Euch erwartet ein doch eher langer Text, der für Neuleser nicht einfach zu verstehen sein wird. Es ist mein 200. Artikel, in dem es von Insidern nur so wimmelt. Das Lesen der im Text vorkommenden Verlinkungen kann helfen. Nach einer „kurzen“ Einleitung folgt weiter unten „Laras Beisetzung“, die eigentliche Geschichte zum Heiligen Abend.

200

Ich bin etwas aufgeregt. Es ist der 200. Artikel, wobei bloße Video-Artikel, ohnehin nicht vorhandene „Reblogs“ und Natascha Wieses Gastartikel nicht mitgezählt wurden, was nicht despektierlich gemeint ist. Ebenso wenig jener eine Artikel, der nur für wenige Stunden online, für viele aber dermaßen verstörend war, dass er nun als „Entwurf“ gespeichert im Nichts vergeblich auf Abrufe wartet. Mein Marketing-Team achtet immer sehr auf das von mir Geschriebene, alles soll möglichst klick- und „like“-kompatibel sein. Dieses Mal soll mir das alles egal sein, außerdem ist Heiligabend und das den ganzen Tag. Scheißen wir also gemeinsam auf Konventionen, zumal ich ohnehin kein Freund davon bin, alles massenkompatibel zu gestalten, denn das ist der Tod der Kreativität. Wir beobachten es jeden Tag im Fernsehen (wobei das sehr pauschal ist, das Gute gibt es nach wie vor).

„Du bist wirklich kopflos zur Zeit“, meinte gestern noch meine Mitbewohnerin zu mir, die immer öfter in Erwägung zieht, mich zu einem Spezialisten für Nervenfragen zu schicken, da die ein oder anderen Artikel von mir immer surrealer werden. Es sind aber die, die ich selber sehr schätze und mir freudig-nervöse Schweißausbrüche bescheren, während ich sie schreibe. Sie sind aber nicht die, die am besten ankommen, was mir aber relativ lungo ist. Anders ist das bei Lara: Nie werde ich häufiger gefragt, wie es weiter geht und vor allem:

„Gibt es sie wirklich?“

Diese Nachbarin und inzwischen gute Freundin gibt es wirklich. Sie ist auch die einzige neben dem „Star“ der ersten 100 Artikel, Pavel, über die ich im seppolog kaum verfremdet schreibe, was ich ansonsten tue, sieht man von meiner Erstleserin, Sabrina USA, einmal ab. Aber Sabrina kann auch nur gut wegkommen, wenn ich über sie schreibe.

Gelegentlich war ich versucht, über Lara, die ein wenig schusselig, dafür aber wahnsinnig liebenswürdig ist, nur deshalb zu schreiben, weil ich wusste, sie kommt an. Das habe ich auf die Spitze getrieben, bis sie eines Tages für mich völlig unerwartet meinen Blog im Netz entdeckte, ihn zunächst relativ begeistert, dann, auf die Artikel über sie stoßend, einigermaßen schockiert gelesen hat. Sie bat mich in der ihr so eigenen eindringlichen Art, sie sterben zu lassen. Es wurde einer meiner Lieblingsartikel und auch Laras letzter. Doch darüber wird noch zu sprechen sein.

Sabrina war angetan von der regelmäßigen Oftmaligkeit. Ein klassisches Beispiel dafür, dass ich immer erst die Überschrift im Kopf habe und mir dann irgend etwas dazu ausdenken muss. In diesem Falle wurde es sehr nachdenklich, so sehr, dass auch ich mich in Gedanken verlor und etwas zwischen trübselig und deprimiert wurde. Das sind dann die nachdenklichen Geschichten, die mich tatsächlich bewegen. Und da wären die Küchenpsychologen gefragt, die sich aber immer nur bei den oberflächlichen Dingen äußern, mir ungefragt Schizophrenie oder sonst etwas attestieren nach einer Psychoanalyse meiner Person, ohne die überhaupt zu kennen. Das sind dann Kommentare, bei denen ich teilweise schmunzele oder mich tatsächlich schwer aufrege; was glaubt da jemand, mich zu kennen, wobei er den Begriff der „Schizophrenie“ nicht einmal versteht?! Doch diese Kommentare machen nur einen Bruchteil aller aus, das Gros ist meist positiv und clever, was mich wahnsinnig motiviert. Sehr ernst gemeinten Dank an dieser Stelle. Demütig weiß ich das zu schätzen. Es sind auf diese Weise übrigens insgesamt 4.500 Kommentare zusammengekommen. Ich versuche weiterhin, stets auf Eure Kommentare zu reagieren. Ich bekomme sie auf mein Handy mit einem Nachrichtenton, der inzwischen Glücksgefühle bei mir auslöst, sodass ich meist sofort etwas antworten kann. Und wie auch bis zum 100. Artikel galt die vergangenen 100 Beiträge: Es gab nicht einen bösartigen Kommentar. Wobei, doch. Hehe, da war was. Eine Leserin warnte mich permanent davor, meine Nachbarin Lara zu belästigen, dabei verkennend, dass es doch Lara selbst war, die immer wieder vor meiner Tür stand und steht. Da hatte ich wirklich das Gefühl, es mit einer sagen wir mal nicht sehr cleveren Leserin zu tun zu haben, wo ich mir dann mehrfach überlege, ob ich überhaupt darauf reagiere, aber ich kann’s ja eh nicht lassen.

