Denen spreche ich dann jegliches Humorverständnis ab und bitte sie, schleunigst und ohne groß davon Aufhebens zu machen, das Labor zu verlassen mit der Bitte, nie wieder zu kommen und gefälligst am Humorverständnis zu arbeiten. So mies kann kein Text von mir sein!

Auf diese Weise habe ich einen großen Verschleiß an Test-Lesern und musste mir dazu schon einige Zeilen meines Labor-Leiters zu anhören. Hier und da gebe ich aber gerne zu, dass beispielsweise Begriffe wie „Verein“ in einer Überschrift nichts zu suchen haben, wie ich es vergangene Woche gewagt hatte. Mein F&E-Boss dazu:

„Herr Flotho, jeder Mensch erwartet in so einem Fall gerade in Blogs irgendwelche belanglosen Berichte von Vereinen, für die sich zurecht niemand interessiert.“

Dazu ein Beispiel aus einem Blog, den ich hier absichtlich nicht verlinke. Es ist der Blog eines Kleingärtnervereins:

Vereinsnews: Zelle 3B wird aufgegeben
Da sich die Pächter Gruber/Chorweiler nicht auf eine einheitliche Heckengröße einigen konnten, beschließt der Verein einstimmig, die Zelle 3B aufzugeben, um sie künftig Vagabunden zugänglich zu machen. Pächter Gruber/Chorweiler erwägen nun den Umzug in Zelle 3C, in dem ein Heckenverbot gilt.

Allein der Begriff „Vereinsnews“ in der Überschrift bewege Neuleser nicht zum Anklicken. Aus diesem Grund werden die von mir vorgeschlagenen Überschriften bei nahezu jedem Artikel nach ein paar Stunden umformuliert. Solche Dinge geschehen, wenn man plötzlich mit Klick-Optimierern arbeitet, bei denen erst die Anzahl der Klicks steht und dann erst der Inhalt kommt. Bei mir persönlich ist es eher umgekehrt. Erst der Inhalt, dann die Klicks. Oder eben auch nicht.

Um es meinen Klick-Optimierern Recht zu machen, habe ich in die Probe-Leser-Gruppe dieses Textes Freunde eingeschmuggelt, die ich dafür bezahlt habe, dass sie an bestimmten Stellen in schallendes Lachen ausbrechen, damit der Text auch tatsächlich online geht. Bei obigem Zitat aus dem Vereinsmeier-Blog haben sie alle vor Schmunzeln auf ihre Knie klopfen müssen, damit es drin bleibt. Überhaupt prophezeien mir meine Marktforscher enorme Klicks für diesen Beitrag, da das Testergebnis natürlich von mir manipuliert ist. Und Leser, die jetzt noch dabei sind, wissen genau wie ich, dass dieser Text das natürlich nicht ansatzweise hergibt. Warum nicht? Weil keine sexy Lara in Erscheinung tritt, die übrigens enormes Interesse an mir zeigt, was meiner Mitbewohnerin, die in diesem Text ebenfalls keine Rolle spielt, überhaupt nicht gefällt. Davon morgen dann mehr. Denn vorher diese Anekdote, die ich ja für mich behalten hätte, wenn die Klick-Optimierer mir nicht die Veröffentlichung nahegelegt hätten:

 

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„Kaffee & Kuchen für 3,80 Euro“ klingt für mich nach einer Beschäftigung für Menschen älteren Semesters, sagen wir jenseits der 60, an einem Sonntagnachmittag. Doch es begab sich vor einigen Wochen, dass meine Mitbewohnerin und ich, die nun suddenly (auf Anraten meines Marktfroschungsteams muss ich ab sofort mit Anglizismen um mich werfen) doch eine Rolle hier spielt, in die „Kaffee & Kuchen für 3,80 Euro“-Situation gerieten. Bei bestem Sonnenschein lagen wir nackt im Düsseldorfer Volksgarten, um ihre Bräune zu erhalten und mir einen Sonnenbrand zu ermöglichen („Die Haut vergisst nie“). Da überkam uns Hunger, der auf Durst traf. Zu unserem Glück verfügt der Volksgarten neben Gras über Gastronomie, die aber eher bescheiden daher kommt. Da gibt es dieses Café „Kajüte“, das ein Aufsteller am Eingang bewarb mit der Aufschrift „Kaffee und Kuchen für 3,80 Euro“.

Dort sitzend stellten wir dem Dienstleister mit Schürze die Frage, wie starr denn dieses Angebot eingehalten werden müsse. Ob man den Kaffee auch durch Cappucino ersetzen dürfe.

„Das geht leider nicht. Wir bieten das Angebot nur in dieser Kombination an.“

„Aber könnte ich einen Cappucino bekommen?“

„Ja.“

„Mit Kuchen?“

„Ja. Das ist kein Problem.“

„Wie teuer?“

„3,80 Euro.“

Das erinnerte mich an einen Currywurst-Buden-Vorfall in meiner Jugend. Damals wurde mir Pommes-Currywurst offeriert für sagen wir mal vier Mark. Die Currywurst war eine Bratwurst mit Ketchup. Bestellte ich eine Pommes-Bratwurst-mit-Ketchup, hätte ich nur drei Mark 70 bezahlt. Mit diesem Sparfuchs-Trick habe ich damals eine Freundin beeindruckt, die sich dann für die gesparten 30 Pfennig eine halbe Kugel Eis kaufen durfte.

Und als meine Mitbewohnerin und ich da so saßen bei Cappucino und Kuchen, was uns sehr spießig vorkam, was es auch ist übrigens, fiel uns auf, dass wir kein Geld mit uns führten.

„Wir stehen unauffällig auf und gehen“, schlug ich vor, „zumal der Kuchen sehr trocken war.“

„Und der Cappucino war recht stark“, rechtfertigte meine Mitbewohnerin die geplante Untat.

„Moralisch wären wir also auf der sicheren Seite. Niemand könnte uns einen Vorwurf machen.“

„Bis auf den Kellner.“

„Und den Geschäftsführer“, ergänzte ich.

„Die Leute gucken schon komisch.“

Ja, meine Mitbewohnerin ist eine gute Beobachterin. Man sah uns die Straftat an, bevor wir sie überhaupt ausgeführt haben. So kam mir das Prinzip des „predicting policing“ in den Sinn, mit dem die hiesige Polizei versucht, Verbrechen mittels einer Software vorherzusehen. Bei Einbrüchen ist das recht wirksam und groß im Kommen. Was aber, wenn in diesem Moment bei der nächsten Polizeidienststelle eine Software prophezeit, dass ein junges Pärchen in einem Café für älteres Publikum die Zeche prellen will? Stehen die Beamten bereits am Ausgang und erwarten uns?

„Wir können nicht einfach so gehen. Ich bin zu nervös dazu. Ich würde beim Aufstehen vermutlich den Tisch umstoßen.“

„Spiel‘ doch einen Herzinfarkt vor.“

„Bedenke die langfristigen Folgen. Man würde einen Notarzt rufen. Was soll ich dem dann sagen?!“

„Könntest ihn fragen, ob er uns Geld leihen könnte.“

„Gute Idee. Einfacher wäre es, ich rufe Pavel an.“

Pavel ist ein Freund von mir, den wir eh noch treffen wollten an diesem Tag und so konnte er uns aus dieser massiven Klemme helfen, wofür er sich heute noch völlig zurecht feiert.

Entgegen der Warnung der Marktforschung wird dieser Artikel in diesem Moment freigeschaltet.