Blue sky with white clouds - digital artwork.

Normal. Was ist schon normal? Wer setzt die Maßstäbe? Ich würde ja vorschlagen, ich. Denn das würde zumindest mein Leben erheblich erleichtern. Und dann wäre auch normal, was mir im vergangenen Monat passiert ist: Gott brach bei mir ein. Fand‘ das zunächst nicht normal, aber inzwischen würde ich sagen, das geht okay. Er hat sich zwar nicht entschuldigt oder so, hab‘ aber auch den Eindruck, dass er glaubt, sich alles herausnehmen zu können. Und ich sage besser nichts, denn nachher ist die Nummer mit den biblischen Plagen doch nicht bloße Ausgeburt des menschlichen Unsinns.

„Seppo, lass‘ uns über die Liebe reden!“, sagte er gestern zu mir, als er mit mir von der Arbeit nach Hause fuhr. Er saß bereits im Auto, als ich zum Parkplatz kam.

„Lass‘ uns eher darüber reden, warum ich in letzter Zeit so selten einen Parkplatz zuhause finde!“, erwiderte ich.

„Seppo, das ist doch ganz einfach. Kleine Sünden bestrafe ich umgehend. Und daher wirst Du auch heute keinen freien Platz vor Deiner Tür finden!“

Und er hatte Recht. Wie so ziemlich jeden Abend gurke ich derzeit nach dem Arbeiten durch mehrere Stadtteile auf Parkplatzsuche und verfluche dabei die Verkehrspolitik dieser seltsamen Stadt, die immer so große Dinge auf sich hält, die nach den Zerstörungen des Zweiten Weltkrieges voll auf das Auto als Verkehrsmittel der Zukunft gesetzt hatte und den Verkehr dennoch nicht in den Begriff bekommt. Ich glaube, der Stadtplaner hieß Friedrich Tamm, der ganze Auto-Schneisen durch das zerstörte Düsseldorf zog. Die Berliner Allee zum Beispiel. An Parken ist da aber nicht zu denken.

„Für welche Sünde bestrafst Du mich heute?“

„Das weißt Du ganz genau. Das ist das Problem, Du weißt es und tust es dennoch.“

„Ja, ich habe keine andere Wahl. Ich stecke in einem Dilemma, für das ich Dir die Schuld gebe.“

„Was erstaunlich ist, da Du nicht an mich glaubst.“

„Dabei wird es auch bleiben, da kannst Du noch sooft auf meinem Beifahrersitz Platz nehmen.“

„Wenn etwas schief läuft, gebt Ihr immer mir, Gott, die Schuld. Ist ein Muster bei Euch, das mir nicht gefällt.“

„Dafür haben wir uns doch Götter ausgedacht!“

Cool, Gott wusste keine Antwort darauf. Ihm fehlten die Worte. Ich hatte Gott besiegt! Ich will weißgott keine große Nummer daraus machen. Aber ich meine, hey!, Gott besiegen! Hat man bislang wenn überhaupt nur dem Teufel zugetraut! Aber mir!?

„Du wirst heute gar keinen Parkplatz finden, Arschloch.“, sagte er spürbar beleidigt.

„Fick‘ Dich. Ich übe dann zivilen Ungehorsam und parke wieder direkt vor meiner Tür auf dem Bürgersteig!“, ich trotzig.

Und so kam es, da stand ich bis eben, bis ich umgeparkt hatte, weil gleich der Verkehrspolizist kommt, der hier die Schüler über den Zebrastreifen lotst, was nebenbei gesagt wir als Kinder noch ohne Polizist konnten.

