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Ich habe keine Badewanne. Lediglich eine Dusche. In meiner „Wohnung“, die ich während meines Volontariats bewohnte, hatte ich eine „Sitzbadewanne“, In der man irgendwie nicht richtig baden, aber auch nicht richtig duschen konnte. Aber sie war aus unerfindlichen Gründen nicht übel und ein Modell der Marke „Batel SitTub“. Ich habe sie später sogar vermisst, das Produkt kann ich nur empfehlen. Vielleicht, weil man sich beim Duschen/Baden ausruhen kann. Ließ man sie, nicht sich, volllaufen, konnte man auch ein Nickerchen machen, da man nicht zu ertrinken drohte. Man saß ja. Überhaupt konnte man in diesem kleinen Badezimmer nicht viel mehr als sitzen. Es gab zwei Sitzgelegenheiten. Der Spülkasten der Toilette hatte später einen Riss, ich nehme an, ich habe da etwas zu rabiat geputzt. Ich bin dann schleunigst ausgezogen, um mich der Konsequenzen zu entziehen.

In dieser kleinen Wohnung kam es dereinst zu einem denkwürdigen Ereignis, dessen Realitätsgehalt mir nicht vollends klar ist. Ich neige zum Schlafwandeln, was nichts anderes ist als ein unangebrachter Aktionismus zur denkbaren Unzeit. Aber vielleicht war folgendes auch nur ein Traum: Ich entstieg des nachts meines Bettes, ging Richtung Bad, wo ich an der Wohnungstür vorbeikam. Die war – untypisch für mich und Wohnungstüren zu nächtlicher Zeit – geöffnet und davor stand mein unter mir wohnender Vermieter. Der im Übrigen extrem nett und fair war. Sehr guter Mann. Ähnlich spießig wie ich. In einem sehr angenehmen Sinne. Und auch nicht frei von Humor. Es kam zu einem Wortwechsel, aber ich sehe das alles nur schemenhaft vor mir und konnte bereits am nächsten Morgen nicht mehr klären, ob das real oder Traum war. Und fragen wollte ich ihn auch nicht.

„Herr Blöker, wollten Sie mich heute Nacht besuchen? Sie standen doch in meiner Tür, oder?“

„Herr Flotho, geht’s Ihnen gut?!“

Also bis heute ungeklärt. Und nun kam es gestern, als ich nach Hause kam, zu einem ähnlich seltsamen Fall, nur dass ich hellwach war, wenn auch körperlich schwer müde. Ich gehe ins Bart, um die Pomade aus meinem Bad zu waschen. Das ist immer das erste, was ich abends mache. Falls es jemanden interessiert. Bis zu dreimal muss ein Bart gewaschen werden, bis er sich dieses Zeugs entledigt hat. Vor mich hinredend, wie ich es immer tue, wenn ich alleine bin, blicke ich eingeseiften Gesichts in den Spiegel, um meine Schönheit zu begutachten und sehe hinter mir völlig unerwartet in meiner nicht vorhandenen Badewanne einen Herrn im Anzug sitzen, der sich gerade fröhlich die Pulsader aufschneiden wollte.

„Nicht so schneiden. Setzen Sie das Messer anders an“, riet ich ihm, „Oder wollen Sie nur einen Hilferuf absetzen?!“

„Nein, ich bin fest entschlossen.“

„Ja, aber hier? In meiner Wohnung?! Soll ich gleich nach getanem Werk die Polizei rufen und erklären, dass ein toter Mann in meiner ‚Batel‘-Badewanne liegt, den ich nicht kenne?“

„Du kennst mich, Sebastian.“

Wie es an solchen Stellen meine Art ist, wechsele ich ins Präsenz und überlege. Woher kenne ich ihn? Er kennt meinen Namen. Also tue ich, was man immer tut in diesen Situationen und täusche Erkenntnis vor:

„Ach! Du! Wie geht’s denn?“

Blöde Frage, will er sich doch gerade das Leben nehmen.

