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Der gestrige Artikel über den Zwang zur Intimrasur, den ich selber an sich gar nicht postuliert hatte, erhitzte das ein oder andere Gemüt. Dabei ist es ganz einfach: Der „Markt“ bietet alles, sodass jeder Fetisch bedient werden kann. Niemand zwingt irgend jemandem zur Rasur. Wobei, doch. Leider bedachte ich beim Schreiben des Beitrages nicht die Reaktion meiner Mitbewohnerin, die, das kann ich ganz unverblümt sagen, leidenschaftliche Gegnerin meines Vollbartes ist, sobald er eine für sie kritische Länge erreicht hat. Die hatte er. Bis eben.

Aus dem Nichts (Und so läuft es ja immer bei Frauen!) erreichte mich gestern Abend auf dem Sofa die Mitteilung, dass sie sich ja nun auch alles sprießen lassen könne, wenn ich meine, einen Wald im Gesicht tragen zu müssen. Puha. Ein an sich sehr stabiles Mietverhältnis wird abermals von mir, dem eitlen Bartträger, auf die Probe gestellt. Es ist die Länge, die sie stört (im Gesicht ist Länge also durchaus ausschlaggebend), und nicht der Bart an sich, was sie stets betont. Und da ich ja immer sehr diplomatisch agiere, ließ ich mich darauf ein, dass sie heute mit einer Heckenschere meinen Bart stutzen dürfe.

Wir waren heute brunchen, wie wir es gerne sonntags tun. Leider hatten wir uns heute einen Laden ausgesucht, den es gar nicht mehr gibt. Seit zwei Jahren nicht mehr. Wir gingen gerne hin, da man dort nicht reservieren musste, was möglicherweise an den katastrophalen Zuständen in der Küche gelegen hat. Wir hatten da Insiderwissen … Offenbar wurden genau diese Zustände dem Etablissement zum Verhängnis und der letzte Gast war möglicherweise das Düsseldorfer Gesundheitsamt. Da ich ja nie ohne Plan B das Haus verlasse, griffen wir auf Plan B zurück: Burger-Essen in einem dieser hippen Burger-Läden, die es auch der oberen Gesellschaft erlauben, ohne Gesichtsverlust schick „Fast Food“ zu sich nehmen zu können. Und tatsächlich, da sitzen Leute, die man bei sagen wir mal „Burger King“ nicht ohne Weiteres antrifft. Und auch sie sitzen dort und essen die Burger mit den Händen, ganz so, wie es einem auf der ersten Seite der Menü-Karte nahegelegt wird, wo geschrieben steht: „Wir essen hier mit den Händen!“ Revolutionär! Für die Feigen allerdings steht dennoch Besteck auf dem Tisch.

Das Burgeressen ist für Bartträger eine besondere Herausforderung, gerade dann, wenn sie einen doppelten „Patty“ meinen, bestellen zu müssen – mit extra Sauce. Und hier erklärt sich obiges Foto, das bei „The Burger’s Bucket“ im Düsseldorfer Medienhafen entstanden ist. Ich sagte schon vorab zu meiner charmanten Begleiterin, dass ich unbedingt mit dem Gesicht zur Wand sitzen müsse, auch wenn mir dann die hippe Atmosphäre des Burger-Eimers entgehen würde.

„Ich kann nicht entspannt essen, wenn mir Großteile des Burgers im Bart hängen bleiben und jeder zusieht, wie ich kämpfe“, gebe ich zu bedenken.

„Das passiert doch bei jedem!“, wiegelt sie ab.

„Aber bei den von der Natur benachteiligten Glattgesichtigen fließt die Sauce direkt aus dem Gesicht zurück auf den Teller. Ich speichere sie hingegen.“

Das ist wirklich das einzige, was mich nervt am Bart. Und zwar so richtig. Ich kann nicht mehr in Ruhe irgendwo ein Brötchen essen, sofort kommt jemand und weist mich auf mir längst bekannte Umstände hin:

„Du hast das was … Nein, rechts … Anderes rechts … Weiter unten … Ja, ist weg.“

Und beim nächsten Bissen ist es wieder da. Inzwischen esse ich mit der einen Hand, während die andere eine Serviette bereithält.

Daher der Blick zur Wand. Vor der natürlich dann noch meine Mitbewohnerin sitzt, damit ich wenigstens sie sehe. Nach elf Jahren kann ich in ihren Augen wunderbar lesen. Ich bin ja Augen-Fan. Augen verraten alles. Es gibt Menschen, die ich hasse, weil ich in ihren Augen lese, sie sind nicht gut. Fatal, wenn ich da falsch liegen würde, aber so ist es nun einmal. Ich lag oft richtig. In ihren Augen lese ich seit einiger Zeit ein neues Kapitel mit der Überschrift „Du hast da was im Bart.“ So auch heute. Ich beiße in den Burger und kämpfe mit der Tomate, die ich eigentlich extra abbestellt hatte, die scheibchenweise aus dem Heck des Burgers rutscht, aufgefangen nur vom rechten kleinen Finger. Dabei sehe ich die Augen meiner Mitesserin, die mir mitteilen, dass nicht unerhebliche Zutaten meinen Mund verfehlt, den Bart aber perfekt getroffen haben, wo sie dann erst einmal hängen bleiben.

