(Todsünde Wollust Holzstiche von Hiernonymus Cock (1510–1570) nach Pieter Bruegel)
„Die sieben Todsünden“ spielen in unserem Alltag als solche zum Glück keine Rolle mehr, wir sind also eingeladen, diesen mit dem Frönen ihrer zu verbringen. Man sollte sich eben nur nicht von der Kirche erwischen lassen, denn sie definiert sie nicht ganz zu Unrecht als schwere Verstöße gegen die Zehn Gebote. Aber sie waren eben auch ein politisches Herrschaftsinstrument, um das niedere Volk zu domestizieren. Aufstände waren nicht gern gesehen; mit dem Festlegen von Todsünden war somit ein Rahmen geschaffen, dem man sich zu fügen hatte, denn die angedrohte Sanktion bei Missachtung war: die Hölle. Und wer will da schon hin?! Doch es gab einen Ausweg: das Freikaufen über die Beichte. Die gibt es auch heute noch, aber meine letzte liegt Jahre, wenn nicht Jahrzehnte, zurück. Ich kann mich aber noch an sie erinnern. Es war eine Art Zwangsbeichte im Rahmen eines Schulgottesdienstes, nach dem jeder etwas beichten sollte. Ich nehme mal an, man hat uns nicht gezwungen, uns aber die Beichte empfohlen. Nahe gelegt. Doch was hat man in der zweiten Klasse schon groß zu beichten?! Offenbar hatten die Lehrer kein gutes Bild von uns. Und so saß ich da im Beichtstuhl und als schwerste Sünde kam mir lediglich in den Sinn:
„Ich habe gestern meinen Bruder geärgert.“ (Ich hätte noch anfügen können, dass er angefangen hatte, aber das sollte er schon selber beichten …)
Kaum ausgesprochen, verdunkelten sich draußen die Wolken unter Donnergrollen, Blitze verwüsteten den Erdboden – kurz: die Hölle war bereit, mich zu empfangen. Doch halt! Pfarrer Schneidewind, so heißt er noch heute – nur leider im Ruhestand -, erteilte mir die Absolution. Das Donnern entfernte sich, die Blitze hielten inne, die Sonne kam wieder raus. Ich war dem Teufel noch einmal von der Schippe gesprungen und fuhr erleichtert nach Hause, um meinen Bruder ruhigen Gewissens zu ärgern.
Inzwischen hätte ich Schwerwiegenderes zu beichten, aber ich glaube, das kann man auch im Stillen tun.
Fünf der sieben Todsünden habe ich bereits an meiner eigenen Person abgearbeitet – mit durchwachsener Bilanz:
Zorn: Ja, gelegentlich zornig.
Neid: Gut begründet von mir gewiesen.
Völlerei: Daran ist die Gesellschaft schuld. Aber ja, okay.
Hochmut: Absolut, mit Schwerpunkt Eitelkeit.
Faulheit: Schwierigste Sünde, da der lateinische Begriff acedia vielfältig übersetzt werden kann, beispielsweise mit „Sorglosigkeit“. Wie dem auch sei, der Punkt ging an Gott.
Damit steht es: Drei zu zwei für Gott; ich bin also schwer höllengefährdet. Gut, dass die Hölle nur eine menschliche Erfindung ist. Anders als:
voluptas – Wollust
Voluptas. Mag ich. Klingt lustig. Kann nichts Übles sein. Und die Übersetzung ist leider relativ eindeutig, wir müssen unter „Wollust“ das verstehen, was unserer sexualisierten Gesellschaft wohl als erstes in den Rudelsinn kommt: Es geht wohl irgendwie um Sex. Und genau deshalb habe ich mich drei Monate um die Fortsetzung dieser Reihe gedrückt, denn ich werde doch hier wohl kaum über mein Sexleben schreiben. Somit bleibt mir nur Lavieren.