„Blöde Frage, will ich mir doch gerade das Leben nehmen.“

„Und nun erwartest du, dass ich nach dem Warum frage?“

„Es wäre angemessen.“

„Nein. Das ist mir zu billig. Sich hier in meine Wanne zu legen, auf die ‚Batel‘ zehn Jahre Garantie gewährt, und sich das Messer anzusetzen, nur damit ich mich nach dem Grund erkundige, finde ich zu, ich weiß nicht, demonstrativ. Zu gewollt.“

„Jetzt ist es aber nun einmal so. Also frag‘ mich, das Blut tröpfelt schon.“

„In meine Wanne! Was soll ich denn meiner Mitbewohnerin sagen, wenn sie gleich heimkommt und diese Szene vorfindet?! Ich mit eingeseiftem Bart und du in der Wanne.“

„Also wenn sich jemand völlig abwegige Geschichten ausdenken kann, dann ja wohl du!“

Und tatsächlich überlege ich in dem Moment bereits, wie ich das meiner Mitbewohnerin verkaufen könnte.

Mitbewohnerin, du wirst lachen, was sich hier gerade abspielt. Doch es ist anders, als du denkst. Bei dem toten Herrn hier handelt es sich um den Käse-Händler vom Markt vom Lessingplatz. Ich konnte dort gestern Morgen einen ordentlichen Rabatt auf Käse aushandeln. Da er sich dabei als zu entgegenkommend erwies, drohte ihm ein Verlustgeschäft, welches seinen Käse-Handel in eine Schieflage befördern würde. Er kam also eben vorbei, um mich zu bitten, ihm den Käse zurückzugeben. Nun hatte ich leider bereits, du weißt ja, ich bin großer Menschen-Freund, den gesamten Käse an Bedürftige gespendet. Also machten wir uns auf den Weg, um den Bedürftigen den Käse wieder abzunehmen. Die Bedürftigen hatten jedoch den Käse bereits nach Afrika verschiffen lassen, da sie dort ein Geschäft witterten, was ja absolut vertretbar ist. Angesichts dieses überraschenden Umstandes nahm sich der Käse-Händler noch hier vorort das Leben. Die Seife in meinem Gesicht erklärt sich durch den Umstand, dass ich mir jeden Abend, falls dich das interessiert …

Nein, das schien mir zu ausgedacht, das würde sie nicht glauben.

„Für die Konstruktion meiner Geschichte bräuchte ich ein paar Hintergrund-Informationen. Ich weiß wirklich nicht, wer du bist!“

„Ich bin dein Schicksal.“

Uh! Mein Schicksal halbtot in meiner Badewanne. Wie deutet man das nun so, dass man selber da nicht Schaden nimmt?

„Ist es ein gutes Zeichen, dass mein Schicksal mit Suizid-Absichten in meiner nicht vorhandenen Badewanne liegt?“

„Überleg‘ mal, Sebastian, wenn das ein gutes Zeichen wäre, was wäre dann ein schlechtes?“

„Wenn ich dort liegen würde!“, kombiniere ich messerscharf in der festen Überzeugung, dass mein Schicksal damit nicht gerechnet hat.

„Hm, damit habe ich nicht gerechnet. Das ganze Theater umsonst. Aber dieses ist doch die Art, auf die du dich umbringen würdest?“

„Sagen wir so, ich würde es auf eine wenig schmerzhafte Art versuchen. Aber wer so nahe dran ist, dem ist möglicherweise auch egal, wenn es weh täte. Grundsätzlich rate ich ab. Bedenke die Folgen für deine Hinterlassenen, die so genannten ‚Lieben‘.“

„Das ist richtig. Aber ich will dir sagen, warum ich das hier tue.“

„Ja, mit der Bitte um eine kurze Antwort, denn meine Mitbewohnerin dürfte gleich kommen. Und die Käse-Geschichte möchte ich nur im Notfall benutzen.“