In letzter Zeit war der Tod sehr oft Thema hier. Mein absoluter Favorit überhaupt: Der zähe Tod. Ob die Nummer gut geschrieben ist, sei dahingestellt. Aber die Idee! Grandios! Dafür feiere ich mich wohl wissend, dass eine solche vielleicht nie wieder kommt. Ich hatte die Idee abends im Bett und rang mit mir, ob ich direkt wieder aufstehe, um es niederzuschreiben oder ich es bis zum nächsten Morgen abwarten konnte. Ich konnte. Und auch bei Euch kam das Ding an, es ist der zweitmeist gelesene Artikel, sieht man von Überseppo ab.

Die Frage, ob man über den Tod scherzen darf, stellt sich gar nicht. Denn wir werden es nicht zuende diskutieren können, da uns vorher der Tod holt. Über etwas, das so konsequent unausweichlich ist, nahezu hartnäckig, nervig hartnäckig, ja, fast schon stur, muss man lachen können. Nur: Den Respekt sollte man dabei nicht verlieren. Und es gibt ja grob zwei Arten des Todes. Da ist der Tod, der einen im hohen Alter nicht mehr aufwachen lässt. Das ist der, vor dem vielleicht kaum jemand Angst hat. Aber dann ist da der grausame Tod, der auch an diesem Heiligen Abend zuschlagen wird. Ob er Kranke holt oder Unfallopfer, die möglicherweise auf dem Weg zur Familie umkommen (ich habe genau diesen Weg vor mir und klopfe nun auf Holz), er ist grauenvoll und gnadenlos. Er unterbricht Leben, die noch gar nicht zuende geplant waren und erschüttert die Mitmenschen. Keine Frage also, Tod gleich nicht gut. Aber man muss ihm begegnen. Stets mit ihm rechnen. Ohne darüber zu zerbrechen.

Der Samstag voller Weltgeschehen, kurz nach den Attentaten in Paris, wird mir ebenfalls in Erinnerung bleiben, denn dort fühlten sich die Gutmenschen in ihrer Erregungskultur auf den Plan gerufen. Ich lehne politische Korrektheit mehr denn je ab. Heute reicht es, einige Begriffe fallen zu lassen, da stehen sie schon vor der Tür, die Toleranzapostel, die gar nicht mehr hinhören, was man sagt, sondern nur auf Signalworte oder hier -wörter warten. Diese Erregungskultur erlebt man im Netz insbesondere bei Facebook; sie ist so berechenbar wie bekotzenswert. Sie predigt eine Konformität, die sie ja eigentlich ablehnt. Ich wurde mal, kleine Anekdote, für einen Nazi/Fascho/Skin/wasauchimmer gehalten und so auch geschimpft, weil ich möglicherweise einmal einen möglicherweise und ganz bestimmt inkorrekten Scherz gemacht habe. Ich bin nie zuvor und nie danach so dermaßen aus der Haut gefahren. Was für Idioten. Was für unglaubliche Riesenarschfotzen! Wollten mich doch glatt entnazifizieren! Eine Beleidigung übrigens auch meiner Mitbewohnerin. Eine Respektlosigkeit und wenig hasse ich mehr.

Ich kann mich also im Rahmen des seppologs durchaus aufregen und in Rage schreiben. Ich muss dann zwischendurch den Raum verlassen. So wie jetzt. Denn ich muss wieder ruhig werden, da der eigentliche Teil des heutigen, des 200. Beitrages, erst noch kommt!

