gespräch

Trunkenbold, Fremdgeher, Kreditkartenbetrüger, Misantroph. Es gibt kaum Vorwürfe, die Ekkehard „Ecki“ Propstein nach seinem letzten Bucherfolg („Muscheln essen“, 1985, 2.678 Seiten, SVNRW) nicht dementieren musste. Sie meinen es nicht gut mit ihm, die Medien. Das seppolog ist nun nach langen Verhandlungen das erste Medium, das er wieder an sich heran lässt. Nahe. Nahe wie selten jemanden zuvor. In dieser Woche startet hier die Superhelden-Saga „Die Abenteuer von Peppermint Boy“ aus Propsteins Feder. Ein Hausbesuch.

Es ist drei Uhr an einem Samstagnachmittag, ich stehe vor dem Haus des Ehepaars Propstein. Bauhaus-Stil, eine hohe Hecke verhindert Einblicke in das Anwesen. Propsteins leben zurückgezogen, seitdem er 1989 seine damalige Sekretärin Beate Frohwinkel geheiratet hatte. Sie ist es auch, die mir das Tor öffnet. Ich bin aufgeregt. Es ist ein Nachmittag, an dem es mal nicht um mich gehen wird. Ein neues Gefühl für mich. Wen werde ich treffen? Einen verbitterten Schriftsteller, der groß geworden ist mit Groschenromanen, bevor er 1985 einen Welthit schrieb? „Muscheln essen“, eine Trilogie. Ich habe sie nicht gelesen, der Klappentext muss reichen.

Beate Propstein führt mich durch einen langen Korridor in das Wohnzimmer. An den Wänden hängen Bilder von nackten Männern mit erigierten Penissen. Ihre Größe schüchtert mich ein. Typisch Propstein, denke ich. Beate grinst. Sie weiß um die Wirkung der Bilder. Wer sie aufgehängt habe, will ich wissen. Ekkehard Propstein wird seit jeher auch Interesse für Männer nachgesagt. Unvergessen die Fernsehbilder aus den Neunzigerjahren, als Propstein mit seiner Frau vor seinem Haus eine Presse-Erklärung abgab:

„Ich hatte zu keiner Zeit nennenswerten sexuellen Kontakt zu Männern.“, sagte er damals. Seine Frau nickte bestimmend, schien ihm zu glauben. Doch das „nennenswert“ flog ihm tags darauf um die Ohren. Er hatte relativiert. Doch um seine vermeintliche Homosexualität soll es nicht gehen. Er will zurückkommen. Ein Superheld soll ihm dabei helfen. Und das seppolog.

Ich: Warum ist Ihnen nach „Muscheln essen“ kein Bestseller mehr gelungen?

Propstein: Sehen Sie, manch einer beginnt seine Karriere mit dem Höhepunkt, andere erreichen ihn erst nach Tiefpunkten. Meine Reihenfolge war halt eine andere. „Muscheln essen“ hatte die Latte unmenschlich hoch gelegt. Und Erfolg wird Ihnen in Deutschland kaum gegönnt.

Er raucht oder pafft Pfeife. Auf dem Couchtisch steht eine Schreibmaschine. Er ist das Klischee eines alten Schriftstellers, von dem niemand genau weiß, wann er geboren ist. 1969, glaubt man Wikipedia, 1959, glaubt man den Angaben des Deutschen Schriftstellerverbandes. Er selber hält sich bedeckt.

Propstein: Sehen Sie, mein Alter sollte keine Rolle spielen. Überhaupt sollte der Autor eines Werkes gar keine Rolle spielen, das Werk steht im Vordergrund.

Ich: Was Ihnen nicht gelungen ist. Gerüchte um Alkohol und Kreditkartenbetrug machten die Runde, wohingegen neuere Werke von Ihnen wie Ihre Biografie „Tankwart deluxe“ eher untergingen.

Propstein: Sehen Sie, „Tankwart deluxe“ habe ich im volltrunkenen Zustand geschrieben. Das verhehle ich nicht einmal. Sicher, es gab da eine schwere Zeit in meinem Leben. Frauen. Viele Frauen. Beate weiß das alles, steht aber hinter mir.

Wie meint er das? Steht seine Frau doch während dieses Gespräches im Wortsinne hinter ihm und drückt ihre Knie gegen die Couch.

Propstein: Sehen Sie, das Sofa würde kippen. Es ist kaputt. Beate stützt es, während ich hier sitze.

Beate Propstein ist während des gesamten Gesprächs auffällig still. Kichert nur, wenn es um Frauengeschichten geht.

Propstein: Sehen Sie, ich bin ja jemand, der …

Er beendet den Satz nicht und ich versage journalistisch, da ich nicht nachhake.

Ich: Wo sind die Giraffen?

