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Folgendes Gespräch fand am Montagmorgen mit meinem besten Kumpel Pavel statt.

Pavel: Seppo, Du bist voller Wut?

Ich: Ich bin vor einigen Monaten einmal sehr wütend aufgewacht. Ich spürte im Vorgang des Erwachens eine unfassbare Wut. Die gar keinen Grund hatte. Oder doch. Einen indirekten. Aber es gab keinerlei Grund dafür, wegen Wut aufzuwachen und vor allem deshalb nicht mehr weiterschlafen zu können. Zumal ich schwerst müde war. Ich musste wutbedingt aufstehen.

Du bist nun eben wutentbrannt zu mir gekommen.

Wenn ich wütend bin, gibt es zwei, drei wenige Begriffe, mit der ich die Wut zum Ausdruck bringe.

Die ich auch schon alle gehört habe: „Fotze“, „Schlampe“ und relativ neu: „Fotzenschlampe“.

Ja. Ich habe zwei Begriffe zu einem zusammengefügt und die Wut damit nicht einfach nur verdoppelt, sondern potenziert!

Verrückt.

Potenziert, mein Lieber!

Nun sind das ja beides Begriffe, die sich auf Frauen beziehen. Und nicht sehr positiv. Deine Wut auch?

Nein. Eben nicht. Aber ich finde sie sehr ausdrucksstark und benutze sie nur im kleinen Kreis. Es liegt mir fern, Frauen überhaupt zu beschimpfen. Nur hinter ihrem Rücken natürlich. Meine Mitbewohnerin habe ich übrigens noch nie beschimpft. Weder vor noch hinter ihrem Rücken. Es gibt keinen Anlass. Nicht einmal „Arsch“ habe ich sie geschimpft. Oder mit etwas vergleichbar Harmlosen. Mir fiele da jetzt auch nichts ein. So oder so, es würde sie nie treffend bezeichnen.

Andere Frauen schon mal beleidigt?

Hinterrücks. Natürlich.

Das ist feige.

Selbstverständlich. Aus gutem Grund. Ich gehe ja wohl kaum zu einem Menschen und beschimpfe ihn. Es gelten ja wohl noch Regeln des Anstandes. Es gibt gute Gründe, warum man eben nicht alles sagt, was man denkt: Das gesellschaftliche Miteinander wäre dann nicht mehr möglich. Das begründet dann wohl auch das Lästern, das es ermöglicht, sich Luft zu machen, ohne den Gemeinten direkt zu beleidigen. Ich sage nicht, dass das gut ist, aber, ich glaube, darin ist Lästern begründet. Offenes Beschimpfen ist vielleicht dann möglich, wenn es sich um eine Person handelt, die man nicht mag, die einem vielleicht auch egal ist. Dann aber stellt sich auch die Frage, warum man die dann überhaupt beschimpfen sollte. Wenn sie einem ja egal ist. Schwierig, merke ich gerade. Vielleicht beschimpft man doch eher die, die einem nicht egal sind. Das artet aber zu einem komplizierten Sachverhalt aus hier. Vielleicht sollte man einfach gar nicht beschimpfen. Wie kamen wir denn auf Beschimpfen?!

Wegen Deiner Wortwahl … Worauf bezieht sich Deine heutige Wut?

Auf Umstände. Auf Fotzenschlampenumstände. Findest Du das sehr ordinär?

Ja, klar. Ist es Deine Art, Wut rauszulassen?

Ja. Verbal. Nicht an Menschen oder Gegenständen. Man könnte ja Regress einfordern. Und noch einmal ganz deutlich: Ich schimpfe niemanden „Fotze“ oder „Schlampe“.

Warst Du wütend auf den Autofahrer, der Deine Mitbewohnerin angefahren hat?

Seltsamerweise gar nicht. Er wurde mir allerdings auch nicht gerade sympathisch. Ich habe ihn am Unfallort ignoriert. Er stand da und erklärte sich der Polizei, aber er war mir gleichgültig. Vermutlich, weil er ja nicht in Absicht den Unfall hervorgerufen hat. Obwohl er ihr den Satz zu entlocken versuchte „Wir sind ja beide Schuld“. Erbärmlicher Versuch. Nun macht es mich doch wütend. Was für ein Fotzenarsch. Was hat er zu verlieren?! Zahlt alles seine Versicherung. Übrigens ganz wichtig in Konflikten, in zwischenmenschlichen: Bleibe immer der moralische Sieger. Man muss darauf setzen, dass der „Gegner“ die Moralität hinter sich lässt. Mehr braucht es oft nicht und dann hat man sich nichts vorzuwerfen.

Und das funktioniert bei Dir?