So, kurz abgeregt und Faden verloren. Prägend in den zurückliegenden Artikeln war natürlich mein Leistenbruch, der für mich während der regelmäßigen Intimrasur immer wieder Thema ist, weil ich so ungern über die Narbe rasiere. Man steht oder sitzt dann da und untersucht die entsprechende Region auf eventuell wieder aufgetretene Schwellungen, zumal ich dort gelegentlich noch Schmerzen habe. Ungern hätte ich jetzt den nicht unwahrscheinlichen Rückfall, lieber erst in einigen Jahren, wenn ich vergessen habe, wie unsympathisch die Nummer doch ist, auch wenn es nichts das Leben bedrohende ist. Ich kenne jemanden, der bereits zwei hatte und tatsächlich sagt, er würde sie spüren, wenn das Wetter umschwingt. Na toll. Bin ich bereits in dem Alter, wo man anhand seiner Malessen das Wetter vorhersagen kann? Kenne ich nur von meiner Oma, die allerdings meist das falsche vorhersagt, denn Schnee im Juli – da mussten sich ihre Knie irren.

Das Wort „Malessen“ scheint es nicht zu geben. Seltsam. Welches meine ich denn dann?

Der Leistenbruch ist aber ein schönes Beispiel dafür, wie ich gnadenlos mein eigenes Privatleben ausschlachte. Wenn mir unangenehme Dinge widerfahren, denke ich meist: „Bringt mir zumindest neuen Stoff fürs Schreiben.“ Dabei habe ich mich vor 200 Artikeln gefragt, wen es interessieren könnte, was mir so widerfährt. Dazu schrieb mir vor einigen Tagen noch jemand:

„Es gibt wenig Leute, die so konsequent über sich schreiben und es dabei so amüsant und interessant machen können! Meine Bewunderung dafür! :)“

Bewunderung ist natürlich zuviel des Guten, aber dies ist der 200. Artikel, ich darf mir hier Unbescheidenheit erlauben. Wie auch bei der Verleihung des „Seppo Blog Awards“, auch ein Top 10-Artikel, was mich wirklich überrascht hatte.

Es gibt auch Dinge, die nicht bei Euch ankommen. Und das sind meist die fiktiven Geschichten. Für „Peppermint Boy“ wurde aufwändig ein Logo entwickelt, um dann festzustellen, dass die Geschichte nur meinen Nerv trifft. Schade. Versandet. Obwohl ich dafür extra eine „Spiegel“-Homestory verfasst hatte. Noch erfolgloser als der zweite große Flop im seppolog: Die Oberbilker Bürgerwehr. Innerhalb der ersten zehn Minuten nach Veröffentlichung eines Artikels weiß ich, ob er ankommt oder nicht. Bei diesem war sofort klar: ein Mega-Flop. Und ich finde ihn eigentlich nach wie vor kracher! Inzwischen reagiere ich kühler und lasse Artikel, die nicht laufen, dennoch online. Denn ein ganz klein bisschen schreibe ich dann wohl doch für mich. Und ich kann nicht immer über die Beziehungsfragen schreiben, welche die mit Abstand beliebtesten Artikel sind. Zum einen habe ich die klassischen Klischees durch, zum anderen führe ich zu meinem großen unverhofften Glück, das ich wahnsinnig zu schätzen weiß, eine Beziehung, die im Grunde gar kein Klischee über Beziehungen erfüllt. Und das tolle: Es ist dennoch eine normale unaufgeregte Beziehung. Und da ficht es mich auch nicht an, wenn, wie vor einiger Zeit, die Existenz jener „Mitbewohnerin“ angezweifelt wird. Zumal sie in zahlreichen Videos auf meiner (achtung, unauffälige Verlinkung) Facebook-Seite in diversen Videos eine Rolle spielt.

