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Der ewige Schlaf ist vermutlich der tiefste und kein unruhiger. Auch raus muss man nachts nicht, nehme ich an, sodass es kaum einen Grund gibt, sich zu beschweren. Bis auf dass man tot ist.

Der ewige Schlaf blieb mir heute erst einmal erspart. Also bis jetzt. Ich will den Tag nicht vor dem Abend loben. Erspart, denn ich wachte gegen sechs Uhr auf. Es ist irgendwie sehr selbsverständlich, dass man abends zu Bett geht im Glauben, wieder aufzuwachen. Dabei kann es da böse Überraschungen am Morgen geben. Mit welchem Grundvertrauen wir doch so schlafen gehen! Andererseits wäre es dem Einschlafen abträglich, würde man da liegen und denken „Hoffentlich wache ich auch wieder auf“.

Es gibt so viele Arten, wach zu werden und die wenigsten können einem gefallen.

Klassiker Morgendepression. Habe ich so gut wie gar nicht mehr, hatte ich früher häufig. Ich will das Krankheitsbild der Depression nicht ins Lächerliche ziehen, denn die Morgendepression hat mit ihr nichts zu tun. Aber so stelle ich mir eine Depression vor. (Aus meinem Umfeld habe ich die ein oder andere Erfahrung.) Ich wache auf und als erstes kommen mir die Dinge in den Sinn, die am entsprechenden Tage auf mich zukommen und die ich keinesfalls aus freien Stücken angehe. Ich breche somit schon während des Aufwachens innerlich zusammen und will einfach nicht mehr. Nun gehört zur Morgendepression aber auch, dass sie nur wenige Minuten, vielleicht nur Sekunden, andauert. Sobald man aufsteht, einigermaßen wach und klaren Verstandes ist, verfliegt sie und macht Optimismus Platz. Bleibt dieser Vorgang aus, hat man es wohl mit einer ernsthaften Depression zu tun. Dann gnade einem Gott. Eine schwer behandelbare Krankheit.

Das also eine unschöne Art des Aufwachens, die bei mir selten ist. Nicht, weil ich ein so lebensbejahender Mensch bin (ich verneine es auch nicht), sondern weil am Tag Dinge auf mich zukommen, die ich nicht ungern erledige, was früher mal anders war … Wenn man morgens unmittelbar während der Morgendepression schon plante, wie man wieder ins Bett geht, was nicht früh genug geschehen konnte.

Aktionismus am Morgen. Bedeutet frühes Aufwachen, heute so gegen sechs, gepaart mit dem Drang, aufzustehen und etwas zu tun. Sonst lese ich immer rund zwei Stunden noch irgend etwas, da mein Arbeitgeber mich erst einigermaßen spät erwartet, dann aber kaum abwarten könnend. Heute ist so ein Morgen, an dem ich topfit aufwachte und sofort irgend etwas tun musste. Aktuell ist es die Neu-Ordnung meines „Spiegel“-Archives im Keller, wo die Ausgaben der vergangenen 18 Jahre lagern, das sind also rund 18 mal 52 Ausgaben. Bei Umzügen verfluche ich diese Last übrigens, da sie viel Schlepperei bedeutet. Und stelle mir die Frage, wann ich denn überhaupt mal in eine alte Ausgabe reingucke. Nie. Warum auch, ich lese die neuen. Obwohl, wenn ich mal wissen will, wie war denn das mit dem Kosovo-Krieg, ich könnte es nachschlagen.

wpid-20151117_074901.jpgDas Bild zeigt die noch einzuordnenden „Spiegel“-Exemplare dieses Jahres.

Aktionismus am Morgen ist die schönste Art des Aufstehens, weil man in diesem Fall gerne aufsteht. Anders als beim

klassischen Gewecktwerden. Meine Mitbewohnerin wohnt nicht nur mit mir zusammen, sie schläft auch neben/unter mir. Anders als mein Boss erwartet ihrer sie schon deutlich früher „im Büro“. („Hund im Büroooo?!“) Also klingelt ihr Wecker um sechs. Hier wird auch klar, warum auch ich um sechs erwache. Nun klingelt ihr Wecker nicht einfach so. Er klingelt – sehr leise – bereits vor sechs. Eine sanfte Melodie soll den Organismus schon mal aus den Tiefen des Schlafes zerren, bevor der Handywecker dann so richtig klingelt. Eine Art Probealarm. Diese Melodie überhört sie oft, ich hingegen nie. Und ich denke dabei noch im Halbschlaf „Gleich klingelt das scheiss Teil richtig“. Und dann ist es soweit, das scheiss Teil klingelt so richtig. Und ich denke – naiv -, jeder normale Mensch steht jetzt auf. Aber nein, Frauen nicht. Sie tippen auf „Snooze“, das man in etwa mit „Schnauze“ übersetzen könnte. Der Wecker hält also für neun Gnadenminuten (Warum eigentlich neun und nicht zehn?!) noch einmal die Schnauze, sodass meine Mitbewohnerin noch mal neun Minuten schlafen kann. Anders als ich. Denn ich ticke normal. Klingelt ein Wecker, bin ich wach und stehe auf. Warum sollte ich die Qual neun Minuten später noch einmal über mich ergehen lassen?! Ich habe den Sinn dieser Erfindung also verstanden. Sie hingegen gönnt sich – nach neun Minuten – abermals das quälende Weckerklingeln. Das Unfassbare: Der Vorgang wiederholt sich noch ein zweites Mal! Mit Menschenverstand hat das nichts zu tun.

