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Ich bin heute ausgesprochen irritiert. Bisschen überrascht vor allem, da ich Gott kennengelernt habe. Es ist Sonntagvormittag, und zwar ein sehr guter, da ich heute nicht joggen muss, was eigentlich „Laufen“ heißt, und die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ beglückt mich mit einem vierwöchigen Probe-Abo ohne Verbindlichkeiten. Und so lese ich ungefähr zehn Artikel über die Flüchtlingsnummer und langweile mich bereits beim vierten, während ich gedanklich über den heutigen Flohmarkt-Besuch nachdenke. Man kann seitenweise Artikel lesen und dabei hoch aktiv nachdenken. Toll, was das Gehirn so leistet. Ich bin kein Flohmarkt-Mensch, ändere das aber heute. Schönes Wetter draußen, während die Waschmaschine ihre Runden dreht, was sie sehr zuverlässig seit Jahren tut. Es wird immer so getan, als würden Waschmaschinen permanent kaputtgehen. Die meine nicht.

Die Frage, ob man gläubig ist oder nicht, finde ich nicht leicht zu beantworten. Denn irgend einem Irrglauben erliegt man ja doch, oder? Kann man auch als rationaler Mensch sich davon freisprechen, in extremen Situationen nicht doch in Verhandlungen mit irgend etwas zu treten? Jeder, der hofft, der auf irgend etwas hofft und sei es nur die Hoffnung auf einen erträglichen Flohmarkt-Besuch, glaubt doch bereits an irgend etwas. Tatsächlich ist natürlich alles unvorherbestimmt und dem Zufall überlassen (obwohl es Zufall nicht gibt, alles hat seine Ursache). Solche Gedanken haben wir wohl alle hin und wieder und nun sind sie obsolet. Darum bin ich ja so irritiert. Zumal mir eines hätte klar sein müssen: dass Gott einen Schlüssel für meine Wohnung hat. Er wird immer als allmächtig dargestellt, aber glaubt man wirklich, dass er deshalb auch einen Universal-Schlüssel hat? Liegt aber nahe.

„Ich hätte sonst geklingelt“, meinte er, als ich ihn wie ein Mädchen kreischend im Schlafzimmer empfing und nebenbei feststellte, dass auch Gott einen Körpergeruch hat. Allerdings halte ich es für möglich, dass er gerade schwer gearbeitet hat und deshalb ein wenig nach saurem Schweiß roch.

„Das ist Angstschweiß!“, erklärte er mir.

„Sie, Angst?“, fragte ich und siezte ihn dabei. Ich meine, wer Gott duzt, der duzt doch wirklich jeden. In Gedanken duze ich ihn. Aber wenn er dann so dasteht, siezt man ja erst einmal, zumal er der ältere ist.

„Wenn ich erscheine, erschrecken sich manche derart, dass sie auf mich einschlagen. Ich habe vor dreihundert Jahren etwa mein rechtes Auge verloren, weil ein Landwirt mit einer Mistgabel auf mich losging. Ich sah es nicht kommen.“, erklärte er sich.

Meine Mitbewohnerin ist gerade fischen. Angeln. Ich sitze also lesend im Bett und höre plötzlich das Türschloss. Könne unmöglich schon meine Mitbewohnerin sein, denke ich so, die ist ja gerade erst weg. Obwohl, vermutlich hat sie was vergessen. Wäre nicht untypisch. Ich höre das Öffnen der Wohnungstür, schwere Schritte und ein japsendes Atmen. Das ist der Moment, in dem mir völlig klar ist: Ein Sonntagseinbrecher. Meine Atmung wird flach, ich mache mir in die Hose und denke, nun ist es aus. Ich überrasche Einbrecher, der mich dann erschlägt. Also tue ich erst einmal nichts und sitze da. Vor mir ein riesen Foto von Angela Merkel in der „FAZ“, die mit sinkenden Sympathie-Werten zu kämpfen hat, obwohl ich sie nie so geschätzt habe wie jetzt. Angela guckt mich an, als fragte sie, was ich nun zu tun gedenke.

„Ich sitze das aus und warte, bis er wieder geht.“, erkläre ich ihr in Gedanken meinen feigen Plan. Und hoffe, dass der Einbrecher nicht ins Schlafzimmer kommt.

Aber er kommt. Na, tolle Wurst, denke ich, gerate in Panik und kreische hysterisch.

„Ruich an! Ich bin’s. Gott. Ich tue Dir nichts.“

Gott geht in meine Küche und macht mir einen Beruhigungstee, damit ich wieder runterkomme. Paralysiert sitze ich da und sage zu Angela: „Ist nur Gott.“

Selten werden Menschen von Gott besucht, behaupte ich mal und viele, die es von sich behaupten, halte ich auch für Spinner. Diese Meinung gilt es zu überdenken. Ich überlege, ob dieser Besuch ein gutes Zeichen ist oder ob es Ärger gibt, weil ich gestern über Vaginas geschrieben habe. Aber dafür kommt er wohl kaum vorbei, ein Anruf genügte bei einer solchen Lapalie.