„Du sagst ‚Fick‘ Dich‘ zu mir? Zu Gott?“

„Das ist ja das Tolle. In meiner Vorstellung kannst Du das ab! In meiner Vorstellung trägst Du so etwas mit Humor und Fassung.“

„Du machst es Dir da aber etwas einfach. Du denkst mich Dir so, wie es gerade passt?“

„So hat der Mensch es schon immer getan. Und bringt sich und andere in Deinem Namen um. An Deiner Stelle hätte ich ein flaues Gefühl im Magen.“

„Ach, so schlimm ist es nicht, ich bekomme vieles nicht mit. Richte mir gerade Internet ein und bastele derzeit an einem Newsletter, den ich verschicken will. Im ersten soll es um die Liebe gehen.“

„Wie abonniere ich den Newsletter?“

„Du wirst ihn nicht bekommen.“

„Warum nicht?“

„Weil Du ‚Fick Dich‘ zu mir gesagt hast.“

„Du bist der einzige, der das auch wörtlich umsetzen könnte. Du bist Gott.“

„Ja, aber nur weil ich es könnte, mache ich es nicht auch. Das unterscheidet mich vom Menschen.“

„Ich wette, dass wenn Du alleine bist, Du schon einiges ausprobierst!“

„Du wirst blasphemisch, Freundchen. Auch, wenn Du Recht hast. Blasphemisch. Dich erwartet die Hölle.“

„Für manche Menschen ist die Hölle möglicherweise sogar eine Erlösung.“

„Wird das hier ’ne Gotteskritik?“

„Nein, aber man rutscht so rein ins Nachdenken, während man schreibt. … Du wolltest über die Liebe sprechen? Weiß ich da mehr als Du?“

„Ja. Denn ich weiß nichts. Ich bin seit Ewigkeiten Single. War mal bei einem ‚Speed-Dating‘. Aber wenn Du da sitzt und sagst ‚Hi, ich bin Gott‘, dann verunsichert das viele Frauen.“

„‚Speed-Dating‘ wäre auch nichts für mich, da ich überhaupt erst einige Monate brauche, um mit jemandem warm zu werden, da sind drei Minuten etwas knapp bemessen. Obwohl, wenn da die richtige sitzt, genügt ein heiterer Scherz und ich hätte sie.“

„Seppo, wen liebst Du?“

„Zunächst einmal mich. Da machen wir uns nichts vor. Ich kenne meine miesen Seiten, die ich nicht liebe, aber ich liebe das Wissen um sie, das nimmt mir den inneren Konflikt. Und alles, was darüber hinaus geht, ist mir zu privat, Gott.“

„Hallo?! Geht’s noch? Ich bin Gott, da kannst Du nicht einfach Antworten verweigern. Was ist mit Deiner Mitbewohnerin?“

„Die lässt Du mal fein aus dem Spiel. Aber okay. Da ist dann aber von Familie abgesehen Schluss. Mein Rat an Dich, Gott, und wer bin ich, Dir Ratschläge zu geben?!: Setze sie sparsam ein, die Liebe, denn sie setzt eine ungeheure Kraft frei, die einen selbst in Staunen versetzt.“

„Und das ist nicht gut?“

„Das ist genau das Ding. Ist ein wenig wie Atomenergie. Richtig genutzt: fantastisch. Falsch genutzt: Tod, Zerstörung, Verstümmelung, Wüste. Wenn Du, Gott, eine Frau liebst, tust Du natürlich alles für sie. Da stellt sich auch im Einzelfall nie die Frage, Du tust einfach. Aus zwei Gründen: Es ist Deine Pflicht als Liebender, aber zu allererst tust Du es, weil Du nicht anders kannst. Du bist von einer seltsamen Energie getrieben. Das beginnt bereits beim Werben um die Frau. Du machst die seltsamsten Dinge, die Du normal nie tun würdest. Und sie fallen Dir dabei kein bisschen schwer. Exakt das ist für mich die Faszination Liebe, die wohl nichts anderes ist als ein biochemischer Vorgang. Was sie und ihre Bedeutung aber nicht schmälert, denn die Ursache spielt gar keine Rolle. Es ist ein greifbares, aber dann doch nicht fassbares Gefühl, das Dich in eine Selbstaufopferung oder -aufgabe führen kann. Völlig altruistisch, aber dennoch aus einem Mega-Egoismus heraus. Und wenn Du bei der Frau landest: tadaa – Energie bestens umgesetzt, keine Zerstörung, alles tutti.“