Gerüchten zufolge hält Propstein illegal Giraffen in seinem Swimming-Pool. In der Presse ist dies bereits ein Running Gag. Da die Sonne sich blicken lässt, schlägt Propstein einen Gang durch den Garten vor, der im Grunde ein riesiger Privatwald ist. Er schlägt vor zu jagen.

Ich: Ich würde mir niemals ein Gewehr in die Hand geben, Herr Propstein!

Zwischen zwei Bäumen erspähen wir dann tatsächlich eine Giraffe. Propstein legt das Schießeisen an und …

Propstein: Sehen Sie, Treffer! … Kein Gewehr?! Haben Sie nicht manchmal das Verlangen, jemanden zu erschießen?

Ich: Doch, mehr denn je. Aber es hätte juristische Folgen für mich.

Propstein: Sehen Sie, darum halte ich mir Giraffen. Was man nicht halten darf, darf man nicht nicht erschießen. So funktioniert unser Rechtsstaat.

Es ist diese Bauernschläue, die ihn auch als Autoren ausmacht. Ich lenke das Gespräch auf seine neueste Figur, auf „Peppermint Boy“.

Ich: Ich lenke das Gespräch auf Ihre neueste Figur, auf „Peppermint Boy“. Ein klassischer Superheld. Sind die Zeiten von Superhelden nicht vorbei? Suchen wir heute nicht eher nach tragischen Helden?

Propstein: Sehen Sie, das schließt sich ja nicht aus. Zudem habe ich zuletzt häufig am Geschmack der Leser vorbei geschrieben.

Propstein stolpert über einen Ast. Ich hebe ihn auf. Propstein, nicht den Ast.

Propstein: Sehen Sie, „Peppermint Boy“ ist ein tragischer Held. Im wahren Leben ist er der Schriftsteller Mark Cent, der erfolglos vor sich hin schreibt. Die Geschichte beginnt mit seinem Selbstmord in der Badewanne. Wo dann etwas Unerwartetes geschieht.

Ich: Was wir in dieser Woche hier erfahren werden. „Mark Cent“ klingt nach „Der Sarg brennt“, einem Buch, das sie 1990 veröffentlicht haben.

Propstein: Sehen Sie, das ist Zufall und es gibt keine Zufälle. Das können Sie so schreiben. Da sollen Ihre Leser gerne drüber nachdenken.

Ich: Mark Cent entdeckt plötzlich übermenschliche Kräfte. Ich darf verraten, dass es sich um die Kunst der Verführung von Frauen handelt.

Propstein: Sehen Sie, nicht nur das. Als Kollateralschaden sind ihm auch Männer verfallen. Mark Cent jedoch ist homophob, muss dennoch mit Männern schlafen, um seine Fälle zu lösen und die Welt zu retten.

Ich: Es ist fast schon zu einfach, ich frage dennoch: Finden wir da nicht Anleihen beim Autor, bei Ihnen?

Propstein: Sehen Sie, ich bin nicht homophob. Es ist eine Kunstfigur, bei der ich mir vieles aus den Fingern gesogen habe. Mir ist klar, dass Leser immer wieder versuchen, über das Geschriebene den Urheber zu analysieren. Da wird viel in etwas hinein interpretiert, an das ich nicht einmal ansatzweise gedacht hatte!

Propstein hat Recht, kenne ich das doch auch. Hat ihn das zum Alkoholiker gemacht?

Propstein: Sehen Sie, ich frage Sie: Haben Sie in meinem Haus auch nur eine Flasche Alkohol gesehen?

Hab‘ ich nicht. Spräche für einen trockenen Alkoholiker oder eben einen Abstinenzler.

Propstein: Sehen Sie, hat Beate alles weggeräumt, bevor Sie kamen.

Wir gehen zurück zum Haus, vorbei an der röchelnden Giraffe. Durch das große Panorama-Fenster, das Alf mit einem Baseball zertrümmert haben soll, sehe ich Beate Propstein nach wie vor hinter dem Sofa dieses stützend stehen.

Propstein: Sehen Sie, sie hat noch nicht bemerkt, dass ich aufgestanden war. Sie ist langsam. Aber sie ist gut zu mir.

Mein Handy piept. Facebook erinnert mich an eine Konzertveranstaltung am Samstag. Hätte ich tatsächlich fast vergessen. Propstein langweilt mich ein wenig, ich surfe auf meiner Chronik herum und finde eine Nachricht aus den USA: „Ich lese alles“, schreibt sie mir. Ich bin erleichtert. Grußlos verlasse ich das Anwesen der Propsteins. Ein seltsames Paar, denke ich und sehe noch, wie Propstein sich wieder auf das Sofa an seine Schreibmaschine setzt. Nein, dieser Mann ist nicht kaputt, wie alle sagen. Er ist nur anders. Ein Schriftsteller im Elfenbeinturm, der nicht weiß, dass 1985, sein Erfolgsjahr, nicht mehr ist. Aber er will zurückkommen. Im seppolog mit

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