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Albern. Man lieferte mir vor rund einer Woche ein geheimnisvolles Paket, in dem mein Kopf lag. Beim Öffnen des an sich ganz nett verpackten Kartons sah ich mich also von oben und stellte fest, dass ich dann doch weniger Haare auf dem Kopf habe, als ich meiner gewohnten Frontansicht entnommen hatte.

„Da merkt man aber schon, dass ich nicht mehr 20 bin!“, sagte ich zu meiner ebenfalls erstaunten Mitbewohnerin.

„Und ich sehe dich noch aus ganz anderen Perspektiven!“

„Wir sollten doch mal ein Sex-Tape produzieren.“

Ich versuchte später, mittels Säge meine Schädelplatte zu entfernen, um freie Sicht auf mein Hirn zu haben, da das nun wirklich eine Perspektive wäre, die nicht einmal meine Mitbewohnerin von mir kennt.

„Die muss ich auch nicht haben, denn ich ahne, wie es aussehen muss, dein Hirn.“

„Ich glaube, ich habe ein sehr hübsches und großes Hirn!“

Aber bis auf ein paar unschöne Schrammen gelang mir das Öffnen meines Kopfes nicht, der nun noch blutverschmierter als ohnehin schon war. Und nun kam auch noch Weihnachten dazwischen, wir stellten den Karton samt Kopf also erst einmal in unseren Vorratsschrank, um uns Jesu Geburt hinzugeben.

Nun, zwischen den Jahren, geschah etwas, das sich niemand ausdenken kann, sodass ich hiermit verkünde, dass es wahr ist. Es passierte gestern. Es klingelte an der Tür. Es klingelt im Rahmen des seppologs auffallend häufig an der Tür. Es beginnt immer an der Tür. Ist so ein Muster. Gilt auch für Fernsehserien: Wenn es dort klingelt an der Tür, weiß man, dass etwas Wesentliches geschehen wird. Da öffnen die Darsteller die Tür und dann steht da jemand.

„Erwartest du jemanden?“

„Nein, eigentlich nicht. Es wird vermutlich etwas Wesentliches geschehen. Moment, ich öffne … Ja?“

„Hallo, du kennst mich wahrscheinlich nicht. Ich bin dein Großvater.“

„Opi! Klar kenne ich dich! War gestern noch bei dir!“

„Ich muss dir etwas sagen. Oma …“

„Oma?! Was ist mit Oma?“

– Werbung –

– Programmtrailer –

– nach nur einem Spot geht es weiter –

„Oma ist schwul.“

Fassungslosigkeit. Cliffhanger. „Wer wird Millionär?“. Auf „Einsfestival“ „Tatort“-Wiederholung.

Hier klingelte aber nicht Opa. Das ist auch in meinem Fall gänzlich ausgeschlossen. Opa I und Opa II sind wahnsinnig lange tot. Opa I habe ich nie kennengelernt. Wir lebten nacheinander. Wobei ich nach wie vor lebe. Über Opa I könnte man mir alles erzählen, ich müsste es glauben. Tatsächlich weiß ich nichts über Opa I. Ein kurioses Familiengeheimnis, über das nicht gesprochen wird.

Ich öffne die Tür. Und wer steht da? Opa I. Verrückt.

„Also so langsam wird das hier ’ne ganz alberne Geschichte. Opa I, wie ist das nun möglich?!“

„Wir wollen uns nicht mit diesen nebensächlichen Fragen beschäftigen.“

„Oh doch. Es hieß, ein Traktor habe dich überfahren.“

„Es hieß bislang auch, dass das Verschicken von Köpfen unüblich sei.“

„Ja, aber zumindest theoretisch möglich. Was hast du mit meinem Kopf zu tun?“

„Es ist ein Experiment. Und du wurdest auserwählt.“

„Überrascht mich kein Stück. Das meine ich völlig ernst. Hier stehe ich gänzlich unüberrascht. Du siehst mich hier in einer Gelassenheit stehend, die schon an Koma grenzt. Übrigens kenne ich nicht einmal deinen Vornamen, Opa I.“

„Dann bleib bei ‚Opa I‘.“

„Ich bleibe, betont gelassen, bei ‚Opa I‘.“

Weil ich ja nun blutsverwandt mit Opa I bin, habe ich kein Problem damit, ihn in die Wohnung zu bitten, wo er fast über den Werkzeugkasten stolpert, den Gott hier stehen gelassen hatte, als er den kläglichen Versuch unternommen hatte, meine Waschmaschine zu reparieren.

„Kennst du dich mit Waschmaschinen aus?“, frage ich Opa I.

