„Sind deine Freundinnen nicht wahnsinnig neidisch auf dich, weil du mit so einem Teufelskerl zusammen bist?“, fragte ich meine Mitbewohnerin.

„Nein. Eigentlich nicht. Vielmehr öffnen sie mir gelegentlich die Augen.“, war ihre Antwort.

Davon lasse ich mich aber nicht beirren und habe sie nun erst einmal shoppen geschickt. Denn ich – und sie auch! – bin es leid, dass sie zu besonderen Anlässen wie Geburtstagen oder Hochzeiten vor dem Schrank steht und nichts anzuziehen findet. Und da uns das Christkind zu Weihnachten mit Geld zugeschissen hat, wird das nun in diesen Minuten in den Düsseldorfer Arcaden auf den Kopf gehauen. Während ich unsere Waschmaschine überwache, die seit einigen Waschgängen bedenklich laut ist. Wir rechnen mit ihrem baldigen Ende. Es wäre natürlich klüger, Christkinds Moneten in eine neue Maschine zu investieren, aber was hilft es, wenn Mitbewohnerin keine Klamotten hat, die dann auch nicht gewaschen werden können. Es ist ein Dilemma. Entweder Waschvollautomat und keine Kleidung oder Textil und keine Waschmaschine.

Bei so wichtigen Einkäufen wie diesen ziehen wir es vor, dass ich besser nicht dabei bin, da es sie deprimiert, dass während sie vielleicht einen Gürtel findet, ich bereits schon mit drei Tüten Klamotten in der Hand um sie herum schlawengel, da ich aus lauter Langeweile ein Teil nach dem anderen finde. Inzwischen leidet mein Kleiderschrank unter akutem Bügel-Mangel, womit ich weder das Bügeln noch die Wäschemangel meine, sondern einen Mangel an Bügeln.

Ich werde meine Mitbewohnerin also erst gegen späten Abend wiedersehen, sodass ich die Gelegenheit habe, darüber zu sinnieren, wie es bloß dazu kommen konnte, dass ich so unfassbar toll geworden bin.

Ich spiele gerade „Quizduell“ gegen eine Person, die sich „Hermine“ nennt. Ich stieß auf sie, weil ich an sich eine ganz andere Person suchte, von der ich glaubte, sie würde dort „Hermine“ heißen, aber meine Erinnerung scheint mich da zu trügen. Nun spiele ich also gegen eine Fremd-Hermine, die meinem Selbstbewusstsein, das unerschütterlich ist, erheblichen Schaden zugefügt hat, da sie eine Runde nach der anderen gewinnt. Sie nennt mich also passenderweise „Ron“. An sich nicht unspannend, nicht zu wissen, wer dieser Mensch ist. Wir „chatten“ inzwischen miteinander und meine größte Sorge ist, dass es sich um eine, sagen wir mal, 70-jährige Dame handelt, mit der ich gerade versehentlich flirte. Schlimmer wäre es, es wäre ein zwölfjähriges Mädchen, aber den Anschein macht es nicht.

Via Messenger bekomme ich gelegentlich Status-Meldungen meiner Mitbewohnerin, während sie einkauft. Anfangs sind diese Nachrichten noch optimistisch, gegen späten Nachmittag erwarte ich immer knapper werdende Sätze, die mir verraten, dass es wohl nicht so gut läuft. Zwischendurch werden auch Fotos aus Umkleidekabinen kommen, mit etwas Glück sogar anzügliche. Sie wird mir Kleidungsstücke präsentieren, die ich dann zu beurteilen habe. Ich werde zurückschreiben: „Muss ich im Tageslicht sehen.“ Oder: „Du kannst alles tragen.“ Oder: „Du kannst wohl doch nicht alles tragen.“

Ich nutzte den Vormittag für einen Besuch von Lara. Lara ist meine Nachbarin, die zwischenzeitlich tot war, sich aber nun doch bester Gesundheit erfreut. Sie kam gerade wie ich zurück aus ihrer Heimat, wo sie mit ihren Eltern Weihnachten gefeiert hat.

„Lara, findest du mich auch so toll wie ich mich?“

„Was ist los?“

„Hand aufs Herz. Wie toll kann jemand eigentlich sein? Doch wohl kaum so toll wie ich?!“

„Sebastian, ich verstehe dich manchmal nicht.“

„Lara, es ist doch ganz einfach. Niemand vor dir hat so schnell gemerkt, wie toll ich bin! Ich meine, was für eine umwerfende Persönlichkeit ich bin!“

„Ich kenne Männer, die sind toller als du, um ehrlich zu sein.“

Das überschritt meinen Horizont.