Das Gegenteil von Wollust ist Frigidität. Als Kind schnappte ich mal irgendwo lesend das Wort „frigide“ auf und fragte naiv meine Eltern: „Was heißt ‚frittschie'“? Ich hielt es wohl irgendwie für einen englischen Begriff und vollkommen zurecht bekam ich statt einer Antwort nur heiteres Gelächter als Replik. Das sind so die kleinen Anekdoten, die man wohl nie vergisst. Frigidität kann ich ruhigen Gewissens von mir weisen. Sie kann krankhaften Ursprungs sein oder auch nicht, der noch populäre Begriff gilt inzwischen als unzureichend definiert, um im medizinischen Bereich noch Verwendung zu finden.
Frigide bin ich nicht, also bin ich wollüstig? Wikipedia killed the Brockhaus und sagt:
„Wollust (lateinisch voluptas) ist eine sinnliche, sexuelle Begierde und Lust, die bei sexueller Aktivität, der Befriedigung oder bei sexuellen Phantasien erlebt wird. Wollust schließt das aktive Handeln zur Steigerung der sexuellen Befriedigung ein.“
Hm, wo ist die Sünde? Im Vergangenen. Denn Wollust beschrieb dereinst das Kultivieren einer drängenden Empfindung, die in der Prä-Pornhub-Gesellschaft als ruchlos und frevelhaft galt. Und wer Trieben nachgab, war per se schonmal unten durch.
Vergangene Woche kam ein auch von mir lang erwartetes Videospiel raus: „Fallout 4“, das sämtliche Rekorde gebrochen hat, auf die eigentlich „GTA V“ abonniert war. Das Spiel muss Gottes Werk gewesen sein, denn der „Traffic“ des Portals „Pornhub“, das ich noch nie gesehen habe, brach am Veröffentlichungstag „Fallouts“ massiv ein. Die Männer haben das Spiel der Selbstbefriedigung beziehungsweise dem Studium des weiblichen Körpers vorgezogen. Von wegen, wir denken nur an Sex …
Freie Liebe ist Wollust. Und wurde Ungläubigen und „Hexen“, die es damals schon nicht gab, pauschal bei der Inquisition vorgeworfen. Heutige Hexen sind in einen Johannes verliebt und benennen ihre Besen nach Kartoffel-Gerichten. Dann sind mir wollüstige Hexen doch lieber. Es sei denn, sie haben Geschlechtsverkehr mit dem Teufel, was ihnen von der Kirche vorgeworfen wurde. Wir werden das heute nicht mehr überprüfen können, auch nicht, ob Oswald Kolle so etwas wie der Teufel der Deutschen war.
Es ist schwer, über Wollust als Sünde zu schreiben. Denn ich behaupte mal, dass unsere Gesellschaft derartig wollüstig ist, dass es normal ist. Das Gegenteil war ja eine Versündigung: die erzieherische Unterdrückung von Sexualleben, die ja meist keine guten Folgen hat. Getrieben haben wir es schon immer, nur selten zuvor so öffentlich, obwohl mir gerade einfällt, das ich heute Morgen noch einen Artikel darüber las, wie sich die Alten Römer Kurorte eingerichtet hatten, wo weder Tiere noch Kinder sicher vor wollüstigen Bestrebungen der oberen Gesellschaft waren.
Mit der Belastbarkeit von Samensträngen kenne ich mich inzwischen ganz gut aus. Aber meine wollüstigsten Zeiten habe ich, wenn ich einen Kater habe hatte ich in meinen Jugendjahren, als sich partout keine Frau dazu bereiterklärte, mich in sie und die Geheimnisse der körperlichen Liebe einzuführen. Auffallend oft hatte ich mit Frauen zu tun, die die Verehelichung vor die körperliche Vereinigung stellten, was erklären könnte, warum ich bereits fünfmal geschieden bin. Und darum ging es vielleicht auch einmal: um den Schutz des heiligen Bundes der Ehe, um die Restriktion der Sexualmoral. Die Kirche hat sich ja leider Gottes noch immer nicht davon lösen können, auch wenn die Realitäten schon immer andere waren und noch sind. Ich wohne nicht mit meiner Mitbewohnerin zusammen, weil wir seit elf Jahren auf die Ehelichung warten.
