„Meyer-Bohde“ ist nicht nur der Name einer nahezu unbekannten Puppe aus der „Sesamstraße“, sondern auch der des dazugehörigen Puppenspielers. Für Neuleser muss ich auf den Prolog dieses Artikels verweisen.

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Meyer-Bohde ist vermutlich tatsächlich der traurigste Puppenspieler dieser Welt. Etwa 4.000 Puppenspieler gibt es noch in Deutschland, nur die wenigsten gehören zu der Spitze, die in den vergangenen Jahrzehnten das Kinderfernsehen geprägt haben und sich einen Namen machen konnten. Dieses blieb Meyer-Bohde verwehrt. Seine Faust steckte in einer Puppe, die sich weder bewegen noch sprechen durfte und überdies in der Sesamstraße der späten Siebzigerjahre kaum im Bild war. Nur eingefleischte Hardcore-Fans, die nicht gleichzeitig Fans von Hardcore-Pornos sein müssen, was sich aber auch nicht ausschließt, wissen genau, in welchen Episoden die Figur Meyer-Bohde auftaucht.

Während sogar der Puppenspieler von Herrn von Bödefeld, der im Laufe der Zeit seinen Platz räumen musste, eine gewisse Bekanntheit erlangte, blieb es um Meyer-Bohde still. Gegen Ende vergangenen Jahres traf ich Meyer-Bohde, der sich bislang den Medien verschlossen hatte. Ein Gespräch.


Ich: „Meyer-Bohde“ – wenn man diesen Namen hört, sagt der einem erst einmal nichts. Obwohl Sie in rund 100 Folgen der Sesamstraße mitgewirkt haben.

Meyer-Bohde spricht über eine Handpuppe zu mir, da er nach dem Mord seiner Frau, deren Mörder er selbst war, die Sprache verloren hat, sich aber über seine Puppen durchaus noch artikulieren kann. Ein psychologisches Problem, das ich hier nicht werde lösen können.

Meyer-Bohde: Das ist okay, solange man nichts geleistet hat. Ich hingegen war Teil der Sesamstraße, ein völlig unterschätzter, was man mir auch damals schon deutlich gemacht hatte. In Deutschland gibt es den Hang dazu, seine großen Stars nicht zu feiern, sie eher schlechtzureden.

Meyer-Bohde hält sich für einen Star. Hier fällt es mir schwer, ernst zu bleiben, erinnere daher an mein eigenes Schicksal.

Ich weiß, ich bin selber Teil eines unterschätzten Ensembles … Wie genau sah damals Ihr Dreh für eine Folge der Sesamstraße aus?

Der Teil des Drehbuches, der für mich relevant war, war übersichtlich. Ich saß hinter der Kulisse mit der Hand in meiner Figur „Meyer-Bohde“, der ein Maulwurf war und durch ein Fenster in das Set der Sesamstraße hineinguckte.

Hier muss ich einhaken: Nicht wenige hielten Sie und Ihre Figur für Spitzel der DDR, für einen Stasi-Spitzel.

Wegen „Maulwurf“?! Was für ein billiger Gag, den Sie nacträglich ins Interview eingefügt haben, um es zu pimpen … Ich schlug von Anfang an einen Maulwurfshügel vor, allerdings war die Bühne der Sesamstraße nicht unterkellert, sodass das technisch nicht umsatzbar war. Ich allerdings meine, es hätte der Figur mehr Relevanz gegeben. Der Dreh für eine 28-minütige Folge dauerte etwa 15 Stunden. Ich musste die gesamte Zeit hinter dieser Wand hocken. Kein Maulwurf sitzt 28 Minuten still hinter einer Wand. Das war völlig realitätsvergessen.

Wussten Sie immer, wann Sie, also Ihre Figur, im Bild war?

Nein, es konnte jederzeit passieren. Und genau das erforderte eine ungeheure Konzentration meinerseits. Pro Folge war ich etwa fünf Sekunden im Bild. Nicht am Stück. Gesamt.

Eher wenig.

Das würden Laien so sehen, ja. Aber es waren für die Handlung entscheidende Sekundenbruchteile. Geriet die einmal ins Stocken, wurde Meyer-Bohde ins Bild genommen.

Ihre Ausbildung zum Puppenspieler hat etwa drei Jahre gedauert. Wurde Ihr Talent vollumfänglich in der Sesamstraße abgerufen?