„Nein. Ich weiß ’ne Menge über Traktoren. Wo ist der Kopf?“

„Im Vorratsraum. Wo sonst?“

Wir gehen in den Vorratsraum, in dem es nach alten Kopf müffelt. Er nimmt die Kiste samt Kopf und stellt sie samt Kopf auf den Küchentisch.

„Mein lieber Enkel. Bist du bereit für eine Reise?“

„Eher nicht. Ich spiele gerade gedanklich Silvester durch. Wir haben allen Ernstes eine Privatparty gefunden, zu der wir auch eingeladen sind! Ich feiere Silvester ja gerne eher im privaten Rahmen und nicht im öffentlichen.“

„Du verlierst dich in Unwichtigkeiten, mein Sohn.“

„Enkel.“

„Enkel. Ja. Verzeihung. In meinem Alter, da … und diese Ähnlichkeit. Verblüffend.“

Opa I begann zu erklären, was es mit meinem Kopf auf sich habe. Und es war kompliziert, ich kann es nur schemenhaft wiedergeben, zumal Opa I inmitten seiner Erläuterungen einschlief und ein zweistündiges Nickerchen machte. Was mir wiederum Zeit gab, über Silvester nachzudenken. Also, Opa I hat natürlich im Zweiten Weltkrieg gekämpft. Sparen wir uns die Frage, ob er Nazi war oder nicht, ich weiß es schlicht nicht. Ich könnte nicht einmal ausschließen, dass er im Widerstand war. Allein, ich weiß es nicht. Er wusste aber von Nazi-Experimenten zu berichten, in denen es um das Abtrennen von Köpfen ging, ohne großen Schaden anzurichten. Um nicht viel Aufhebens um diese Sache zu machen, fanden diese Experimente offenbar auf dem Mond statt.

„Dort hatten die Nazis die notwendige Ruhe und auch das Wetter war kalkulierbar.“

Ein verrückter Nazi-Professor – und verrückt waren sie ja alle – mit Namen Dr. Eisenstein (so hießen sie ja alle) hatte den Traum, dem Menschen eine Reise in sein Hirn zu ermöglichen. Dazu, das war sein Ansatz, sein verdammt naheliegender Ansatz, musste dem Probanden der Kopf abgetrennt werden, damit er in diesen „einsteigen“ könne. Opa I bemerkte, dass Nazis immer komische Ideen hatten, teilweise leider auch Ideen, die die halbe Welt ins Unglück stürzten, sodass man gar nicht verstehen könne, warum dieses Gedankengut einfach nicht totzukriegen ist. Das ist aber eine andere Geschichte. Wir bleiben auf dem Mond. Opa I war offenbar einer der ersten Probanden, denen der Kopf abgetrennt wurde. Schonend aber. Sonst hätte Opa I ja nicht vor mir stehen können. Bitte ein bisschen mitdenken, ich kann nicht alles hier wiedergeben, es störte sonst den Fluss der Geschichte. Nicht den der Weltgeschichte, sondern den dieser wahrheitsgetreuen Ereignisse, die ich aus Chronistenpflicht hier lediglich wiedergebe und nicht bewerten möchte. Obwohl: Sehr krasse Geschichte, wenn man mal ein zweites Mal liest.

„Nachdem sie mir erfolgreich und schonend den Kopf abgetrennt hatten – und das alles unter Mond-Bedingungen! -, setzte man mich auf einen seltsam anmutenden Stuhl und ich wusste, dass es dabei nicht ums alleinige Sitzen gehen würde. Da ich aber ohnehin nicht mehr stehen konnte (Kriegsverletzung), setzte ich mich bereitwillig hin und akzeptierte auch die Drähte und Schläuche, an die man mich anschloss.“

Ich unterbrach Opa I. Die ganze Nummer interessierte mich nicht so sonderlich, wenn ich ehrlich bin, drückte also aufs Tempo, zumal er sehr schleppend erzählte.

„Opa I, verhält es sich so, dass an mir dieses Experiment nun wiederholt wird?“

„Exakt. Du hast die Ehre, dein eigenes Gehirn zu bereisen!“

Puh, schwerer Tobak, hart obendrein, den ich erst einmal verdauen musste. Letztlich war ich aber erleichtert, dass sich die Frage, warum man mir meinen Kopf postalisch zukommen ließ, geklärt hatte. Mond-Nazis stecken dahinter. War eigentlich auch klar.

Und so begab ich mich auf eine Reise in mein Hirn, doch davon ein anderes Mal mehr.


Von einem Besuch meiner Facebook-Vertretung rate ich dringend ab!

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