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Es wird hier nicht um Migrations-/Flüchtlingspolitik, nicht um die Silvesternacht in Köln  und auch nicht um das Für und Wider von Publikationen der „Springer“-Presse gehen, zu der ich ein gespaltenes Verhältnis habe, obwohl ich die Zeit der 68-er gar nicht miterlebt habe, aber irgendwie damit aufwuchs, dass „Springer“-Postillen irgendwie schlecht seien und außerdem habe ich seit 20 Jahren den „Spiegel“ im Abo, der sich natürlich mit „Springer“ gar nicht vertragen kann. Und wer die „Bild“ und einen „Nachrichten“-Sender im Portfolio hat, der relativ wenig Nachrichten zeigt, dafür aber unzählige Ami-Dokus, muss sich nicht wundern, wenn er kritisch beäugt wird. Und dennoch erwarb ich heute nach dem Absolvieren eines lustigen „Trimmdich“-Pfades eine „Welt am Sonntag“ bzw. „WeLT“, wie es nun heißt. Aber auch nur, weil ich seit Donnerstag erfolgreich keine „Zeit“ finde. Und da las ich heute Mittag am neu eingeführten Frühstückstisch einen humorigen Artikel über einen offiziellen Leitfaden für Flüchtlinge aus der Feder der hochgeschätzten „Zentrale für politische Bildung“. Dieser Leitfaden, der von sämtlichen Verbänden absolut akzeptiert ist, ist eine hervorragende Angriffsfläche für Gutmenschen und Toleranzapostel, die sich gerne schnell echauffieren, um jedem gewaltsam zu zeigen, wie unfassbar tolerant er ist. Ich kotze. Daher soll es auch gar nicht um eine Bewertung dieses Leitfadens gehen, den ich hier ja nur als Tertiärliteratur vorliegen habe. Ich finde einfach nur lustig, was dort drinsteht, denn beim Lesen des ihn zitierenden Artikels der „Welt am Sonntag“ dachte ich: „Den könntest du geschrieben haben!“ Also ich.

„Ankommen“ heißt der Leitfaden, in dem es zum Thema Privatsphäre heißt:

„Sie ist den Menschen in Deutschland wichtig. Das kann manchmal distanziert wirken. Es ist vollkommen normal, stundenlang im Zug oder Restaurant neben Fremden zu sitzen und nur ‚Guten Tag‘ oder ‚Auf Wiedersehen‘ zu sagen“.

Find‘ ich super! Da sehe ich mich! Natürlich, ich hab‘ nichts dagegen, von beispielsweise schönen Frauen angesprochen zu werden, die mehr als „Hallo“ sagen, da bin ich sofort dabei! Wie geil ist es, dass man schreibt, es sei vollkommen „normal“, stundenlang im Grunde das Gegenüber nicht zu beachten? Hahaha, find‘ ich grandios. Das ist komisch! In einer Menschenmasse kann ich das nachvollziehen, aber wenn ich mir vorstelle, mit jemandem alleine in einem Zugabteil zu sitzen, muss es doch irgendwann selbst mit mir zu einem Gespräch kommen. Ich saß mal auf einer Rückreise von München in einem Abteil mit einem Amerikaner, dere stolz seinen Koffer öffnete, um mir zu zeigen, was er alles aus seinem Hotel geklaut hat. Er freute sich wie ein Kind, sodass ich mich mit freute und wir gemeinsam die Mini-Bar seines Hotelzimmers leerten. Im Zug.

Aber grundsätzlich kommt mir obiger Rat absolut entgegen und auch dieses finde ich nicht befremdlich:

„In der Öffentlichkeit (besonders im Bus oder im Zug) wird es als unhöflich angesehen, laute Gespräche zu führen. Man spricht oder telefoniert eher leise, um andere Leute nicht zu stören.“

Letztens noch erlebt auf der Rückreise an Neujahr. Kann ich nicht ab. Macht mich sogar aggressiv. Ich selber telefoniere auch höchst ungern im Zug, da ich erst gar nicht möchte, dass mir jemand zuhört, wenn es nicht gerade derjenige am anderen Ende der Leitung ist. Also spreche ich gedämpft ins Handy. Das aber – obwohl wir ja inzwischen von Gesprächen in „HD-„Qualität sprechen – führt dazu, dass der Gesprächspartner einen nicht versteht. Also tut man, was nur Männer können: flüsternd schreien. Frauen können das nicht, Frauen können grundsätzlich nur laut. Männer beherrschen es dagegen, im Flüsterton zu rufen. Freilich verstehen kann man das nicht. Aber es geht. Das wird viel zu selten honoriert.