Nein. Ich durfte nicht reden, mich nicht bewegen. Kollegen, die beispielsweise Samson oder Tiffy gespielt haben, hatten nur Spott für mich übrig.

Die Figur der Tiffy wurde aus der Serie gestrichen. Im Puppenspieler-Umfeld heißt es, Sie steckten dahinter.

Achja, Herr Flotho, sehen Sie, das ist dann natürlich der Neid. Tiffy musste gehen, angeblich wegen einer Reparatur der Puppe, die nur in den USA durchgeführt werden konnte.

Es heißt, Sie hätten die Puppe aufs Übelste geschändet.

Das soll man mir erstmal beweisen.

Es gibt Kameraüberwachungsbilder, die allerdings sehr undeutlich zeigen, wie jemand Ihrer Statur mit dem Auto mehrfach über Tiffy herüberrollt.

Das könnte auch Samson gewesen sein. Dass der ein Problem mit Frauen hatte, war ja wohl offensichtlich. Ich kenne diese Kamera-Bilder, man konnte mir aber nichts nachweisen.

Unter Puppenspielern gibt es eine große Solidarität, wenig Neid, heißt es. Ein ehrbarer Beruf. Können Sie das bestätigen?

Nein. Mir gegenüber verhielt man sich nicht korrekt. Kabelträger haben während der Aufzeichnungen die Kabel um meinen Hals gelegt, wollten ein Erhängen andeuten, wollten mich aus der Ruhe bringen. Der Aufnahmeleiter hat regelmäßig meine Puppe kurz vor Aufzeichnungsbeginn unten zugenäht, damit ich sie nicht spielen kann, die Aufzeichnung sich verzögert. Ich wurde regelrecht gemobbt.

Herr von Bödefeld hatte es sogar zum „Bravo“-Starschnitt gebracht. Samson war bei Kindern beliebt, Tiffy bei Lilo und mit Finchen hatte ohnehin jeder Mitleid. Ihre Puppe hingegen wurde von der Masse gar nicht wahrgenommen. Was hat das mit Ihnen gemacht?

Nun, zunächst einmal steht der Puppenspieler hinter der Puppe, im Hintergrund. Es geht nicht um ihn. Doch wenn nach Jahren diese Kunst noch immer nicht anerkannt wird, nagt das an einem. Man fragt sich, woran liegt es? An einem selber? Letztlich hat es meine Ehe gefährdet, da ich diese Probleme mit nach Hause genommen hatte.

Und da erreichten Sie erste Berühmtheit, im großen „Puppenspieler-Mordprozess“. Die Justiz hat nachgewiesen, dass Sie Ihre Frau umgebracht haben. Sie aber haben damals behauptet, es sei Ihre Puppe gewesen, Ihr „Meyer-Bohde“. Sie werden verstehen, wenn man Sie ab diesem Zeitpunkt nicht mehr ernstgenommen hat.

Gute Puppenspieler werden eins mit ihrer Puppe. Die besten Puppenspieler vermögen es hingegen, ihre Puppe zu einem Eigenleben zu erwecken. Mir gelang das. Nicht ich, sondern meine Puppe tötete meine Frau. Absichtsvoll mit einem niederen Motiv. Also es war Mord. Das habe ich nie abgestritten. Heimtückischer Mord.

Ihre Frau wurde am Morgen des 23. Junis 1983 ertickt im Samson-Kostüm aufgefunden.

Ja. Meine Puppe hatte sie dort eingenäht und jeder Puppenspieler wusste, dass man nach etwa vier Stunden im Samson-Kostüm keine Luft mehr bekommt. Das wusste auch meine Puppe.

Sie haben Ihre Strafe in meiner Heimatstadt Münster abgesessen. In der Gartenstraße. Wo war da Ihre Puppe?

Auf freiem Fuß. Blanker Hohn der Justiz.

Sie kamen vorzeitig frei, nachdem Sie im Knast die Mitinsassen mit Puppentheater, sagen wir mal, genervt hatten.

Es ist eben alles, was ich kann. Als ich draußen war, habe ich meine Puppe „Meyer-Bohde“ eingesperrt. 15 Jahre lang. Lebenslänglich. Sie hat ihre Strafe verbüßt.