„Toll! Hatte ich während meiner Schöpfung nie vorgesehen, war eher so ein Versuchsding, da ich – Dir kann ich es ja sagen – an Tag 6 der Schöpfung leicht angetrunken war.“

„Tag 6. Da schufst Du was?“

„Mann und Frau.“

„In der Reihenfolge?“

„Ja. Es tut mir leid. Ich weiß, Ihr Männer bezieht viel Prügel dafür. Übrigens hatte ich erst vorgesehen, dass die Geburt Männersache wird. Aber wenn Ihr einmal rausbekommen hättet, wie anstrengend so eine Geburt ist, hättet Ihr Euch nicht mehr schwängern lassen. Frau ist da anders. Zurück zu dem Ding der Liebe. Wann ist die freigesetzte Energie negativ?“

„Wenn man sie an die falsche Person verteilt. Dann wird es zerstörerisch auf Dauer. Selbstzerstörerisch.“

„Hast Du da Erfahrung?“

„Natürlich. Die hat da wohl jeder. Liebe ist unmittelbar mit Schmerz verbunden. Das macht es so faszinierend. Wie viele Menschen nehmen sich aus Liebe das leben?“

„Nach meiner letzten Zählung, Seppo, sind das in diesem Jahrhundert bislang etwa dreihu-“

Ich unterbrach ihn, da mit etwas viel Wichtigeres unter den Nägeln brannte:

„Wie sieht das jetzt mit ’nem Parkplatz aus?“

„Ich will das erst mit der Liebe verstehen, vorher wirst Du keinen finden.“

„Gott, bei aller Liebe, aber Liebe versteht man nicht einfach mal so nebenbei. Man wird sie nie begreifen. Man ist ihr ausgeliefert und hat nur wenig Einfluss auf sie. Liebe ist wie die Suche nach einem Parkplatz: Findest Du einen, bekommst Du vor Freude Herzklopfen! Und willst den Parkplatz, wenn es ein guter ist, am liebsten nie wieder verlassen! Ist es ein schlechter, ein einengender, bist Du hingegen froh, ihn verlassen zu können. Oder Du findest einen falschen: Freust Dich schon, Dein Herz klopft, Du hast akute Appetitlosigkeit. Dann setzt Du an zum Reinfahren und merkst: Die Liebe wird nicht erwidert! Du passt nicht zum Parkplatz. Zu groß, zu wuchtig, was auch immer: Es geht nicht zusammen. Dann brauchst Du etwas Zeit, um das zu erkennen. Und fährst weg. Mit Wut im Bauch. Wirst aggressiv vielleicht. Hass. Hier kommt Hass ins Spiel. Hass übertrifft Wut in der selbstzerstörerischen Kraft. Du weißt das, während Du hasst, aber der Hass lässt Dich nicht los.“

„Das ist ja kacke.“

„Und dann find‘ mal einen anderen Parkplatz! Das kann dauern. Bis dahin hat der Hass Dich schon zerfressen. Schaden angerichtet. Dich verändert. Das dauert, bis Du da wieder rauskommst.“

„Alles so aussichtslos, Seppo. Park‘ im Halteverbot vor Deiner Tür. Das wird heute nichts mehr.“

„Darf ich über unser Gespräch bloggen?“

„Man wird Dich einliefern, das muss Dir klar sein.“

„Vor allem muss ich jetzt laufen gehen. Es ist acht Uhr, die Glocken läuten.“

„Du bist nicht gläubig, aber mal ehrlich: Das Läuten der Glocken würdest Du vermissen, oder?“

„Ja, absolut.“


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