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Ich öffne selten die Wohnungstür, wenn es klingelt, was nicht einer Sozialphobie geschuldet ist, sondern anderen Umständen. Wenn ich also nicht weiß, wer davor steht, wird es für denjenigen zum Vabanquespiel

In diesem Moment erinnert mich Facebook an den heutigen Geburtstag einer Freundin. „Feiere mit ihr“, fordert die Krake mich auf. Was ist denn das für eine Art? Jene Freundin möchte heute gar nicht feiern und dennoch lädt Facebook fröhlich irgendwelche Menschen zum Feiern ein. Wenn die das nun alle wörtlich nehmen und gleich am Tag vor Heiligabend unangemeldet auf ihrer Matte stehen, könnte das doch für Unmut sorgen. Ich mache mich dennoch gleich auf den Weg. Man sollte tun, was Facebook einem sagt.

, ob er überhaupt reingelassen wird. Als es heute Morgen klingelte, war klar, es ist die Post, die unten in den Hausflur gelangen muss, um meine Fanpost abzuliefern.

„Paket für Flothooo“, rief dieses Mal allerdings jemand. Ich hatte nichts zu mir bestellt, ich hab‘ dieses Jahr direkt alles zum Gabentisch in Münster geordert. Aber offenbar wollte ein guter Mensch mir etwas zukommen lassen. Ich öffnete die Wohnungstür und nötigte den „DHL“-Mann, zu mir nach oben zu kommen. Der war einigermaßen gut gelaunt und trug eine lustige Weihnachtsmann-Mütze. Ich nahm das Paket, unterschrieb und wünschte das, was man sich so wünscht und er zog von dannen. Routinierter kann eine Paket-Übergabe nicht sein.

Das Paket war adressiert an „Sebastian Vlothow“, die falscheste aller falschen Schreibweisen meines Nachnamens. Ich selber schrieb mich eine Zeitlang „Flothow“, um zumindest einigen der Falschschreibern entgegenzukommen, was allerdings noch mehr Verwirrung stiftete bei denen, die den Namen immer korrekt schrieben. Kürzlich habe ich mein Geburtsdatum den Gerüchten angepasst, ich habe nun also im August Geburtstag. Und ich bin auch nicht 36, sondern 37.

Ich fragte meine Mitbewohnerin, ob sie wisse, wer mir wohl ein Päckchen schicken würde. Sie machte den angezeigten „Tickt das Paket?“-Scherz und ich lachte nervös. Und lauschte. Nein, es tickte nicht.

„Mach‘ es auf!“, sagt sie.

In unserer Wohnung sucht man nicht lange nach einer Schere, um das Band zu zerschneiden. Es gibt exakt drei Scheren-Aufenthaltsorte hier, Suchen ist nicht nötig bei uns, was meiner stringenten Ordnung zu verdanken ist. Es gibt keinen Gegenstand hier, der sich meiner Kenntnis entzöge. Ich bin in dieser Wohnung Gott. Außerhalb derer allerdings ein Nichts.

Der Inhalt des Päckchens ist dramatisch. Derart dramatisch, dass ich keinen Spannungsbogen aufbauen möchte.

„Darüber wirst Du vermutlich bloggen!“, meine Mitbewohnerin.

„Darüber werde ich unter allen Umständen bloggen! So abstoßend es auch ist. Aber das muss niedergeschrieben werden. Zumal ich händeringend etwas für den 199. Artikel brauche!“

„Wer tut so etwas Krankes?“, fragt sie.

„Kranke“, antworte ich, „und Du könntest angesichts dessen etwas schockierter sein!“

„Ich bin angemessen schockiert!“, protestiert sie.

„Du hast nicht einmal aufgekreischt!“

„Du aber auch nicht!“

„Vielleicht ist es schon wieder so abartig, dass man gar nicht mehr kreischen kann?!“

Wir holen Tücher, um das Blut aufzuwischen, das sich inzwischen unter dem Paket ausgebreitet hat.