Im privaten Umfeld werde ich – und wird auch meine Mitbewohnerin zunehmend – gefragt, was eigentlich echt ist, was nicht. War das Vonda Shepard-Konzert wirklich so doof für dich? Bist du wirklich so ein Macho, dass du dich von einer Frau beim Laufen nicht überholen lassen willst? Stolperst du wirklich dreimal über dieselbe Tasche? Und für mich das Schönste: Hast du wirklich deine Kaffeemaschine kaputtgeputzt? Kaum ein Artikel, in dem ich nicht hier und da als Vollidiot dastehe. Warum ist das so? Weil’s geht. Es färbt nur leider ins Private ab, manch einer hat von mir inzwischen ein Bild, das etwas in Schieflage geraten ist und so stelle ich mir selber die Frage, ob man mich anhand des seppologs erkennen kann. Ich kann’s noch nicht beantworten. Vielleicht. Ich meine, ich war immerhin wirklich so doof, mir von meinen Eltern das schenken zu lassen, was mir eigentlich meine Mitbewohnerin schenken wollte, was ich dann auch noch selber bestellt habe. Ja, ich habe da so meine kleinen Doofheiten. Doch es bleibt, und das gebietet der Respekt, allein mir überlassen, mich darüber lustig zu machen. Aber dreimal über dieselbe Tasche stolpern?! Ich bitte Euch. Außerdem waren es viermal.

Erstaunlich, dass ich ausgerechnet am Heiligen Abend meinen 200. Artikel veröffentliche und den 100.000. Leser begrüße. Es soll nicht das einzige Wunder bleiben …

Nach dem Leistenbruch kam der Urlaub. Urlaubsseppo ™ vielmehr. Wenn ich mich recht entsinne, habe ich fast jeden Tag im Urlaub etwas veröffentlicht, was nicht zwangsläufig bedeutet, dass ich es auch am selben Tag geschrieben habe. Oder glaubt Ihr, ich schreibe dieses am Heiligen Abend? Ich schreibe es gestern gegen 17 Uhr. Ich wurde nach meinem Urlaub gefragt, ob ich im Urlaub nicht eigentlich etwas Besseres zu tun hätte als zu bloggen. Ich würde ja entgegnen, dass man gerade im Urlaub viel Zeit haben sollte, denn ich bin niemand, der sich den Urlaub mit Plänen vollkleistert, um dann letztlich gehetzt Sehenswürdigkeiten zu betrachten. Ich will mich in erster Linie erholen. Und wenn ich schreibe, ist das nicht im Ansatz Arbeit für mich. Sieht man vom miesen W-Lan im Hotel einmal ab, meinem Lieblings-Running-Gag aus der Urlaubsreihe. Ich meine: 2.000 W-Lan-Minuten in 1.500 Minuten?! Wie soll das gehen?! Aber meine Mitbewohnerin hat mich mindestens einmal im Urlaub gefragt, ob ich denn jetzt wirklich runter in die Hotel-Lobby gehen müsse, um zu bloggen. Ich verstehe die Frage und sie auch die Antwort. Natürlich muss ich. Wenn da eine Idee ist, gebe ich vor ihrer Niederschrift keine Ruhe und kann mich auf anderes ohnehin nicht konzentrieren. Vielleicht ist hier nun der Zeitpunkt, mich auch bei ihr zu bedanken. Vielleicht aber nicht der richtige Ort.

Nun liegt der Urlaub auch schon wieder eine Ewigkeit zurück, was mir abermals vor Augen führt, wie die Zeit rast. Es gibt aber Schlimmeres. Langsames Vergehen von Zeit. Langeweile. Langeweile ist mir völlig fremd. Und das, obwohl ich nicht zu denen gehöre, die man sonntagmittags auf dem „Mount Everest“ findet, nachdem sie am Samstag zuvor paragliden über dem Ätna waren. Auch das wird oft fehlinterpretiert bei mir und wieder urteilen da Menschen über mich, die mich gar nicht kennen. Ich versuche immer meinerseits, mir das nicht anzumaßen. Oder es zumindest für mich zu behalten. Übrigens, ebenfalls einer der erfolgreichsten Artikel ist der auf dem Hinflug nach Malta entstandene. Denn den schrieb ich tatsächlich aus bloßen Therapie-Gründen, um mich selber vom Fliegen abzulenken. Und äußerst viele Menschen sagten mir im Nachhinein, dass es ihnen exakt so ergehe beim Fliegen wie mir. Kann man mal sehen. Da hat man Bedenken, ob man nicht als ganz großer Schisser dastehe, und dann erntet man soviel Zuspruch. Aber auch dieses habe ich nach 200 Artikeln gelernt: Es ist unfassbar reizvoll, Bedenken zu ignorieren. Die Frage, wie man nachher im privaten Umfeld dasteht, wenn man bestimmte Dinge schreibt, ist völlig egal. Es ist nämlich viel geiler, es entgegen aller Bedenkenträger durchzuziehen, da man am Ende des Tages doch dafür belohnt wird. Ich versuche nicht mehr, es jemandem Recht zu machen, es lohnt sich vielmehr, neue Pfade zu betreten und den Bedenkenträgern danach mit dem Arsch ins Gesicht zu lachen. Metaphorisch. Obwohl …

