IMG_0105Düsseldorf Flingern, 2010, beim Laufen

Dieser Beitrag demonstriert sehr anschaulich, wie ich beginne, über etwas zu schreiben und dann völlig abweiche, da sich schon während des Schreibens meine Stimmung massiv ändert.

Ich bin ein großer Freund des Sommers und sofern man unter klimatisierten Bedingungen arbeiten kann, auch großer Hitze. Gerade beim Laufen. Ich freue mich jetzt schon auf den Frühling, der für mich das optimale Lauf-Wetter bedeutet, meist auch die Zeit im Jahr ist, in der ich meine Tempo- und Streckenrekorde laufe.

Die mieseste Laufzeit ist die unmittelbare Phase vor dem Frühling, wenn das Wetter irgendwie herbstlich sich gestaltet, die Luft feucht ist und zumindest bei mir das Laufen erschwert. Und ich will ja nicht sagen, dass „früher“ die Winter mehr Winter waren als heute, aber blicke ich in meine Lauf-Tagebücher der zurückliegenden 13 Jahre, so stelle ich fest, dass ich für diesen Winter bislang die wärmsten Temperaturen verzeichnet habe und noch nie kam es vor, dass ich während der Weihnachtsfeiertage in kurzer Hose und T-Shirt lief.

Ich hätte es nicht für möglich gehalten, aber ich vermisse die Läufe bei Minusgraden. Ich erinnere mich an einen Lauf, es könnte 2009 gewesen sein, als ich bei minus zwölf Grad lief. Da ist es fast egal, wie viele Schichten man an seinen Körper anlegt, Füße und Hände sind die ersten Minuten völlig kalt und gerade die Atmung wird schwer. Ich war nach 30 Minuten durch, fand es aber unfassbar geil. Im Sommer freut man sich schon während des Laufens auf literweises Wassertrinken, im Winter freut man sich eben auf die literweise heiße Dusche danach. Extrem-Wetterlagen braucht es beim Laufen, sie machen die Abwechslung aus. Doch bislang hielt der Herbst an mit seiner eher feuchten Luft, bei der ich nicht ansatzweise an meine Rekordzeiten rankomme. Gerade versuche ich es mit Intervall-Läufen, deren letztes Intervall ich bis zur Erschöpfung, bis mir regelrecht schlecht ist, ausreize. Um dann nach Auswertung meiner „TomTom“-GPS-Uhr festzustellen, dass es wieder nicht für Rekordnähe gereicht hat. Und irgendwie will ich nicht begreifen, dass es jeden „Winter“ sich so verhält. Umso überraschter darf ich dann im Frühling sein, wenn ich ohne Not plötzlich wieder Bestzeiten realisiere.

Seit einigen Tagen sinkt die Temperatur, auch wenn es hier noch regnet, und es fühlt sich ein bisschen nach Winter an. Und so langsam kommen auch wieder die Temperaturen, bei denen ich mich frage, ob Handschuhe vielleicht doch eine gute Idee wären, aber da ich noch nie mit Handschuhen gelaufen bin, fange ich auch nicht damit an; da bin ich gewohnt stur. Zumal nach rund zehn Minuten die Finger warm sind. Und irgendwie muss ich ja meinen „iPod“ bedienen.

Das Laufen bei Hitze hat bei mir, ich schrieb darüber, Orgasmus-Qualität. Laufen bei trockener Kälte hat hingegen etwas Meditatives. Hängt vielleicht auch von der Stimmung ab. Derzeit dröhne ich mich beim Laufen mit Musik aus meiner Jugend zu:

