2015-12-20 16.47.10

Keine Weihnachtstradition hasse ich so sehr wie den Akt des Baum-Erwerbs. Der Baum selber ist für mich ein absolutes Muss, ohne Baum kein Weihnachten. Da meine Mitbewohnerin und ich unser Auto schonen wollen, tragen wir den Baum stets zu Fuß nach Hause, was uns in eine gewisse Abhängigkeit von dem einzigen Baum-Anbieter in unserer Gegend drängt. Wir mögen ihn nicht wirklich, weil er jedes Klischee eines Baum-Verkäufers erfüllt.

„Der ist frisch geschlagen!“

„Billiger kann ich Ihnen den auf keinen Fall geben!“

„Ich hab‘ noch andere Kunden, die nehmen den sofort!“

„Sie sind spät dran! Vor zwei Wochen hätten Sie noch mehr Auswahl gehabt!“

„Der nadelt nicht!“

„Winterberg. Selber geschlagen!“

„Verdien‘ ich kaum was dran!“

Dieses Jahr sind wir für unsere Verhältnisse etwa eine Woche zu spät dran, da diverse Grippen und Kater unsere urspünglichen Pläne vereitelt hatten. Ich habe heute zwar noch immer einen Kater, aber niemand hat die Grippe, sodass heute der Baum-Kauf die den Tag beherrschende Aktivität war.

Nachdem ich im vergangenen Jahr versehentlich den Preis des Baumes hochgehandelt hatte, setzte mich meine Mitbewohnerin vor dem Losgehen noch einmal ins Bild über das geplante Vorgehen, bei dem ich eine offenbar untergeordnete Rolle spielen würde:

„Du sagst nichts. Ich handele. Wirklich, nichts sagen.“

Ich stimmte ihr zu, überlegte aber sehr wohl, wie ich durch klüge Sprüche im richtigen Moment die Verhandlungen um den Preis in eine für uns günstige Richtung beeinflussen könnte.

„Soviel haben wir gar nicht mit.“

„In der Innenstadt sind die billiger.“

„Wir haben ein krankes Kind zuhause und einen dreibeinigen Hund.“

Vorgenommen hatte ich mir eine 60 Euro-Obergrenze und eine Nordmann-Tanne sollte es sein. Auf dem Weg dorthin kam uns ein Pärchen samt Baum entgegen.

„Sind das Seppo und Du?!“, fragte ich verwirrt meine Mitbewohnerin, die anders als ich diese kosmische Dimensionen-Verdrehung nicht als mögliches Ereignis in Betracht zog und mir sagte, dass das zwei völlig andere Menschen seien. Damit konnte ich leben und so erreichten wir ungern den Händler, dessen Angebot relativ überschaubar war. Was es einfacher machen kann. Schwerer machen es aber meine Ansprüche, die meine Mitbewohnerin nicht teilt. Mir kann der Baum nicht groß genug sein. Preis spielt keine Rolle. Ihr hingegen würde auch ein kniehoher Baum genügen, aber es ist nur einmal Weihnachten pro Saison, da sollte man schon aus den Vollen schöpfen. Außerdem: Ich hatte immer schon einen großen Baum und einen alten verpflanzt man nicht. Ich sehe mich außer Stande, da irgendwelche Kompromisse einzugehen. Kompromisse sind was für Schwächlinge.

Während ich dieses schreibe, steht hinter mir ein monumentaler Baum. Ich sage ganz offen: Er ist zu ausladend. Zwischen mir und Baum passt niemand mehr durch. Käme nun meine Mitbewohnerin ins Zimmer, ich müsste aufstehen, den Stuhl unter den Schreibtisch schieben, um eine kleine Gasse für ihren Durchgang bilden zu können. Daher freue ich mich bereits jetzt schon, wenn dieser Baum wieder verschwindet. In zirka drei Wochen. Denn dann nadele er, sagte uns der Baum-Verkäufer.

Er nadelt natürlich jetzt schon, ich habe bereits dreimal gesaugt. Zweimal kippte der Baum um. Er ist etwas zu wuchtig für unseren Ständer. Dieses Jahr ist es zwischen mir und Baum nicht ganz so besinnlich wie im vergangenen Jahr. Ich wusste damals schon, dass der Baum 2014 schwer zu toppen sei.

Meine Mitbewohnerin tastete sich an das Handeln heran, als wir diesen Baum gesehen hatten. Uns war beiden klar, dass es der einzig mögliche ist; die anderen sahen nach Resterampe aus. Ich schätzte den Baum auf 65 Euro, womit ich tatsächlich richtig lag, und überlegte, wie ich meiner Mitbewohnerin diese schiere Übergröße als für unser Wohnzimmer optimal verkaufen könne:

„Der wirkt größer als er ist.“

„Ja, das kenne ich ja bei Dir. Wir nehmen ihn … Du sagst jetzt aber nichts.“

Der Verkäufer kommt und ich sage nichts. Meine Mitbewohnerin:

„Wo liegt der Baum?“

Wie, wo liegt der Baum?! Er steht? Er steht vor uns!

„65 Euro.“

Achso, preislich. Verstehe. Jetzt wird sie handeln.

„55?“

Der Verkäufer recht barsch: „65. Ich habe auch gar keine Lust mehr zu handeln, ich kann auch keine Bäume mehr sehen.“

Das ist mein Auftritt; ich schreite ein: „65. Machen wir. Ich hab‘ auch keine Lust zu handeln!“

Böser Blick von meiner Mitbewohnerin. Aber wenn er doch nicht handeln will?! Ich will nach Hause. Und dann geschieht etwas sehr kurioses. Der Baum-Verkäufer:

„Ich gebe Ihnen den Baum für 60.“

„Okay. Machen wir.“

Was war geschehen?! Ich hätte das Ding für 70 gekauft! Warum geht er runter?! Der Mann unterlag ganz offenbar meinem Charme. Oder meiner sehr offenen Ablehnung zum Handeln. Triumphierend blicke ich meine Mitbewohnerin an. Ohne zu feilschen habe ich gefeilscht! Das muss sie doch zugeben können! Aber dennoch sagt sie:

„Ich hätte uns noch mehr rausgeschlagen!“

Lungo. Wir trugen also den Baum nach Hause, wie wir es jedes Jahr tun. Nach Öffnen des Netzes krachen seine Zweige an den Schreibtisch und es wird relativ schnell deutlich, dass er größer nicht hätte sein dürfen. Irgendwie macht er mir auch Angst. Ich habe sonst nie Angst vor Bäumen. Mit diesem Baum stimmt etwas nicht. Vielleicht werde ich ihn während des Schmückens besser kennen lernen.


In Wort und Bild tickere ich mein Weihnachten übrigens auf meiner Facebook-Seite!

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