Nun ist das geschehen, was ich vermeiden wollte, da ich es zum 100. Beitrag schon tat: Ich habe zurückgeblickt. Ich nehme mir vor, es zum 300. zu unterlassen. Denn an diesem Heiligen Abend, der hoffentlich in Eurem Sinne verläuft, wollte ich ein Ereignis niederschreiben, das mich kurz nach Laras Tod in meinen Grundfesten erschüttert hat. Es war auf ihrer Beerdigung. Die Einleitung endet hier, jetzt geht es erst los ;)

Übrigens sind dieses lediglich dreieinhalb DIN-A4-Seiten in Schriftgröße 12, einfacher Zeilenabstand. Also nicht viel.


Laras Beisetzung

Weder Lara noch mir war es gelungen, sie umzubringen. Das Schicksal half dann endlich nach, sodass sie im Badezimmer unglücklich, aber für sie typisch, stürzte und mit dem Kopf von einer Klobürste aufgespießt wurde. Selbst im Prozess des Ablebens macht sie eine nicht ganz so gute Figur. Das ist auch nichts, was man ihr auf den Grabstein geschrieben hatte. Dort las ich lediglich ihren Namen „Lara Ungern“ und ihre Lebensdaten. Es ist doof, wenn einem während einer Beerdigung die Kontaktlinse verrutscht. Aber so sah es wenigstens so aus, als würde ich weinen, derart war mein Auge gereizt.

„Was steht da auf ihrem Grabstein?“, fragte ich also meine Mitbewohnerin.

„Pschscht!“ pschschte sie nur zurück.

Und dann neben mir eine Stimme: „Nimmt dich das so sehr mit?“ Und siehe da, es war der große Koslowski, der nicht nur auf Hochzeiten fotografiert, sondern allen Ernstes auch auf Beerdigungen.

„Was tun Sie hier?! Fotografieren?“, siezte ich ihn. „Etwas pietätlos!“

„Nun ja, Lara war ein Model von mir. Erotikfotografie.“

Ach? Da lag ich ja doch gar nicht so falsch mit meiner Einschätzung dieser Ausgeburt an Schönheit, an fast schon ordinär praller Schönheit. Aber den Aspekt hatte sie mir verschwiegen. Dabei wäre ich großer Abnehmer ihrer Fotos gewesen. Doch solche Gedanken waren nun in der Tat pietätlos und außerdem – und das wird überraschen – war Lara das komplette Gegenteil meines Schönheitsideales. Es ist ganz einfach. Da kann jemand groß und blond wie Lara sein. Mega Brüste, mega Arsch. Und doch reicht es im besten Falle nur zur respektlosen Wichsvorlage, was bei Lara schwierig wurde, da ich sie kannte. Eine Wichsvorlage ist eher etwas Unpersönliches, die will ich nicht kennen. Aber über diese Vorlage kam sie bei mir nicht hinaus, ich mag es eher klein, handlich und dunkelhaarig. Ach, neben mir steht ja meine Mitbewohnerin. Hat die ein Glück!

Der offizielle Teil war vorbei und einige Tränen vergossen, als meine Kontaktlinse wieder Halt im Auge gefunden hatte. Das ist auch meine kack Eitelkeit, dass ich ungern mit Brille rumlaufe. Seit Alf Willi Tanner „Vierauge“ genannt hat, nachdem dieser über Alfs große Nase herzog.

Meine Mitbewohnerin und ich blieben noch, als bereits alle weg waren, damit es in diese Geschichte passt, denn an sich wären wir die ersten gewesen, die gegangen wären. Aber es war gut, dass wir blieben. Denn nur so konnten wir das Klopfen aus dem Sarg vernehmen.

„Na toll. Das ist typisch Lara. Hat sie sich entschieden, nicht tot zu sein?“, frage ich.

„Man wird sie nicht los. Öffnen wir jetzt den Sarg?“

„LARA?!“

„Sie kann Euch nicht hören.“ Neben mir steht plötzlich wie immer: Gott. „Der Sarg ist schalldicht. Laras Eltern bestanden darauf, damit es in diese Geschichte passt. Heute wird alles gnadenlos gebogen, bis es dem Autoren passt, der sich viel zu lang an einer selbstreferenziellen Einleitung aufgehalten hat.“

„Gott, das ist ja nun unüblich. Tod ist doch eher eine endgültige Sache. Warum ausgerechnet bei Lara eine Ausnahme machen?“, frage ich.