„Welche Käse-Geschichte?!“

„Lies das kursiv Getippte oben.“

„Achso. … Nein, die wird sie dir nicht abnehmen. Also, ich liege hier, weil du Zwiesprache mit Gott hältst. Aber nicht mit mir. Das kann nicht sein. Du weißt, warum!“

„Weil ich nicht an einen Gott glaube? Weil ich glaube, dass Religion Ursprung allen Übels ist?“

„Ja, aber du glaubst ja an etwas.“

„Ah! Ja, an dich. An Schicksal. Ich halte mich für unfassbar rational, aber letztlich glaube ich an Schicksal.“

„Du glaubst nicht an einen Sinn des Lebens, woll?“

„Richtig. Dass wir hier sind, hat etwas damit zu tun, dass es sich biologisch so ergeben hat.“

„Ist das nicht deprimierend, keinen Sinn im Leben zu sehen?“

„Das sage ich ja gar nicht. Nur, dass es lediglich Zufall ist, dass wir hier sind und uns des Daseins auch noch bewusst sind. Ich sage ja nicht, dass es eine Bürde ist. Und jeder kann sich ja einen Sinn suchen. Manche sagen, der Sinn sei, Kinder zu bekommen. Das kann es aber nicht sein, denn so drehte man sich im Kreis. Ich habe mir einen Sinn gesucht, ihn auch gefunden. Aber dieser Sinn ist nicht der Grund meines Daseins. Der liegt darin begründet, dass meine Eltern 1979 oder 1978 einmal sehr viel Spaß hatten.“

„Ich find’s traurig.“

„Durch Wiederholung wird dein schwaches Argument nicht stichhaltiger. Es ist Zufall, dass wir hier sind. Was per se ja nicht schlecht ist. Und die Menschheit macht ja viel Gutes daraus. Hier und da natürlich die Erde ruiniert, was wie ‚uriniert‘ klingt, und einige Tierarten ausgerottet, aber der Trend zeigt nach oben. Weniger Hunger, unfassbar deutlich weniger Kindersterblichkeit, so wenig Kriege wie noch nie, es könnte so weitergehen. Kein Grund also für dich, dir das Leben zu nehmen.“

„Ich fühlte mich nur vernachlässigt. Sprichst beim Joggen mit Gott, lässt den Tod ohne Sense erscheinen und vergisst deine eigentliche, deine einzige Instanz, mit der du alles rechtfertigst in deinem Leben! Mich, das Schicksal.“

„Ja, war mir übrigens bewusst. Aber der ‚running gag‘ mit der Sense war doch lustig.“

„Ja, geb ich zu.“

„Warum glaubst du an mich?“

„Ist am einfachsten. Bislang traf es auch immer zu. Das Zusammenkommen mit meiner Mitbewohnerin, also wenn das kein Schicksal war! Wobei ich gerade auf den Gedanken komme, den Zufall demnächst anzutreffen. Gute Idee, schnell in der Memo-App notiert. Oder als ich als Kind das Stromkabel in den Mund nahm! Dass ich es wieder rausziehen konnte: Schicksal! Dass ich einen unsympathischen Autounfall nahezu verletzungsfrei überstand: Schicksal! Und du willst dich jetzt umbringen? Nimmt man mir das Schicksal, habe ich nichts.“


Wer ernsthaft mit dem Gedanken des Suizids spielt, dem entgehen nicht nur weitere seppolog-Geschichten, sondern auch mögliche Chancen auf ein unverhofft besseres Leben. Beratung gibt es bei der Telefonseelsorge: 0800 111 0 111. Außerdem hilft die Deutsche Gesellschaft für Suizidprävention. Einen Versuch ist es wert, bevor man den letzten, ultimativen Schritt geht und damit auch andere Menschen ins Unglück stürzt.


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