bloggeliest

Schreibende hatten es noch nie leicht. Zwar schwerer als heuer, wo wir alle problemlos unsere „Werke“ veröffentlichen können, doch immer schon stellte sich die Frage, wie sie es erreichen, dass Adressaten auch wirklich zu Rezipienten werden, die Buchstaben also lesend aneinander setzen. Was unabdingbar ist, halten sich doch viele für Literatur-Nobelpreisanwärter. Auch ich wage gar nicht zu telefonieren, da ich stündlich den Anruf des Nobelpreis-Komitees erwarte. Ich stelle mir vor, wie sie bei mir auf eine besetzte Leitung treffen und sich dann denken, rufen wir halt den nächsten Blogger an. Heißt aber auch, dass ich vielleicht nur deshalb angerufen werde, weil bei ihm besetzt war!

Nein, so ist es nicht. Dennoch versuche ich wie viele, irgendwie an Leser zu kommen. Meine neueste Entdeckung nach den Blogverzeichnissen sind Facebook-Gruppen, in denen sich Blogger zusammentun, um ihre Niederschriften zu propagieren. Ich tue das auch. Aus einem Grund: man sollte nichts unversucht lassen. Der Blick auf meine Abruf-Statistik zeigt aber, dass die Wirkung verpufft. „Dann lass‘ es doch!“, wird nun der ein oder andere denken, ich setze dagegen: man sollte eben wirklich nichts unversucht lassen.

Aber nun ist es doch eher so, dass niemand ein Blogverzeichnis aufruft, um nach Blogs zu suchen, oder?! Schuld ist das schiere Überangebot. Lediglich Blogger besuchen doch Blog-Verzeichnisse, um zu sehen, wo sie gerade so mit ihrem Blog stehen. Ich mag mich irren und gerne eines besseren belehren. Aber wer denkt sich schon „Hm, heute gelüstet es mich nach einem Humor-Blog. Mal sehen, was es da so gibt“?! Wer da nicht auf Platz eins rangiert, hat schlechte Karten. Ich war kürzlich irgendwo jenseits Platz‘ 100, wofür ich mich schon gefeiert habe.

Und so verhält es sich auch in Facebook-Gruppen, die da heißen „Ich blogge – wer liest?„. Die eröffne ich gleich. Ja, warum eigentlich nicht?! Ihr seid herzlich eingeladen. Zack, so schnell geht Vernetzen. Nur, dass ich bislang einziges Mitglied bin (Stand: 30.11.15, 11.19 Uhr). Obwohl, einen hab‘ ich ungefragt hinzugefügt.

Nun sind in diesen Gruppen überwiegend Blogger, unterstelle ich. Menschen also, die weniger das Interesse haben, Blogs zu finden, als ihr eigenes zu verbreiten. Ja, hier verallgemeinere ich, es mag Ausnahmen geben. Das zumindest ist mein Eindruck und natürlich, ich schließe da von mir auf andere. Deshalb funktioniert es möglicherweise nicht im gewünschten Umfang, wenn der eigentliche Adressat diesen Gruppen fernbleibt. Man ist unter sich.

Ich bin nun in einer Gruppe, wo es darum geht, sich gegenseitig zu „liken“. Ich teilte dort meine Facebook-Seite, und bekam als Antwort, dass ich erst eine andere „liken“ müsse, um selber „geliked“ oder „gelikt“ zu werden. Also „likte“ ich Seiten, bei denen es sich um Weihnachtsdeko, Häkel-Tipps, Hundewelpen mit Behinderung und Pflanzenpflege dreht. Genau meine Welt also. Und ich bekam bereits einen „Like“ zurück! Das System funktioniert. Mit dem Haken, dass noch immer kein Adressat „geliked“ hat und ich nun kurz vor Weihnachten darüber nachdenke, Socken für behinderte Hundwelpen zu häkeln.

Nach mehr als einem halben Jahr des Bloggens habe ich einiges herausgefunden. Blogger schreiben gerne auf einer Meta-Ebene. Mein Lieblings-Einstiegssätze in Blog-Artikeln sind:

Ohweh, ich habe aber lange nicht mehr gebloggt! War viel unterwegs, muss jetzt mal wieder fleißiger werden!

Ich weiß selber nicht, was das hier werden soll … [schrieb ich auch]

Tag 34: Ich habe schon drei Kilo abgenommen! [das – und nur das inspirierte mich zu „Tag 76„]

Dieser Blog ist umgezogen. Ihr erreicht mich ab sofort unter …

Tag 35: Dieser verdammte Jo-Jo-Effekt!

Ich kritisiere das nicht! Denn dieser ganze Artikel spielt sich auf einer Meta-Ebene ab, was mir übrigens Bauchschmerzen bereitet. Aber das ist ja die Freiheit, dass wir tun können, was wir wollen. Und auch ich habe schon einmal so etwas geschrieben wie „Puh, wollte heute eigentlich nichts mehr bloggen, aber dann hab‘ ich meine Kaffeemaschine kaputtgeputzt“. Interessiert niemanden. Ich sehe mich auch gar nicht als Blogger, sondern als jemanden, der irgendwie etwas schreibt und es auf einer Plattform veröffentlicht. Warum das nun „Blog“ heißt, weiß ich nicht. Spielt aber auch gar keine Rolle.

Denn ich veröffentliche nur das Schlechteste von mir, das beste sammle ich seit zwanzig Jahren in Ordnern:

20151130_115434.jpg

Ich begann damit mit zwölf, als ich wegen einer äußerst miesen Angelegenheit neben einem permanent schreienden Kleinkind auf der Intensivstation lag. Wie Dougie Howser habe ich das Kind geheilt, um endlich Ruhe zu bekommen, da für mich bei allem Mitgefühl die eigene Rekonvaleszenz im Vordergrund stand, weil ich ahnte, dass man das Arpanet groß rausbringen würde und ich zum Blogger werden könnte.

Danach lag ich in einem Zimmer mit einem Genossen meines Alters, der in eine Spülmaschine gestürzt war, in dessen Besteckfach das Fleischer-Messer leider mit dem Griff nach unten steckte. Das musste damals schon alles niedergeschrieben werden. Der Junge hatte großes Glück und heute vermutlich eine große Narbe. Und ich habe gelernt, dass Messer und Gabeln immer mit Spitze nach unten einsortiert werden müssen.

Dann war nach einer weiteren Zimmer-Verlegung (Privat-Patient!) da dieser Junge, der ganz genau wusste, dass er mich mit seinen Fürzen in den Wahnsinn treiben konnte. Weil ich mich über seinen ersten Furz schwer aufregte, legte er eine Woche lang nach, während sein Vater, Gewerkschaftsmitglied, ihn mit Musik-Kassetten versorgte, auf denen der Gewerkschafts-Chor die 35-Stunde-Woche musikalisch einforderte. Auf diese Weise wurde ich schon früh indoktriniert.

Keinem Blogger nehme ich den Satz ab „Ich schreibe nur für mich, es ist mir egal, ob es einer liest.“ Denn dafür gibt es ja diese Aktenordner.

Ich hoffe, es fühlt sich niemand unter Bloggern angepisst, denn eigentlich wollte ich heute gar nichts bloggen.


Update

Die Gruppe erfreut sich eines Mitgliederzuwaches von mehrern hundert Prozent! Vielleicht wird aus diesem kleinen Scherz ja was Großes! Ganz unverhohlen rufe ich also zum Beitritt in diese Gruppe auf, ansonsten wird das nichts mit Lesern! 


Seppo_logo