Und dann sieht sie, dass ich schon wach bin:

„Oh, warum bist Du schon wach?!“

„Ich bin seit 18 Minuten wach.“

Interessant wird es, wenn sie auf ihrem Handy nach dem ersten „Snooze“ wieder einschläft. Dann hört sie es nicht mehr. Ich schon. Und wecke sie dann. Nur in seltenen Fällen schlägt sie dann mit ihrer Hand in mein Gesicht, um mich auf „Snooze“ zu stellen. Und sie ist Kampfsportlerin, sie weiß, wie man Menschen für lange Zeit auf „Snooze“ stellt.

Herzinfarkt. Der ist meine zuverlässigste Art, effektiv und zügig aufzuwachen. Und noch lache ich darüber. Doch in dreißig Jahren, wenn mein Herz möglicherweise schwächer geworden ist, kann mich diese Art des Weckens mein Leben kosten. Es kommt etwa einmal im Monat vor: Ich schlummere noch so bis halb sieben, wenn sie dann reinkommt und nichts Böses im Sinne hat, mich einfach nur zärtlich wecken möchte. Nun bin ich ein massiv schreckhafter Mensch. Es genügt, wenn sie beispielsweise das Wohnzimmer betritt, wo ich bereits sitze und sagen wir mal, einen Artikel schreibe. Da kommt es schon mal vor, dass ich aufschreie, weil sie mich eben erschreckt. Nicht absichtlich; sie ist ja einfach nur da.

„Ich wohne hier!“, sagt sie dann.

„Ja, aber doch nicht so leise.“

Dieser Schreck potenziert sich beim Wecken. Ich also in tiefen Träumen, vielleicht von Popos, und sie beugt sich über mich, greift sanft meine Schultern, setzt zum denkbar zärtlichsten Kuss an – und ich:

„Ahhhhhhhhhhhhh!“

GREIFE IHRE ARME UND SCHREIE UND SCHÜTTELE SIE. Und sie dann:

„Ahhhhhhhhh!“

Beide also im Schlafzimmer, ich liegend, sie beugend:

„Ahhhhhhhhh!“

Dann breche ich in ein Lachen aus, weil ich realisiere, dass ich mich wieder einmal über alle Maßen erschrocken habe. Und das ist ein Problem für sie, da sie wirklich um mein Herz fürchtet.

„Ich weiß gar nicht mehr, wie ich Dich wecken soll.“

Ich schlug ihr also vor, leise den Raum zu betreten und vielleicht erst einmal das Licht ein- und auszuschalten. Das hat sie dann auch getan.

„Ahhhhhhhhhhh!“

Funktionierte auch nicht. Offenbar erschrecke ich vor schnellem Wechsel zwischen Licht und Dunkelheit. Und es ist mir völlig klar, dass in meinem Hirn etwas fehlgeschaltet sein muss, denn dieses Erschrecken ist nicht normal, gehört aber nun einmal zu mir. Wie auch beim Saugen. Sauge ich die Wohnung unter Begleitung des Saug-Geräusches, des sehr lauten von „Bosch“, nein, „Miele“, dann darf sie den Raum, in dem sich sie abgestellt habe, nicht verlassen, bis das Saugwerk vollendet ist. Denn wem würde beim Saugen kein Schreck in die Knochen (Hallo, Knochen an dieser Stelle, der diesen Blog tatsächlich liest!) fahren, wenn da plötzlich jemand hinter einem steht. Sollte sie dennoch den Raum verlassen wollen, wofür es Ausnahmeregelungen bei uns gibt, dann hat sie die Anweisung, den Stecker des Staubsaugers zu ziehen, damit ich weiß, Achtung! Sie kommt.

Der Vorteil des Aufwachens durch Beinahe-Infarkt ist der, dass man vollumfänglich wach wird. An Weiterschlaf ist nicht zu denken. Und es bleibt die Frage, warum ich nicht erschrecke, wenn der Radiowecker mit seinem schrillen Piepton ertönt.


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