„Parkplatz gefunden?“, frage ich ihn, als er wieder ins Schlafzimmer kommt, „Oder mit der Bahn gekommen?“

„Ich stehe auf dem Behindertenparkplatz.“, sagt er schmunzelnd.

„Sie schleppen da sofort ab. Jede Woche wird da mindestens einer abgeschleppt!“, warne ich und frage mich dabei, wer ich bin, Gott vor irgend etwas zu warnen.

„Ich habe einen Behindertenausweis, mein Freund. Ich bin zwar Gott, aber nicht perfekt. Das Alter bringt die ein oder andere Malässe mit sich.“

Gott ist „gehandicapt“, wie man politisch korrekt so sagt. Das macht ihn menschlich, finde ich. Und überhaupt sieht er so aus, wie viele in unseren Breiten ihn sich so vorstellen. Mit Bart natürlich.

„Der Bart ist aber recht neu!“, lässt er mich wissen.

„Und, kommt gut an bei Frauen, oder?“

„Ja, unterstreicht die Männlichkeit!“

„Und gleichzeitig müssen Sie sensibel sein. Das ist das Geheimnis.“

„Ich lerne hier vom Besten offenbar.“

„Ach … nicht doch …“

Soweit ich als Mann das beurteilen kann – und ich kann das -, gar nicht mal so unattraktiv, dieser Gott. Er ist übrigens ein Mann. Das tut mir jetzt leid, aber ich stelle es ja nur fest.

„Sie sind ja offenbar ein Mann. Mit allem Drum und Dran?“

„Natürlich, Seppo! Und ja, ich habe den längsten. Da kannst Du Dir sicher sein. Ich fing mit mir an und hatte vieeel Lehm zur Verfügung.“

„Dann war ich wohl eines Ihrer letzten Exemplare?“, scherze ich. Er schmunzelt. Er ist sympathisch, hat durchaus Humor. Aber warum ist er hier? Wann kommt er zur Sache?

„Ich war mal verheiratet. Inkognito natürlich. Habe mich von einem schwulen Priester trauen lassen. Fand ich ganz ulkig. Aber ich hatte die falsche Frau gewählt.“, schwadroniert er. Er will offenbar nur reden.

„Nicht einfach mit Frauen. Als ich das Konstrukt Frau geplant hatte, schwebte mir was völlig anderes vor. Diese Gattung ist mir zugegebenermaßen völlig aus dem Ruder gelaufen. Seit 2.000 Jahren überlege ich, wie ich das wieder gut machen kann.“

„Passiver Widerstand. Hinnehmen. Als Mann nimmt man vieles einfach hin. Naiv zu glauben, etwas ändern zu können. Und wenn Sie als Gott es nicht können, bleibt kaum Hoffnung. Wie heißt denn die Glückliche?“

„Jaqueline.“

„Oh. Okay. Hart. Da war aber jemand blind vor Liebe?“

„Anfangs hat sie mich vergöttert. Nur ist das für mich eben kein wirklich neues Gefühl, weil das Gros der Menschen mich von jeher vergöttert hat. Ich fürchte, ich habe ihr daher auch zu wenig zurückgegeben. Aber sie unterschätzt eben auch, was mein Job mir abverlangt.“

„Hat sie Kriege und andere humanitäre Katastrophen zu verantworten?“

„Nein, das macht Ihr schon selber ganz gut. Ich arbeite auch nicht 24 Stunden am Tag. Ich habe Hobbys. Ich sammle.“

„Sie sammeln? Was?“

Und das war auch Anlass seines Besuches. Da er Wind davon bekommen hatte, dass ich heute auf einem Flohmarkt in Düsseldorf unterwegs bin, bat er mich, ein paar Dinge mitzubringen.

„Ich sammle Wasserpfeifen. Kann aber schlecht handeln. Daher dachte ich an Dich, Seppo. Ich habe mit dem Teufel die Kriegsopferzahlen ausgehandelt. Da hab‘ ich leider eine schlechte Figur abgegeben.“

„Haha, ich habe mal den Preis eines Fahrrades auf einem Flohmarkt versehentlich hochgehandelt! Dasselbe passierte mir im vergangenen Jahr mit einem Weihnachtsbaum! Ich bin da wohl kaum der richtige!“

„Schon nicht ohne, Gott zu widersprechen, Seppo!“

Nicht ganz einfach, der Kerl, aber nun werde ich ihm gleich eine Wasserpfeife besorgen müssen. Ich bin etwas in Sorge, dass ich es ihm nicht rechtmachen werde, doch ich tue mein bestes. Euch einen schönen Sonntag. Ich muss das erst einmal irgendwie für mich einordnen.