Meyer-Bohde bricht hier in Tränen aus und es entgeht mir nicht, dass er Mitleid mit seiner Puppe hat. Er hat sie mitgebracht und ich bitte ihn, sie aus seinem Koffer zu holen. Auch, wenn ich natürlich weiß, dass es lediglich eine Puppe ist, macht sie mir nun doch Angst, da ich zugeben muss, in ihr den Mörder Meyer-Bohdes Frau zu sehen. Er holt sie heraus und ich tue so, als würde ich sie wieder erkennen, kann mich aber partout nicht an einen Auftritt von ihr in der Sesamstraße erinnern.

Ah! Da ist sie ja! Sieht aus wie eh und je! Die Freiheitsstrafe ist offenbar spurlos an ihr vorbeigegangen!

Danke, Herr Flotho. Sie war in der Reha. Also beim Puppendoktor, wenn man so will. Wir haben uns versöhnt.

Ich muss dennoch an dieser Stelle – ich war ja mal sowas wie „Journalist“ (haha) – nachhaken: Was war eigentlich das Mordmotiv?

Wissen Sie, meine Frau war 20 Jahre jünger als ich. Ich lernte sie kennen, als sie im Publikum eines Puppenstücks saß. Sie hatte meine Kunst sofort liebgewonnen. Als sie dann volljährig war, heirateten wir. Das ist die Kurzversion. Jedenfalls brach es meiner Puppe irgendwann das Herz, als meine Frau es meinen Puppenspieler-Kollegen gleichtat und mich nicht mehr ernstnahm. Weil ich eine Puppe bediente, die weder reden noch sich bewegen durfte. Ja, ich war der traurigste Puppenspieler der Welt.

Was natürlich ganz klar ein moralisch gerechtfertigtes Mordmotiv ist.

Ich höre Ihre Ironie genau heraus, Herr Flotho.

Das Puppentheater in Deutschland hat ja nicht mehr so den Stellenwert wie noch vor 20 Jahren. Und auch Sie, Herr Meyer-Bohde, sind ja auch nicht mehr der jüngste. Dennoch wollen Sie neu durchstarten?

Ja. Ich denke, dass gerade jetzt das hiesige Kinderfernsehen wieder reif ist für das gute, alte Handwerk. Haben wir uns nicht alle satt gesehen an dem animierten Kram?

Also ich nicht.

Sie sind ja auch kein Kind, nicht die Zielgruppe.

Obwohl es doch bald bei RTL so eine Puppenspieler-Castingshow geben soll. Stimmt es, dass Sie zunächst in der Jury sitzen sollten?

Ja. Was läge auch näher. Das Problem ist jedoch, dass ich lediglich mit einer Puppe auf meiner Hand sprechen kann. In den ersten Probeaufnahmen wirkte das etwas unnatürlich und das wollte man dem RTL-Zuschauer nicht zumuten.

Dann wollten Sie ins „Dschungelcamp“, war kürzlich zu lesen.

Richtig. Das startet im Januar und meine Teilnahme scheiterte daran, dass ich lediglich mit einer Puppe auf meiner Hand sprechen kann. In den ersten Probeaufnahmen wirkte das etwas unnatürlich und das wollte man dem RTL-Zuschauer nicht zumuten. Außerdem hätte die Puppe bereits als „Luxusgegenstand“ gegolten, derer man ja nur zwei mitnehmen darf. Das schien mir ungerecht zu sein. Dafür wird, das verrate ich hier einfach mal, Thorsten Legat nachrücken, der übrigens, jetzt wird die Logik etwas strapaziert, nichts anderes ist, als eine Handpuppe, in dem ein sprachbegabter Puppenspieler steckt. Mein Sohn: Gerd Meyer-Bohde. Er tritt in meine Fußstapfen.

Gut, das wird nun alles etwas abwegig. Herr Meyer-Bohde, daher abschließend: Was sind denn Ihre Pläne für das bald anbrechende neue Jahr?

Ich kehre zurück mit meiner alten Figur „Meyer-Bohde“ und man wird mich zunächst in Fußgänger-Zonen erleben dürfen. Ich fange ganz unten wieder an.


Und das seppolog, das sich für dieses exklusive Gespräch bedankt, wird Meyer-Bohdes Werdegang begleiten, sofern die Abrufzahlen dieses Artikels das rechtfertigen, woran ich erhebliche Zweifel habe. Gänzlich andere Inhalte finden wir nicht auf meiner Facebook-Seite!


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