„Ach Seppo. Als ob sie die erste Ausnahme wäre. Dich wollte ich bereits dreimal von Erden nehmen, wie du dich erinnerst.“

„Achja. In Abständen von etwa zehn Jahren. Was mir Sorge macht, denn es ist bald wieder soweit.“

„Gut, dass du abergläubisch bist. Vermutlich wirst du auch dieses Mal die Kurve kriegen.“

„Das wäre auch in meinem Interesse!“, prescht meine Mitbewohnerin dazwischen.

„Ach, du bist ja auch noch da!“, ich.

„Ja, ich bin ständig in deinen Geschichten. Ausgerechnet jetzt, wo Lara aufersteht, hast du keine Verwendung für mich?“

„Ja, schwiiiierig, bitte nicht wundern, wenn ich dich vergessen sollte. Aber ich meine, hier steht Gott. Und es wird noch besser!“

„Wie, besser?“

„Dahinten. Siehst du den Mann ohne Sense?“

„Ist das der Tod?“

„Ja … du wirkst nicht überrascht!“

„Naja, wir sind auf einem Friedhof. Da überrascht mich der Tod am wenigsten.“

Der Tod bemerkt, dass wir ihn bemerkt haben und kommt etwas verlegen auf uns zu.

„Hallo, hallo!“, sagt er freundlich.

„Bringt wohl nichts, sich zu dieser Jahreszeit in Bäumen zu verstecken?!“, frotzelt Gott.

„Ach Gott. Dass du hier bist, heißt, wir können hier nun mit einem Wunder rechnen?“, Tod etwas genervt.

„Ihr kennt euch?“, frage ich.

Die beiden grinsen sich an und man ahnt, sie haben schon mehr als nur ein Bier miteinander getrunken. Der Tod überrascht mit einer klugen Frage:

„Wie könnt ihr das Klopfen aus dem Sarg hören, wenn es ein schalldichtes Modell ist?“

Wir gucken uns fragend an und verweisen auf die ohnehin fehlende Logik in dieser Geschichte, die einer gewissen Müdigkeit geschuldet ist. Mit einer noch viel klügeren Frage lenke ich ab:

„Was geschieht nun mit Lara?“

Gott: „Ein klassischer Problemfall. Da weigert sich jemand tot zu sein. Das ist auch der Grund, warum der Tod anwesend ist, wir müssen nun zu dritt das Für und Wider Laras Auferstehung diskutieren. Meist geht das zugunsten des Todes aus. Im Grunde Routine. Aber lassen wir Lara erst einmal zu Wort kommen.

Zu viert öffnen wir den schalldichten Sarg mit einem Dosenöffner, der hier seinen ersten und letzten Auftritt im seppolog hat. Es ist ein gutes Modell von „WMF“, also von bester Qualität wie hoffentlich auch die Zitronenpresse, die man mir heute Abend schenken wird.

Nach Luft ringend setzt Lara sich auf, wunderschön wie eh und je. Eine Göttin!

Gott: „Na, na, na …“

„Verdammt! Eine Klobürste! Wer hat sich das ausgedacht?! Was ist das denn für eine Art zu sterben?!“, empört sich Lara empört.

„Das war meine Idee!“, brüstet sich der Tod. „Das ist relativ neu, ich hab’s an dir mal ausprobiert.“

„Lara, du weißt schon, dass du etwas hartnäckig bist.“, mahne ich sie.

„Nervig.“, wirft meine Mitbewohnerin ein. Ich weiter:

„Erst stehst du mehrfach pro Woche vor meiner Tür, weil du deine Lichtschalter nicht findest, dann entdeckst du dich in meinem Blog, regst dich nicht ganz zu Unrecht auf und forderst deinen Tod, den du dann bekommst samt ’ner Menge ‚Likes‘, und dann trittst du auf denkbar spektakuläre Weise wieder auf?!“

„Seppo, abgesehen davon, dass du ganz offensichtlich in mich eindringen willst, wie ich deinen Artikeln entnahm …“, setzt sie an.