Wie das so ist mit Musik aus alten Tagen, man verbindet etwas damit. Mit den „Bates“, deren Sänger leider unglücklich starb, verbinde ich eine verflossene Liebe, aber auch irgendwie orientierungslose Jugendzeit. Ein Grund, warum ich meine Jugend – sie war nicht übel – nicht vermisse. Heute ist eben alles besser. Allerdings vermisse ich die Neunzigerjahre an sich. Man realisiert ja im Fluss der Zeit nicht, wie selbe sich verändert. Wir hatten keine Handys! Ich fand’s besser. Aber ich schaffe meines deshalb nicht ab. Politisch fand ich’s auch besser. Momentan erleben wir eine unruhige Zeit, weil zuviele ungebildete Spinner (und ich halte mich weißgott nicht für schwerst gebildet) Vorurteilen erliegen, die man nicht mehr für möglich hielt. Wieder suchen da einige Sündenböcke und lassen ihre Wut an den Falschen aus. Wieder drohen wir, blind in eine ganz miese Arschfotzenscheiße reinzurutschen. Und nachher wird man feststellen: Anfang des Jahrtausends, da ging es los, da veränderte sich die Stimmung.

Und man wird es wieder besser wissen. Warum muss jede zweite Generation die Fehler der vorletzten wiederholen? Wir wissen doch im Grunde, wohin das alles führen kann, wenn sich da eine Spirale der Doofheit in Gang setzt. Vielleicht genau der richtige Zeitpunkt für die Veröffentlichung der kommentierten Ausgabe von „Mein Kampf“. Liebäugele mit dem Erwerb dieser, habe bislang einige Ausschnitte lesen können, wobei natürlich die Kommentare das Entscheidende sind. Wie leicht dieser Irre zu entlarven ist. Wie er sich in Widersprüche verstrickt! Wie er seine eigene Vergangenheit konstruiert und gnadenlos verfälscht. Unfassbar.

Das sind so Gedanken, die einem bei einem winterlichen Lauf kommen, wenn man dann auch noch die für einen richtige Musik hört. Man schaltet komplett ab, isoliert sich von der Umgebung und findet sich in seinen Gedanken wieder. Im positiven Sinne. Da man vermutlich nie klarer denken kann als beim Laufen. Das macht den Reiz aus. Es geht beim Laufen nicht, wie immer wieder unterstellt, ums Abnehmen. Es hat, so albern es klingt, etwas sehr Meditatives. Man muss allerdings aufpassen, dass man die Autos nicht übersieht.

Um noch einen draufzusetzen auf meine Melancholie: Vor vier Jahren noch wohnte ich neben einem Wald, dem Düsseldorfer Stadtwald oder auch „Grafenberger Wald“. Meine Arbeitszeiten damals bedingten, dass ich schon um sechs Uhr morgens lief. Nicht ganz ohne Angst lief ich dann winters durch den Wald, in dem es angeblich Wildschweine geben soll. Sobald ich ein Rascheln hörte in der völligen Dunkelheit nur durchbrochen von meiner Stirnleuchte, legte ich einen Zahn zu, da für mich klar war: WILDSCHWEIN! Und nun ist das Schöne an jenem Wald, dass er im Grund ein kleiner Berg ist. Und sobald man oben war, hatte man Ausblick auf den morgendlichen Sternenhimmel. Dann die richtige Musik, Freunde, da geht das einem schon nahe.

Irgendwann geriet ich mal vom Weg ab, fand mich im Geäst und einer Herde von Rehen wieder. Die gibt es dort auch außerhalb des Wildparks. Was den Wildpark in Frage stellt. Egal. Da geht einem dann die Pumpe, da das Getrampel der Herde schon beeindruckend laut ist. Und denen geht auch die Pumpe. Alle Beteiligten also verfallen in eine gewisse Panik und rennen weg. Versehentlich lief ich erst mit ihnen mit, wechselte dann die Richtung. Dunkler Wald morgens um sechs ist schon beeindruckend.

Tja, das macht Laufen bei melancholischer Stimmung mit einem. Morgens um zehn.


Ganz melancholisch wünsche ich einen angenehmen Tag. Verunglückt nicht im Schnee, ich brauche jeden Leser. Auch bei Twitter!

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