2015-12-20 11.10.49

Es wird verdammt eng. Die letzten 15 Arbeitstage hatte ich runtergezählt, um jetzt zu realisieren, dass es eng wird mit Weihnachtsgeschenken. Da meine Mitbewohnerin mich  offenbar gut kennt und anders als andere mich einschätzen kann, hat sie mir dezente Hinweise gegeben, was ich ihr schenken könnte. Neben mir auf dem Tisch liegt ein Katalog einer äußerst bestimmten Schmuckreihe. Auf Seite 24 ist etwas angekreuzt. Ich gehe schwer davon aus, dass es sich um einen Wink mit dem Zaunpfahl handelt. Um einen erschwinglich günstigen. Aber will ich sie nicht lieber überraschen?! Mein Vater überrascht meine Mutter zu Weihnachten nicht mehr so gerne, nachdem er 1993, es ist der Familie unvergessen, ihr eine monumentale Buddha-Statue gekauft hatte. Er lag wohl nie zuvor so dermaßen daneben, wie in jenem Jahr. Dieses Statue gibt es heute nicht mehr. Sie wurde „zwischen den Jahren“ entsorgt. Andere Frauen hätten meinen Vater möglicherweise direkt mit entsorgt.

Der heutige vierte Advent begann für meine Mitbewohnerin mit einer derben Enttäuschung. Das 20. Säcklein ihres von mir bestückten Adventskalenders war nicht befüllt. Und ja, ich erinnere mich nun auch: Beim Befüllen hatte ich nur 19 kleine Geschenke und mein Plan war, im Laufe der vergangenen 19 Tage die fehlenden fünf Säckchen zu beschweren. Ich habe es vergessen. Weil Weihnachten nun doch schneller als erwartet kam.

Die 15 Grad draußen machen es mir nicht leicht, in die von mir hochgeschätzte Besinnlichkeit zu geraten. Auch die vorgestrige Weihnachtsfeier, von der ich mich gerade noch immer erholen muss, vermag es nicht, mich in diese Stimmung zu wuchten. Ich musste mich gestern Abend erst einmal über den genauen Verlauf der, sagen wir mal, letzten beiden Stunden des Abends informieren. Einige Fragen bleiben offen, aber für mich steht nur noch eines im Vordergrund: absolute Erholung. Ich spreche hier von einer seelischen Erholung. Weihnachten, die für mich einzige Zeit im Jahr, in der mir das gelingt.

Ich neige dazu, alle paar Monate nachts schreiend, brüllend gar, mich und alle anderen aus dem Schlaf zu reißen. Ich nehme an, dass ich in dem Moment auf eine sehr gerade für meine neben mir liegende Mitbewohnerin plötzliche Art Stress abbaue. Selbstgemachten Stress im Übrigen, was ich sehr gut kann. Das alles fällt nun von mir ab und wird für zwei Wochen keine Rolle mehr spielen. Diese nächtlichen Momente, die den Schlaf empfindlich stören, zeichnen sich durch zum einen das massiv laute Brüllen aus

Ich sage „Brüllen“, meine Mitbewohnerin sagte heute Morgen: „Du hast gekreischt wie ein Mädchen!“

und zum anderen durch eine Wahnsinnsreaktion des Körpers: In Windeseile bin ich hellwach, habe die Brille auf dem Gesicht und das Licht eingeschaltet. Innerhalb weniger Sekunden. Erst dann wirklich wach, stelle ich fest, aha, nichts passiert, nur gebrüllt.

„Wie ein Mädchen!“

Ich hasse es, wenn man mich in meiner Männlichkeit verletzt. Noch im Brüllen stelle ich aber fest, dass es lediglich Wahnwitz ist, der mich heimsucht, und fange an zu lachen. Und habe ernsthaft Sorge, dass Nachbarn die Polizei rufen, da es sich so anhörte, als hätte man versucht, mich abzustechen. Aber die Polizei kam nicht. Das wiederum bedeutet, dass wenn man mich abstechen möchte, es am besten nachts tut, denn meine Nachbarn hören offenbar gerne weg.