„Hör nicht hin!“, sage ich zu meiner Mitbewohnerin, bevor Lara fortsetzt:

„… habe ich feststellen müssen, vielleicht zu spät, dass ich gar nicht sooo schlecht bei dir wegkam. Du hast mich zwar als dummes Blondchen dargestellt, aber letztlich habe ich doch die Fantasie auch einiger deiner Freunde angeregt. Also die würden mich doch alle gerne mal treffen!“

„Ja, das stimmt in der Tat. Ich habe zum Schluss sogar jede Aussage zu dir verweigert, weil ich Muffensausen bekam, dass mir die Nummer um die Ohren fliegt.“

„Ja, aber deshalb habe ich beschlossen, die ganze Nummer mit etwas zu nehmen, was du auf penetranteste Weise raushängen lässt: mit Humor nämlich. Und ich würde mich für einen Gastartikel anbieten. Ich will über den wahren Seppo schreiben. Über das Arschloch Seppo.“

„Haha! Die gefällt mir!“, so der Tod.

„Ja, aber nun habe ich dich sterben lassen, du bist durch. Mit Schmerzen habe ich mich von dir verabschiedet. Ich habe Freunden erklärt, dass du sehr böse auf mich bist und dich daher sterben lassen musste. Wie sieht das denn jetzt aus, wenn du wiederkommst?“

„Als Gegenleistung darfst du mir als großer Augen-Fan einmal tief in die Augen blicken.“

„Sehe ich dann in tote Augen? Wie ist das jetzt, Gott, lebt sie?“

„Im Moment ist sie so etwas wie ein Engel.“

Ui, damit trifft Gott wieder einen Nerv bei mir. Und zwar in mittlerer Körperregion. Güldenes Haar, pralle Bürste und im Grunde halbnackt. Aber alles nicht so verlockend wie die Augen.

Der Tod schreitet ein: „Wenn es hier um eine Wiederauferstehung gehen soll, habe ich aber ein Wort mitzureden.“

Gott: „Da hat er Recht. In solchen Fällen schlage ich immer vor, einen anderen dafür zu opfern. Wie sieht’s mit dir aus, Seppo?“

„Ja, Momeeeeent! Ich muss noch auf ein Vonda Shepard-Konzert! Außerdem bin ich der Blogger!“

Der Tod: „Da hat er Recht. Aber wie wäre es mit Vonda Shepard? Bringen wir sie um!“

Meine Mitbewohnerin: „Halt! Dann können wir ja nicht mehr auf das Konzert!“

Lara: „Und wenn sie nicht aufs Konzert müssen, dann können wir ja wieder Seppo wählen!“

Ich interveniere: „Stopp! Wenn ihr mich statt Vonda Shepard nehmt, dann könnte sie ja ihr Konzert geben und ich dieses auch besuchen!“

Gott: „Sehr kompliziert. Es muss doch jemanden geben, den wir opfern könnten.

Ich überlege. Und habe eine Idee. Opfern wir den Fan. „Den einen Fan“! Er blieb im seppolog relativ anonym, hat es nicht geschafft, eine tragende Figur zu werden und kann damit problemlos beseitigt werden. Wie hieß er? Kapuzzen-Ulli? Das wäre doch jetzt sein Moment, noch einmal aufzutreten!

„Hallo! Bist du nicht Seppo aus’m Fernsehen?“

Ah! So ein Zufall! Kapuzzen-Ulli kommt vorbei und erkennt mich abermals!

„Hi! Absolut richtig, wir kennen uns ja bereits! Das hier ist meine Mitbewohnerin, das ist Lara, im Moment eine Art Engel, halbnackt, das hier ist Gott und dieser Typ ohne Sense ist der Tod.“

„Was habt ihr immer mit der Sense?!“, fragt der Tod beiläufig.

„Eine ungewöhnliche Versammlung!“, so Kapuzzen-Ulli.

Ich: „Ja, frag‘ mich mal. Gestern wurde mir ein Paket mit meinem Kopf geliefert. Ich stelle inzwischen keine Fragen mehr. Mit entgleitet das alles ein wenig. Pass auf, Ulli.“

Kapuzzen-Ulli unterbricht mich: „Moment. Ich hieß nie Ulli. Wenn du deine eigenen Artikel richtig lesen würdest, wüsstest du, dass du mich lediglich beschrieben hast mit dem Tragen eines Kapuzzenpullis! Nicht Ulli! Pulli!“

„Ja, schön, dass du das seppolog liest. Du bist gerade Teil des 200. Artikels und, ähm, wir würden dich gerne opfern. Das kommt möglicherweise etwas überraschend für dich. Aber … hm … kann das hier einer der seltsamen Fabelwesen besser erklären?“