„Ich habe zwei Tage lang die Küche geputzt und nun fließt hier Blut auf die Platte.“, schimpfe ich.

„Es ist immerhin Dein Blut.“

Ich schlage ihr vor, in dem Blut Sex zu haben, verwerfe den Gedanken aber, weil es mir pervers scheint, auch wenn es mein Blut ist, und überlege, ob ich den Satz auch niederschreibe.

„Ruft man jetzt die Polizei?“, frage ich.

„Ja, wen denn sonst?!“

„Das passt mir nicht in meinen Tagesablauf.“

Meine Mitbewohnerin fährt heute, einen Tag vor Heiligabend in ihre Heimat, während ich hier noch ausharre, um das ein oder andere zu erledigen. Lara zum Beispiel. Der Tag würde nun anders verlaufen.

„Wo legen wir ihn drauf?“

„Auf das Backblech. Das ich gestern sauber geschrubbt habe. Tolle Wurst.“

Vorsichtig nehmen wir den Kopf aus dem Paket und legen ihn aufs Blech.

„Ich sehe ganz okay aus“, sage ich meinen Kopf betrachtend, „etwas eirig mein Kopf.“

„Aber die Wirbelsäule ist sauber abgetrennt. Ist sowas wohl schwer?“

„Ich habe noch nie jemanden zerlegt. Aber die Frage ist, wer schickt mir meinen Kopf? Das ist ja durchaus ein Affront. Wirke ich eigentlich derzeit kopflos auf Dich?“

„Wenn du ‚Dich‘ großschreibst, sprichst du den Leser an. Du meinst aber mich, also einige dich endlich mal auf eine korrekte Schreibweise der Personalpronomen.“

„Okay. Mache ich. Ab jetzt. Aber viel wichtiger ist doch die Frage, warum mich jemand köpft, um mir dann meinen Kopf zu schicken?“

„Können wir das nicht nach Weihnachten klären? Ich muss zum Bahnhof.“

„Du könntest meinen Kopf mitnehmen, dann wäre zumindest ein Teil von mir bei deiner Familie!“

„Er riecht bereits gammelig. Außerdem könnte das missverstanden werden, wenn ich dort mit deinem Kopf aufkreuze. Ich muss los.“

Wir verabschieden uns, sie küsst zärtlich meinen Kopf auf dem Backblech und ich bringe sie noch zur Tür.

Nun, inzwischen allein, überlege ich ernsthaft, ob ich den Kopf aufsäge. Mir mein Gehirn ansehe. Ich weiß natürlich nur von Abbildungen, wie Hirne so aussehen. Wie groß ist es wohl? Füllt es den Kopf überhaupt aus? Wenn nicht, wäre das eine Enttäuschung für mich?

Ich hole die einzige Säge aus unserem Keller, die wir haben und fixiere meinen Kopf umständlich zwischen Tisch und Stuhl, der Leser hat dieses nun nicht zu hinterfragen. Und setze mit der Säge so an, wie man es aus „Hannibal“ kennt; ich will ja nicht mein Gesicht ruinieren. Erstaunlich, wie robust so eine Schädeldecke ist, ich scheitere. Offenbar bin ich eine harte Nuss, schwer zu knacken. Wurde mir kürzlich wieder gesagt. Ist das so? Hat mich 2015 niemand geknackt? Doch. Ich bin viel zu leicht zu knacken, viele merken es nur nicht, wenn sie mich geknackt haben. Fassade ist alles. Ich habe aber massig Türen in den Fassaden.

Ich kann mich selber nicht knacken. Zumindest nicht mit der Säge. Ich disponiere um. Wir werden es erleben im zweiten Teil 2016!


Besucht mich gerne auf meiner Facebook-Seite, wo ich übrigens auch Weihnachten in Wort und Bild dokumentiere.

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