Kleiner Exkurs ins morgendliche Badezimmer. Seppo steht vor dem Spiegel. Er stellt fest, dass er, seit er so etwas wie eine Frisur trägt, die man stylen muss, um sie als solche zu identifizieren, ungestylt verschlafen aussieht wie ein kleiner Junge. Mit rasiertem Kopf war das alles einfacher. Da stand er auf und war im Grunde ausgehfertig.

Seppo bemerkt, dass er immer noch den Alkohol in seinen Knochen spürt. Oder dessen Abbauprodukte. Die machen ihn traurig. Der Alkohol machte ihn bis Samstag noch heiter. Seppo bilanziert, dass er knapp zwei Tage randvoll war und großen Spaß mit sich selbst hatte. Doch dieser dritte Tag gefiel Seppo nicht. Und dann sieht er noch etwas im Spiegel: Ist sein Bart kürzer?! Hat seine Mitbewohnerin ihm heimlich nachts den Bart geschoren?! Seppo rennt zurück ins Schlafzimmer, wo seine Mitbewohnerin „Minions“ auf dem Handy spielt. In dem Spiel, das einen anderen Namen trägt, muss man Bananen sammeln. Hin und wieder rennt man über einen viel zu kleinen Mond und sammelt blaue Sterne. Dann gibt es da einen Bananensauger. Und In-App-Käufe, die man aber besser nicht tätigt. Aufgeregt ruft Seppo:

„Ist mein Bart kürzer? Hast Du Hand angelegt?“

„Hätte ich das getan, wäre er ab!“

Ich beruhige mich also wieder und finde mich dem Rätsel ab. Vermutlich nur Einbildung. Ach, nein. Ich muss ja in der dritten Person bleiben. Also. Seppo beruhigt sich wieder und findet sich mit dem Rätsel ab. Vermutlich nur Einbildung. Schließlich wurde er des nachts vom Wahn heimgesucht.

Während mein eigener Geburtstag mir nichts bedeutet (wovon ich den allerersten, also Stunde Null, ausnehme), stelle ich jedes Jahr zur Weihnachtszeit fest: Wieder ein Jahr gelebt. Wieder ging vieles gut. Nicht krank geworden. Mitbewohnerin hat nicht die Flucht ergriffen und auch die Todesrate im nahen Umfeld nur leicht erhöht. Spannend eigentlich zu wissen, dass es nicht immer so laufen wird. Erstaunlich, dass der Mensch darüber nicht verzweifelt. Einiges verlief desaströs im zurückliegenden Jahr, anderes überraschend gut. Letztlich war 2015 wohl mein bestes Jahr. Und für 2016 ist noch Luft nach oben.

Es wird mein 37. oder 38. Weihnachten, ich finde die Geburtsurkunde einfach nicht, Weihnachten und es folgt denselben Regeln wie die vorangegangenen. Das ist Tradition, das ist die letzte Konstante, die ich mir bewahren will, bis sie alle zur Hölle fahren.

Der diesjährige Weihnachtsstreit wird sich um ein spezielles Geschenk entfachen. Und ich bin schuld! Es geht um ein geheimnisvolles elektronisches Gerät, das meine Mitbewohnerin mir schenken wollte. Zu ihrem Ärger erriet ich dieses bereits im Spätsommer. Mir war also bis zuletzt bewusst, sie will es mir schenken. Irgendwie ist es mir aber passiert, dass es mir nun meine Eltern schenken werden, nachdem ich es bereits gekauft habe. Ich habe da offenbar einiges durcheinander gebracht, sodass mir meine Eltern das Geschenk meiner Mitbewohnerin schenken, das ich bezahlt habe. Da wird Heiligabend drüber zu diskutieren sein.

Und damit Weihnachten wirklich losgehen kann, wird heute, endlich!, nach zweimaliger Verzögerung ein mehrmetiger Baum gekauft und behängt. Dann kann es endlich losgehen. Weihnachten im seppolog.


Ich erhalte derzeit unfassbar viel Post von einigen von Euch. Neben dem gestrigen Kater hemmt die schiere Menge eine zügigen Beantwortung der Post. Geduld, Freunde, Geduld! Ich lese alles!

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