wpid-2015-11-24-09.40.44.jpg.jpeg

Die Erwerbsarbeit an sich zeichnet sich durch Arbeit aus. Lediglich der Abbau von Überstunden ist durch eine eher passive Tätigkeit charakterisiert. Meine Mitbewohnerin ist in diesen Minuten eher passiv: Während ich ein Kompendium über die Pest im Mittelalter lese, die man aus guten Gründen nicht mehr mit Aderlass bekämpft, liest sie mit dem Ziel der geistigen Zerstreuung ein Magazin, dessen Autoren man über ihre Ader entlasten sollte. Denn ich bin cain Freund dieser Printprodukte im „Pocket-Format“. Bis jetzt. Denn sie stieß auf ihr Jahreshoroskop für 2016 und ich darf an dieser Stelle verraten, dass sie Krebs ist und ich Löwe bin. Kann das passen? Stimmen Horoskope überhaupt?

An Horoskope glaube ich nicht im Ansatz, schon gar nicht an diese ausgedachten. Dieses spezielle allerdings stimmt. Es ist mit absoluter Sicherheit wissenschaftlich belegt und es ist im kommenden Jahr, für das dieser Blick in die Sterne den Erfolg in der Liebe voraussagt, an mir, es empirisch zu belegen. Denn für die Krebs-Frau steht dort:

„Feurig wird’s mit einem Löwen.“

Mehr musste ich gar nicht wissen. Ich könnte an dieser Stelle schließen und über sie herfallen. Doch genaues Lesen lohnt: Denn dort steht auch, dass dieser Löwe im Zusammenhang mit einer Affäre seinen Auftritt haben wird. Werde ich mit meiner Mitbewohnerin, mit der ich mehr als nur Bett und Wohnung teile, eine Affäre an Neujahr starten? Affäre hat für mich auch immer etwas von Betrug und Fremdgehen. Werde ich mit ihr fremdgehen? So steht’s da im Grunde geschrieben. Doch wem gehe ich dann fremd? Ihr? Ihr mit ihr? Und vor allem: Wem geht sie dann fremd, denn das Horoskop gilt ja ihr?! Das lässt nur einen Schluss zu: Sie hat seit elf Jahren eine Affäre! Mit mir! Diese Frau betrügt mich!

Dass dort steht, dass für eine ernsthafte Beziehung an sich der Fisch in Frage käme, geschenkt. Fische am Arsch. Wer will schon ernsthafte Beziehungen? Was heißt „ernsthaft“? Dass man ernst nebeneinander sitzt und sich ernsthaft über ernste Dinge unterhält?

„Der IS wird uns plattmachen.“

„Ja, Schatz, die Lage ist ernst.“

„Mein Doktor sagt, die Situation sei ernst, meine Säfte sind im Ungleichgewicht.“

„Zieht er ernsthaft einen Aderlass in Betracht?“

„Ja, er macht ernst.“

Meine Mitbewohnerin will wie im Grunde alle Frauen (Menschen) lachen. Fische sind also bei ihr raus. Sie sind wohl zu ernst. Bleibt der Krebs-Mann, ihr Pendant, wie das Blatt schreibt. Der mache sie rundum glücklich. Aber! Das ist wie Inzest. Wenn Krebs mit Krebs. Widerlich. Das würde sie nicht tun. Also komme ich wieder ins Spiel, der Löwe. Mit mir würde es feurig,

„… wenn Sie sein großes Ego ertragen.“

fHabe ich ein großes Ego? Die Antwort scheint zunächst sehr einfach zu sein, aber ich kenne mich besser als andere. Ich schwanke zwischen massiven, selbstzerstörerischen Selbstzweifel auf der einen und völliger Selbstüberzeugung auf der anderen Seite. Ich weiß, was ich kann, zweifele aber daran. Das ist ein Widerspruch, den ich aber nicht werde lösen können. Ich frage sie nun:

„Habe ich ein großes Ego?“

„Schon ein großes Selbstbewusstsein.“

Sagt sie. Weiter:

„Beziehungsweise, Du magst es halt, im Mittelpunkt zu stehen. Deswegen fängst Du manchmal mit Sätzen an, die Du nicht beendest, damit die Aufmerksamkeit bei Dir liegt.“