Uneheliche Kinder waren allerdings in vergangenen Jahrhunderten ein Problem, das in Kindstötungen mündete, die für alle Beteiligten keine schöne Erfahrungen waren. Da wir da inzwischen weiter sind, ist eine solche Restriktion wohl nicht mehr angezeigt. Auch, wenn hier und da noch im Zusammenhang mit der Selbstbefriedigung mit Rückenmarksschund gedroht wird, aber ich habe den Eindruck, der Vorrat an Rückenmark ist zumindest in diesem Rahmen ausreichend. Man mag sich gar nicht mehr vorstellen, wie es sein musste, unter dem drohenden Damokles-Schwert des Rückenmarksschwundes zu onanieren. Was für ein getrübtes Vergnügen. Denn Sex ist das einzige, was keine Nebenwirkungen hat. Die Lust am Sex stumpft nicht ab und man schadet niemandem (unter den natürlich richtigen Voraussetzungen). Es gibt andere Triebe, die immer eine Begleiterscheinung mit sich bringen: Der Trieb nach Fett macht uns fett. Essen ist sensationell toll, aber leider können wir sehr einfach zuviel essen. Oder auch nicht leider. Der Konsum von Drogen, der unmittelbare, gibt ein gutes Gefühl – die Folgen sind mitunter unschön, daher verbietet der Gesetzgeber die meisten Drogen. Aber Sex! Sooft man will, es wird nicht schlechter. Es wird sogar besser.
Sex ist natürlich auch Gegenstand von Kriminalität. Vielleicht da, wo das Verlangen pervertiert wird, ungesunde Auswüchse mit sich bringt. In solchen Zusammenhängen ist Wollust zweifellos kriminell und auch aus unserem Moralverständnis heraus eine Sünde.
Abschließend bleibt mir, mich der Wollust schuldig zu sprechen und damit Gott einen Punkt zu geben, den ich ihn aber gerne überlasse. Und wenn es einen Gott gibt, so hoffe ich, dass er einen Sexualpartner hat. Vier zu zwei.
Es bleibt noch eine Todsünde; die des Geizes. Da wird es um die Frage gehen, ob ich geizig bin. Das müssen andere beantworten.
Ich geize zumindest nicht mit Äußerungen auf meiner Facebook-Seite. Gerne besuchen und liken!
Herrlich :-)
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ich weiß, das ist jetzt total kleinlich, kleinkariert und super engstirnig -als Kunstgeschichtestudentin MUSS ich das jetzt aber anbringen:ich glaube, der Künstler heisst Pieter, und nicht Peiter, Bruegel…. ;-)
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oha! danke!
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„der Ältere“ schreibt sich mit „h“. aber ich blicke da ohnehin nicht durch…
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also beim Nachnamen bin ich mir auch nicht sicher. Denn ich habe beide Schreibweisen gefunden: mit und ohne ‚h‘
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Zitat aus Wikipedia:
Für den Namen existieren die unterschiedlichsten Schreibweisen. Auf Stichen nach seinen Werken findet man neben Brueghel, Breugel und Breughel auch solche Schreibweisen wie Brügel, Brügl, Brögel und sogar Briegel, welche die tatsächliche oder vermeintliche Aussprache in deutscher Schreibweise festhalten.
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Fast hätte man in 100 Jahren auch die Schreibweise „peiter“ gefunden …
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Nachtrag: Der Künstler selbst signierte seine Werke anfangs mit Brueghel, änderte diese Schreibweise dann aber ab 1559 bewusst in Bruegel um; der Grund dafür ist jedoch unbekannt. Auch seine beiden Söhne verwendeten im Laufe ihres Lebens verschiedene Schreibweisen.[3]
In der Kunstwissenschaft existierten beide Namensformen einträglich nebeneinander, wobei sich die meisten Autoren für die Schreibweise ohne „h“ entschieden. Ab dem 20. Jahrhundert wurde die Schreibweise mit „h“ immer seltener verwendet und ist heute kaum noch anzutreffen. Die meisten Museen nutzen in ihren Publikationen die Schreibweise Bruegel, die mittlerweile auch vom Rijksbureau voor Kunsthistorische Documentatie als die bevorzugte Schreibweise angegeben wird.