„Ich weiß. Was soll ich tun. Ich esse wie ein Schwein. Es ist mir anders nicht möglich.“

„Wir könnten den Bart ja abnehmen.“

So sehr nervt es mich dann auch nicht, zumal es ja bis auf Wand und Mitbewohnerin keiner sieht. Wobei, doch. Die Kellnerin vom „Burger’s Bucket“ kommt, um sich zu erkundigen, ob es schmeckt. Bartvergessen drehe ich mich zu ihr und betone, dass mir selten ein Burger so gut geschmeckt hat und ich mich freue, dass „The Burger’s Bucket“ zweimal täglich das Fleisch selber wolft. Das sage ich nur deshalb, weil ich das Verb „wolfen“ so noch nie gehört hatte. Und auch nicht anders. In solchen Momenten denke ich, kannste drüber bloggen. Wolfen. Gibt aber zu wenig her. Wobei, Wolfen, Wolfenstein. Jagd auf Nazis. So kommt eines zum anderen, heute jedoch nicht. Morgen ab elf Uhr. Komplizierter Scherz, ich weiß.

Ich blicke sie also an, lobe überschwänglich das Fleisch aus der Region und realisiere dann ihr Schmunzeln. Ich lächle verlegen und sage:

„Ja, ist schwierig mit Bart. Die Saucen. Tolle Saucen übrigens.“ Wobei ich die Joppi-Sauce nicht toll finde.

Mit einer lächerlichen Serviette komme ich nie aus. Darum habe ich immer Tempos dabei, um mir den Bart zu reinigen. Ich wische erst, gucke dann meine Mitbewohnerin an, die mir mittels zustimmender Mimik die Freigabe erteilt: „Alles sauber.“ Ich muss ihr da vertrauen können. Sie könnte mich verarschen und mich mit Joppi-Sauce im Gesicht selbiges nicht wahrend den Laden verlassen lassen. Tut sie aber nicht. Weil sie sich schämen würde, für mich. Und das tut sie eh schon oft. Die arme Frau. Macht viel mit. Ich aber auch:

Da sitzen wir da schön an einem gemütlichen Vierertisch und es kommt das Unvermeidliche: der Wetterstatusbericht von ihr: „Hier zieht es.“ Es zieht immer. Egal, wo wir sitzen. Selbst im Vakuum ist sie diejenige, die einen Zug festzustellen vermag.

„Es kann nicht ziehen, wir sitzen in einem Vakuum.“

„Aber in meiner Ecke zieht es an den Beinen!“

Ich ignoriere das inzwischen. Es gibt diesen Ort nicht, an dem es nicht zieht. Das weiß sie und akzeptiert meine Ignoranz.

Ich bestelle nun den zweiten Burger, als sie endlich die Speisekarte zuklappt, da auch sie endlich ihre Wahl getroffen hat. Sie:

„Ich überlege, ob ich überhaupt ’ne Sauce zu den ‚Fries‘ bestelle.“

„Warum denn nicht?!“

„Ich tunke meine ‚Fries‘ einfach in Deinen Bart.“

Das könnte sie. Denn ich habe zuhause eine Sammlung von etwa sechs verschiedenen Bartshampoos. Heute nahm ich das mit Orangenminze-Duft. Das riecht so phänomenal, dass ich es sogar trinken würde, wäre es nicht so teuer. Also von wegen, Kot im Bart.

Wieder Zuhause kam der von mir gefürchtete Moment, den sie wiederum seit vier Wochen herbeisehnt. Sie darf mich beschneiden. Es ist der Moment, in dem ich mich vollkommen der Fremdkontrolle ergebe, eine Vollnarkose bedeutet weniger Kontrollverlust als dieser Vorgang. Ich lasse ja auch nicht von einem Greenpeace-Aktivisten meinen Wal filetieren, er würde es mit wenig Liebe tun. Und so verhält es sich, wenn sie mit einer Schere vor mir steht, um ihre Vorstellung eines Bartbewuchses in die Realität umzusetzen. Und wieder lese ich in ihren Augen. Was sehe ich? Ich sehe Wahnsinn. Sie ist nicht mehr in dieser Welt. Sie sieht nur noch zu lange Haare und das Schneidwerkzeug. Sie summt dabei. Kein melodisches Summen, ein meditatives, bedrohliches „Ohhhmm“ ist das. „Nur die Spitzen“, sage ich mit piepsiger, verängstigter Stimme. Doch sie hört mich nicht mehr, ich dringe nicht mehr zu ihr durch. Ich spüre, wie Haarbüschel auf meinen nackten Oberkörper fallen. Eine Träne macht sich auf den Weg über meine Wange. Leise nehme ich Abschied von dem, was mich auch ausmacht. Ausmachte. Was als Zeichen meiner Rebellion gegen den Feminismus mich zierte. Was ausrief: „Seht her, ich bleibe Mann! Mich kriegt Ihr nicht!“ Doch sie werden uns alle kriegen.