Meist. Weil man sich dann einen darauf einbilden kann. Ich hatte vor etwa einem Jahr so eine Situation. Jemand fühlte sich von mir ungerecht behandelt. Er hinterfragte nicht erst die Situation, sondern feuerte überraschend massiv zurück und brachte mich absichtsvoll in eine äußerst missliche Lage. Er sagte mir sogar kurz danach, dass genau das seine Absicht gewesen sei. Dass mich aber gar keine Schuld traf, realisierte er gar nicht; aus Wut hatte er völlig überreagiert. Moralisch war er der Verlierer und bei mir menschlich bis heute unten durch, da er in erfrischender Offenheit gezeigt hat, dass er in bestimmten Situationen Menschen schadet, um sich selber besser zu fühlen. Auch wenn ich in dem Moment den Schaden hatte, konnte ich zumindest, wie man so schön sagt, in den Spiegel schauen, weil ich mich sauber verhalten hatte. Das gibt einem etwas. Und man muss dann gar nicht groß zurückschlagen, denn entweder realisiert der andere, dass er ein ganz mieses Arschloch ist, oder er tut es nicht. Dann aber ist er es auch gar nicht wert, weiter beachtet zu werden.

Zerfrisst Dich Wut?

Ja. Und auch wieder nicht. Man kann daraus gewinnen. Energie.

Zerstörerische?

Nein. Kreative. Ich hatte mal eine sehr gute Sendung unter Einfluss von Wut. Wurde zwar nie ausgestrahlt, aber ich habe sie noch zuhause.

Was gilt es, bei Wut zu beachten?

Dass man sich im Griff behält. Wut ist ja eher zerstörerisch. Fast wie Hass. Ich hasse zum Beispiel nicht ernsthaft irgend jemanden, obwohl nicht mehr viel fehlt. Nein, falsch. Zum Hassen braucht es schon einen triftigen Grund. Bleiben wir also bei Wut. Man hasst ja eher nur zum Scherz. Hass wäre ein Debakel.

Die frisst Du in Dich hinein?

Es gibt drei Personen, die am Fressen teilhaben. Ansonsten, klar. Das wird reingefressen, was es nicht besser macht. Wichtig ist im Zustande der Wut, nichts zu zerstören. Also Inmaterielles wie Materielles, denn es tut einem dann ja doch leid. Jüngst geschah es mir im Sommer an meinem Arbeitsplatz, als ich wutentbrannt eine Tür zudonnerte. Das geht bei uns schon eher als bei einem Bürojob, aber man kannte es so nicht von mir. Hat aber auch kaum jemand mitbekommen. Vielleicht auch das eine Regel: Man raste nicht vor Publikum aus, es könnte peinlich werden.

Wenn Du Deiner Wut also selten sichtbar Ausdruck verleihst, wie baust Du sie ab?

Zunächst einmal baut sie sich langsam und unmerklich auf. Dann denke ich über den ihr zugrunde liegenden Tatbestand nach und nähre sie damit. Dann kommt der Punkt, an dem eine Brieffreundin es abbekommt. Ich kotze dann in all rainbow colors. Abends bekommt es dann meine Mitbewohnerin ab, die ihre ganz eigene Methoden hat, mich zu beruhigen. Ja, das ist die Antwort auf die Frage, wohin die Wut geht. Sie wird absorbiert und in ein Vakuum gesogen. Letzterer Vorgang ist mir nicht ganz klar. Nichts verschwindet ja im Leben, Wut vielleicht schon.

Sagen wir es ganz romantisch: Es ist die Liebe, die sie aufsaugt.

Wenn die Wut es nicht ist, die die Liebe zerstört.

Was bei Dir nicht der Fall ist.

Ich setze Liebe sparsam ein. Meist ist es verschwendet.

Mit 36 Jahren bereits ein weiser Mann.

Und desillusioniert. Das aber in Maßen. Ja, hier und da. Man wird schlauer. Wie schlau man dann erst mit sagen wir mal 60 ist?! Das muss ja großartig sein! Aber kein Grund, die Jahre bis dahin zu überspringen. Wer jung stirbt, stirbt dumm.

Wann hast Du Wut einmal bereut?

Ich habe jüngst Tante Ruth betreut.

Und wann Wut bereut?

Könnte ich gerade gar nicht sagen. Im Moment genieße ich sie. Vielleicht gibt Wut Kraft, über sie auslösende Enttäuschungen hinwegzukommen. Sie muss ja ihren Grund habe. Eine Funktion. Aber irgendwie würde ich dann doch eher darauf verzichten wollen. Dieser Widerspruch ist nun zu erklären dadurch, dass ich gerade in eine neue Phase der Wut gerate. Sie flaut ab, wird zu Enttäuschung. Das deutlich miesere Gefühl, wie ich gerade feststelle.

Es sitzt also nun ein enttäuschter Seppo auf meiner Sofa-Garnitur, der eben noch wutentbrannt reinkam?

„Sofa-Garnitur“?! Du sprichst bei Deiner Couch ernsthaft von einer „Sofa-Garnitur“?!

Ja was denn?! Da steht eine Couch und ein Sessel. Gleicher Stoff, gleiches Muster. Eine Garnitur.

Schon mal an Aufpolstern gedacht?

Nun machst Du mich wütend.

Lass‘ es doch an der Couch aus.