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Mir ist da eine kleine Freud´sche Fehlleistung aufgefallen: Der niederländische Künstler heißt Hieronimus Bosch… Doch der Verschreiber passt zum Post.
Liebe Grüße,
Frank
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haha. da es passt, lasse ich es so. der ursprung des verschreibers ist ein anderer. er hieß so!
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bezüglich den lieben Römern und ihren „Kurhäusern“ müsste glatt nachsehen ob ich das „uralte“ P.M. noch daheim habe – die Griechen waren keinen Deut besser … wobei sich ein jugendlicher Knabe auch nur unter „Ehrverlust“ einem erwachsenen männlichen Liebhaber „entziehen“ konnte – der jüngere in der Beziehung hatte quasi zur Befriedigung zu dienen ….
Neben den barbarischen Gladiator-Kämpfen waren auch Shows mit erzwungenem Sex (also Massenv…gewaltigung) sehr beliebt …. dabei waren Massenhaft Abbildungen von alten „Urnen“ und Vasen, die solche Handlungen zur Bespaßung thematisiert haben ….
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welch wollust!
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das schon – aber eben dann doch eher kranke ….
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Deine Selbstbeschau überzeugt mich! Leider nicht die Kommentare! Viele Grüße, make Sex no war! M.
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jaaa, die erste beichte. vor der hl. kommunion. weiss noch, ich hab auch gebeichtet manchmal meine schwester zu ärgern. die mir auferlegte buße war dann, meiner schwester eine freude zu machen. habe ihr den ganzen abend lang die von oma geschenkten plätzchen angeboten, und sie futterte sie natürlich ohne limit, weil sie froh war, die eigenen nicht anbrechen zu müssen. mir war das egal – die buße war erfüllt und meine sünden vergeben.
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ach, das war sogar mit einer buße verbunden? und es schien so einfach …
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Ja klar. Das USt aber heut noch so
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Die akedia ist – ehrlich gesagt – meine „Lieblings-Todsünde“. Jeder Mensch wird in seinem Leben Phasen der Trägheit erleben, und das ist auch gut so. Es ist nicht verkehrt, der Sorglosigkeit einen Platz einzuräumen in einer Welt, die Dich manchmal zu überrennen droht. Sich einfach mal frei machen von den Zwängen und dem täglichen Druck und den Unterkiefer mal hängen zu lassen ist nicht nur befreiend, sondern schafft auch neue Kraft. Schon Marc Aurel, der bekannte römische Kaiser, hat mit seiner stoischen Ruhe die Leichtigkeit für sich entdeckt und sich auf das Wesentliche konzentriert. Trägheit sollte sich jeder ab und an gönnen! :)
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Die Wollust beschreibt ja eher den Sexualtrieb, vielleicht meinte Gott ja, das man Liebe und Sex nicht voneinander trennen sollte. Was auch meiner Einstellung zur Sexualität entspricht. Das heutige sexualisierte Leben hat mir zuviel geschäftliches und einander benutzen. Das hat auch schon irgendwie was krankhaftes.
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ja, möglich. aber ich weiß nicht, ob das leben nicht schon immer mal wieder phasenweise sexualisiert war. im laufe der jahrhunderte. und getrennt von liebe würde ich eifnach mal sagen, ist es eine andere art von sex, die aber auch ihre berechtigung hat. warum auch nicht? aber man muss natürlich auch nicht trennen.
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Da geb ich dir Recht, die Römer, Griechen und Schlossherren haben es ja auch schon wild getrieben. Ich meine aber das der Sex mit einem Partner den man liebt und von dem man geliebt wird erfüllender ist, als der bei einem One Night Stand oder durch die Stimulierung von einem Pornovideo. Wobei letzteres wirklich nichts mit gesunder Sexualität zu tun hat.
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ich halte auch das betrachten eines pornos für normal. geguckt hat der mensch schon immer. aber auch das ist eine geschmacksfrage.
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Gegen einen schönen Erotikfilm habe ich auch keine Einwände,aber eben gegen die weitverbreitete , Frauen verachtende Pornografie.
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