Habe ich nun live mitgeschrieben. Das mit dem Beginnen von Sätzen liegt allerdings darin begründet, dass ich einen Satz beginne, ohne zu wissen, wie ich –

achja, wie ich ihn beende. Vermutlich denke ich „Erstmal anfangen, der Rest wird schon kommen.“ Kommt dann aber nicht. Also, sie denkt, ich habe ein großes Selbstbewusstsein. Klingt nach Ego. Aber wörtlich bedeutet „Selbstbewusstsein“ ja zunächst nur, dass sich jemand seiner selbst bewusst ist. Dass er sich also kennt. Selber reflektiert. Man kann sich also selbst darüber bewusst sein, dass man ein kleines Ego hat, also ein kleines Selbstbewusstsein. Schwierig. Haarspalterei. So oder so, ich halte mich bedeckt, was das eigene Urteil über mich selbst angeht. Ich frage sie:

„Erträgst Du mein Ego?“

„Ja. Ich bin schließlich schon elf Jahre mit Dir zusammen.“

Ergibt Sinn. Blöde Frage von mir aber auch. Dennoch, jetzt will ich es aber wissen:

„Bin ich feurig?“

Pause … „Was heißt feurig?“ lange Pause … Pause nimmt kein Ende … Sie denkt angestrengt … Es kommt nichts … Verdammt, kann sie nicht einfach „ja“ sagen?! … Sie lacht … „Ich versuche gerade, über das ‚feurig‘ nachzudenken.“ … Sie reibt ihre Augen … „Also ich würde sagen, dass Du – aber das geht die Leute nichts an, lösch das.“

Mein Gott, einfach Frage. Sie laviert weiter.

Und sagt Dinge, die ich nicht schreiben darf. Ich fasse mal so zusammen: Es gebe Situationen, wo ich ausgesprochen feurig sei. Gut, mit der Antwort kann ich leben. Das Rumlavieren hat mich aber etwas nachdenklich gemacht. Vielleicht hat sie schon lange etwas mit einem Fisch.

Was sind die Eigenschaften des Sternzeichen Löwen?

  • stolz
  • optimistisch
  • extrovertiert
  • gesellig
  • loyal

Das sind die guten. „Gesellig“: Ich? Nein. Der Rest stimmt. „Extrovertiert“, wenn ich in einem gewissen Rampenlicht stehe, ansonsten nicht ansatzweise. Es gibt soziale Situationen, da betrete ich mit einem „Hallo“ den Raum und nichts kommt zurück, weil man mich nicht bemerkt hat. Das ist kein Scherz. Das geschieht häufig.

Die negativen Eigenschaften:

  • kritikunfähig
  • verschwenderisch
  • überheblich
  • eitel
  • materialistisch

Stimmt alles. „Kritikunfähig“ schränke ich aber vehement ein, denn stetig negative Kritik kotzt mich an und will ich nicht hören. Ich bin eher auf dem Standpunkt, Dinge einfach zu tun, sich von Kritik nicht beirren zu lassen, da niemand sich in die Ideen anderer vollumfänglich hineinversetzen kann. Negativkritik kann bremsen, wo man besser nicht bremsen sollte. Eine wichtige Erfahrung, die ich gemacht habe. Mehr Gewicht auf Positiv-Kritik legen, Schlechtmachen kann jeder und manch einer tut den lieben langen Tag nichts anderes. „Eitel“, ja. Natürlich. „Materialistisch“? Absolut, was aber auch das Gegenteil nicht ausschließt, beides geht. „Überheblich“? Manchmal, aber oft die Erfahrung gemacht, dass der Fall dem Hochmut folgt. Das tut er. Ich bin derzeit in einer Hochphase, weiß aber, dass ich fallen werde.

Ich hätte erst die negativen, dann die positiven Eigenschaften auflisten sollen, denn jetzt bleiben nur die negativen hängen.

wpid-20151124_094356.jpg

Jenes „Pocket“-Magazin, das hier zitiert wird, richtet sich an die Damen, hat aber auch zumindest ein paar wenige Sätze für den Herren übrig: männliche Löwen hielten sich für unwiderstehlich und hätten, Redundanz aus Kostengründen, ein großes Ego. Mich erwarte ein Höhenflug.

Halte ich mich für unwiderstehlich? Ganz klares nein. Wer ist das schon?! Davon abgesehen habe ich in meinem Leben um Frauen immer kämpfen müssen, das waren alles keine Selbstläufer. Viele sind allerdings ganz von selbst weggelaufen. Nicht wahr, Mareike? Vroni? Kathrin aus Frankreich? Rabea? Melanie? Lena?

Nur eine, die rannte nicht davon, als sie mich traf. Sie fuhr mir sogar hinterher.


Seppo_logo