Der Umgang der Geschlechter untereinander ist ebenfalls Thema im Leitfaden, der – ob er will oder nicht – eine gewisse Leitkultur formuliert. Kommentare zu diesem Thema werde ich nicht freischalten, ich kann den ganzen Scheiß inzwischen nicht mehr sehen, alles zu vorhersehbar. ;)

„Lächeln wird üblicherweise nicht direkt als Flirten interpretiert, auch dann nicht, wenn man mit Fremden spricht. Die Menschen versuchen normalerweise einfach nur, freundlich zu sein.“

„Versuchen“, hehe. Abgesehen davon, dass man das über den Deutschen an sich selten hört, muss ich mir diesen Satz einprägen, denn wie oft habe ich selber schon ein Lächeln als Flirten missgedeutet?! Oft. Ich lächle übrigens auch. Nur sieht der Belächelte dieses nie, da es zwischen meiner Mimik und meinem Gehirn ein Missverständnis zu geben scheint. Ich selber stelle das oft auf Fotos fest, auf denen ich irendwie dumm, teilnahmslos und unfreundlich dreinblicke. Dabei war ich davon überzeugt, zumindest im Moment des Auslösens der Kamera doch wenigstens künstlich gelächelt zu haben. Die Realität ist oftmals eine andere. Ich entsinne mich einer Szene aus meinem Studium, Wirtschaftspolitik. Eine Kommilitonin hielt ein Referat und ich entschied in dem Moment, sie offensiv anzuflirten mittels Lächeln. Hinterher fragte sie mich, warum ich sie so böse angeguckt hätte, ob mit mir etwas nicht stimmen würde. Offensichtlich nicht und natürlich hat es mit der Dame dann auch nicht geklappt, sie ist heute irgendwie Buch-Kritikerin bei der „F.A.Z.“, hat es also weit gebracht wie alle, hinter denen ich mal erfolglos her war. Zieht sich irgendwie durch mein Leben. Ich könnte mir vorstellen, dass die Mädels damals froh waren, wenn ich hinter ihnen her war, weil sie dann sicher sein konnte, dass aus ihnen mal was wird. Zahlreiche Beispiele pflastern meinen Lebensweg, kein Witz. Ich bin ein Erfolgsgarant, auch wenn ich selber dabei auf der Strecke bleibe.

Inzwischen habe ich aber einen Gesichtsausdruck drauf, der wirklich nach Lächeln aussieht. Viel Übung hat da helfen können.

„In Deutschland sind öffentliche Liebesbekundungen von (heterosexuellen sowie homosexuellen) Paaren nicht ungewöhnlich. […] Dies ist akzeptiert und sollte nicht weiter beachtet werden.“

Häkchen dran, was soll man dazu sagen? Klar. Allerdings, wieder Uni-Zeit, hatte ich mal eine Kommilitonin, dieses Mal war’s ne andere und das Fach Soziologie, die etwas gegen diese Offenheit hatte. Ich erinnere mich, wie wir in der Nähe eines Pärchens standen, das ineinander verschlungen war und nur aufgrund der Anzahl der Arme überhaupt als zwei Menschen identifiziert werden konnte. Meine platonische Freundin war regelrecht erbost über diese Zurschaustellung der Zärtlichkeit, was wiederum mich völlig befremdet, sogar irritiert und nachhaltig abgeschreckt hatte. Jene Freundin hatte auch gerne versucht, mich zu „erziehen“, mir Dinge vorzuschreiben und Verhaltensweisen abzugewöhnen, was vermutlich bei jedem, bei mir aber in jedem Fall, nach hinten losgeht, ich mach’s dann erst Recht und lasse mir nichts sagen.

Was würde jene Freundin zu diesem Satz aus dem Leitfaden für Gäste in Deutschland nun sagen? Ob sie heute Wutbürgerin ist?!

Ich mag den Sommer auch deshalb, weil die Damenwelt auf das Gros ihrer Kleidung verzichtet, ich also gucken kann. Und ich unterstelle, die ein oder andere zeigt auch gerne und einige haben auch etwas zu zeigen. Und ich gucke, auch wenn es im Leitfaden heißt:

„Es ist unhöflich, diese Menschen für längere Zeit anzusehen.“

Nun, es gibt verspiegelte Sonnenbrillen. Und was heißt „längere Zeit“? Sind viele kurze Zeiträume mit Unterbrechungen schon als „längere Zeit“ zu betrachten?! Wir sind alle sexuelle Wesen, natürlich gucken wir.

Ein weiterer Satz aber hat mich schockiert: „Männer und Frauen in Deutschland [genießen] gleiche Rechte.“ Nun, stimmt das? Wohl kaum. Männer werden inzwischen massiv diskriminiert.

Abschließend mein Lieblingssatz aus den mir bekannten Empfehlungen des Wegweisers:

„Gewalt ist in Deutschland ebenfalls verboten.“

Haha, abgesehen davon, dass Gewalt hoheitlichen Stellen natürlich erlaubt ist, finde ich den Satz einen Kracher. Denn er ist auch für mich neu.

Kaum minder lustig noch dieses:

„Deutsche trennen ihren Müll und verwenden ihn wieder.“

Der bedarf einer Erklärung, ansonsten verliert man doch an dieser Stelle jeden Respekt vor dem deutschen Menschen, der ja scheinbar (Las letztens über den Unterschied zwischen „scheinbar“ und „anscheindend“. Das ist eine Sensation, über die man nie so nachdenkt. Ich lasse Euch damit aber nun mal alleine, benutze aber hier ganz bewusst „scheinbar“.) völlig irre im Kopf gerade getrennten Müll wieder benutzt. Aber er tut’s ja auch!

„Selten werfen sie ihren Müll einfach auf den Boden – weder in der Stadt noch in der Natur.“

In diesem Punkt richtet sich der Leitfaden offenbar explizit an Deutsche. Denn ich lebe in einer erschreckend zugemüllten Stadt.

Guten Abend.


Quelle: http://www.welt.de/print/wams/politik/article150814283/Man-spricht-oder-telefoniert-eher-leise.html


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