Gott empört: „Bin ich jetzt zum Fabelwesen degradiert worden? Aber klar, ich kann das besser erklären. Wenn wir Lara wieder ins Leben zurückschicken – hoffentlich ist ihre Wohnung noch nicht gekündigt, das wird alles ein großer bürokratischer Papierkram, denkt allein an den Totenschein, der ja was endgültiges hat -, dann muss ein anderer dafür sterben. Das hat man jetzt mal so als Erklärung hinzunehmen. Wo ist eigentlich Pavel?“

Pavel, mein bester Kumpel, war mal mein Nachbar und spielte hier im Blog auch gerne mal eine Rolle. Er ist neben Lara einer der wenigen realen Personen. Und wie es der Zufall so will, kommt Pavel in diesem Moment vorbei.

„Pavel! Du kommst genau richtig!“

„Woas? Ich will einmal nichts mit deinem scheiß Blog zu tun haben. Mich bitte nur in halbwegs reale Geschichten einbauen!“. Pavel geht beleidigt weiter.

„Stimmt, dafür will ich ihn nicht verheizen. Ich sehe ihn übrigens Weihnachten in Münster. Es bleibt nur Kapuzzen-Ulli. Oder das kleine Mädchen dahinten auf der anderen Straßenseite!“, das ich, während ich das sage, erspähe.

Gott wendet ein: „Nein, das ist das Mädchen, das in zwanzig Jahren die D-Mark retten wird. Die wird gebraucht.“

Der Tod: „Gut, dass du es erwähnst, ich hatte schon ’nen LKW für morgen bestellt.“

Wie wir es auch drehen und wenden, es bleibt bei Kapuzzen-Ulli, der dem ganzen Vorhaben selber nicht so abgeneigt war.

Höflich erkundigt sich der Tod: „Wäre das denn terminlich jetzt passend für dich?“

Kapuzzen-Ulli: „Ja, also vielmehr hatte ich für heute nicht geplant. Könnte ich bei der Art des Todes mitreden?“

Der Tod: „Jetzt mal nicht übermütig werden. Das Leben ist kein Wunschkonzert.“

Und so wird Kapuzzen-Ulli etwas skeptisch und tritt den Rückzug an, wobei er den Bus übersieht.

„Nun,“ sage ich, „dann wäre das ja geklärt und Lara wieder unter den Lebenden. Das wird natürlich eine große Überraschung für ihre Eltern. Wie erklärt man sowas?“

Gott: „Also das ist nun wirklich mal nicht mein Problem. Vielleicht hilft es Lara, dass sie schon die ein oder andere Schwangerschaft ihren Eltern vorgespielt hat?“

An dieser Stelle muss ich nun betonen, dass zumindest meines Wissens nach Lara so etwas nie getan hat. Denn unsere Übereinkunft sieht vor, dass ich ihr bezüglich stets bei der Wahrheit bleibe. Die nächsten Lara-Artikel muss ich ihr überdies vor Veröffentlichung zum Gegenlesen vorlegen. Und ich freue mich im kommenden Jahr auf ihren ersten Gastartikel. Ich hoffe, dass sie überhaupt schreiben kann. Das, Lara, war jetzt zum Beispiel ein Scherz. Vielen Dank an dieser Stelle, dass Du den Spaß nun doch mitmachst und in aller Öffentlichkeit entschuldige ich mich für die Darstellung Deiner Person, die möglicherweise hier und da etwas von Deinem Selbstbild abwich. Was auch wieder irgendwie gemein ist. Also, ich entschuldige mich und freue mich, Dir im Gegenzug tief in die Augen zu blicken, was ich so gerne bei manch Damen tue.


Zum einhundersten Artikel führte Pavel mit mir dieses Interview, das heute, weitere einhundert Artikel später, noch aktuell ist. Wer Lust hat, bitte!


Ich wünsche Euch allen und vor allen jenen, die es nicht so leicht haben im Leben, ein besinnliches Weihnachtsfest. Genießt die wenigen Tage, die uns im Jahr vergönnt sind, wo wir wirklich etwas abschalten können, sofern wir uns nicht einem unmenschlichen Weihnachtsstress ausgesetzt haben, was aber an jedem selber liegt. Ich gönne mir nun eine kleine Pause vom digitalen Dasein, die ich hoffentlich durchhalte und wir sehen uns wieder im neuen Jahr, in das wir alle möglichst glimpflich hineinrutschen!

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