„Wie?“

„Ich stehe auf Typen mit Muskeln.“

„Lara, ich habe nur elf Prozent Körperfett! Ich bin 89 Prozent Muskelmasse. Ich bin ein wandelnder Muskel!“

„Wäre schön, wenn man das auch sehen könnte.“

„Soll ich mich ausziehen?“

„Nein. Ich will das Jahr unbeschadet abschließen.“

Lara wollte einfach nicht einsehen, dass ich ein top Mensch bin. Mit einer der toppesten. Also ging ich wieder: „Ich komme zurück, wenn du einsiehst, dass ich toll bin.“

„Wenn du schon einen Superlativ brauchst: Du bist einer der komischsten Menschen, die ich kenne.“

„‚Komisch‘ verunsichert mich immer. ‚Komisch‘ im Sinne von kauzig?“

„Geh‘.“

Ich ließ mich noch zweimal bitten und ging dann. Um meine Mitbewohnerin darüber zu informieren, dass Lara nicht einsehen will, wie toll ich bin.

„Sag‘ ich doch. Es gibt tollere, aber man kann eben auch als Frau nicht jeden haben.“

„Ach, du schon. Aber probier’s nicht aus. Das theoretische Wissen darum muss genügen.“

Ich ging in die Küche, wo Gott saß. Er war gekommen, um zu sehen, ob er die Waschmaschine reparieren könnte.

„Da ist wirklich was kaputt. Soviel steht schon mal fest. Aber ich bin kein Fachmann. Kauf‘ ’ne neue.“

„Gott, mal was anderes. Als du mich geschaffen hast: Warum hast du da so völlig auf Defizite verzichtet?“

„Habe ich nicht. Du musst nur die Richtigen fragen. Du bist voller Defizite, mein Freund. Dein größtes ist wohl das, dass du deine Defizite nicht bemerkst.“

„Vielleicht ist mein größter Fehler, dass ich frei von Fehlern bin. Du hast Recht. Das macht mich menschlich. Dass ich keine Fehler habe.“

Gott geht mit den Worten: „Ich gehe nun in die Kirche. Ich werde für dich beten. Obwohl ich nicht gläubig bin.“

In unserer Gegend wohnt die „verrückte Hundefrau“. Sie ist leider wirklich etwas verrückt und hat einen Hund. Da sie vermutlich auch sehr einsam ist, sitzt sie tagsüber immer mit ihrem übrigens ebenfalls durchgeknallten Pudel auf einer Mauer an der Straße und bepöbelt Hund und Passanten im Wechsel. Aber sie tut nichts, sie ist nur unheimlich und man macht sich nur aus Respekt dem Menschen an sich gegenüber nicht über sie lustig. Ich kann auch nicht einschätzen, ob sie mich kennt, also wiedererkennt. Dennoch gehe ich zur ihr rüber und frage sie:

„Sie haben doch sicher einen Blick für Dinge, die andere nicht sehen, oder?“

„GEH‘ NACH HAUSE! MUTTER MUSS KINDER ZÄHLEN!“

Das sagt sie immer. „Mutter muss Kinder zählen“.

„Ich war zuhause, sie zählte bis zwei und hatte damit alle. Sehen Sie, warum ich so toll bin? So unmenschlich toll?“

„WATT WILLSU SEIN?!“

„TOLL!“

Sie wendet sich ihrem Pudel zu und schreit ihn an. Der kennt das offenbar und reagiert nicht. Ich wette, der Pudel sieht genau, wie toll ich bin, kann aber nicht sprechen. Auf dem Heimweg gehe ich bei unserem Kiosk vorbei. Ich bin großer Fan der dort Arbeitenden, weil es sehr nette Typen sind. Den einen von ihnen findet meine Mitbewohnerin auffallend sympathisch, was mich skeptisch macht. Ich hoffe also, auf den anderen zu treffen, den wiederum ich sehr sympathisch finde, man kennt sich inzwischen ein wenig.

„Was darf es sein? Wie immer?“

„Heute nicht. Anderes Anliegen. Es mag etwas unbescheiden klingen, aber warum bin ich so toll?“

„Bist du nicht. Du kaufst hier immer nur Dinge, an denen ich kaum verdiene. Deine Mitbewohnerin [die er natürlich so nicht nennt, sondern anders] kauft gewinnbringender ein.“

„Du kennst ihr Einkaufsverhalten nicht. Heute geht sie shoppen. Sie wird im besten Fall mit leeren Tüten wiederkommen. Dabei gewinnt niemand. Am wenigsten ich.“

„Vielleicht erzählt sie dir nur, sie sei shoppen und trifft sich vielleicht mit ’nem anderen!“

Uh. Das würde ihr permanentes erfolgloses Shoppen erklären.

„Vermutlich bin ich ihr zu toll. Fehler und kleine Macken machen einen Menschen erst liebenswürdig. Da ich frei von diesen Dingen bin …“

„Bist du nicht liebenswürdig.“

Verdammt. Das hat man davon, dass man so ausgesprochen toll ist. Vorsatz für 2016: Mehr Egoismus, mehr Gefühlskälte, Kioskbesitzer bestehlen, Mitbewohnerin betrügen und dadurch attraktiver werden, Waschmaschine kaufen, Hundefrau umbringen, Hund an Raststätte anbinden, Texte nicht unerwartet zuende


Von einem Besuch meiner Facebook-Vertretung rate ich ab.

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