Es wird hier um Sport gehen. Denn derzeit bin ich auf einem nicht zu stoppenden Sport-Trip, was aber nichts mit einem Vorsatz für dieses junge Jahr zu tun hat, sondern eher damit, dass meine Mitbewohnerin und ich vor etwa drei Wochen jenen Trimmdich-Pfad entdeckt hatten, den ich immer belächelt hatte, der es aber – absolviert man ihn richtig – in sich hat. Seit 2002 mache ich im Grunde täglich Sport, also seit in wenigen Wochen 14 Jahren. Klingt nicht schlecht, aber es verschleiert ein wenig, dass ich bis zu meinem 22. Lebensjahr jeden Sport verweigert hatte. Sieht man davon ab, dass ich tatsächlich längere Zeit in einem Schwimm-Verein war, wo es auch um Wettbewerbe ging. Schwimmen liegt mir kurioserweise. Das ist aber so lange her, dass ich mich nur noch an die Erinnerung erinnere. Übrigens wurde ich mal in der Umkleide übelst verdroschen. Möglicherweise habe ich ein Trauma davongetragen, so oder so verweigere ich bis heute das Schwimmen, sieht man vom Urlaub einmal ab.

„Christopher, ich bin geistig hellwach“, sagte ich gestern zu meinem Kollegen.

„Ja, das freut mich“, gab er zurück.

„Aber körperlich, Christopher, körperlich bin ich erschöpft. Eben in der Maske, als mir die Augen gepudert wurden, ich sie schließen sollte, hätte ich sitzenden Podex‘ einschlafen können.“

So einen Tag wie gestern hatte ich noch nie. Ich kapitulierte. Körperlich völlig ausgelaugt. Alles nur wegen des Trimmdich-Pfades.

Meine Mitbewohnerin macht sechs Mal pro Woche Sport. Von Selbstverteidigung bis Kickboxen unterfüttert mit Laufen. Gelegentlich kommt sie mit einem blauen Auge zurück, meist aber nur mit Hämatomen an Armen und Beinen. Gestern mit einem kleinen Riss hinterm Ohr. Sie boxen ohne Kopfschutz, damit der Gegner nicht alle Hemmungen verliert! Nachbarn müssen glauben, ich argumentiere ihr gegenüber mit Fäusten. Das aber würde ich zum einen aus moralischen Gründen nicht tun (man schlägt nur Männer, keine Frauen), zum anderen weil sie mich innerhalb einer Sekunde auf den Boden verfrachten würde. Sie kennt Stellen, auf die muss man nur drücken, dann sackt man in sich zusammen. Wir haben es probiert. Es klappt. Wenn ich mal nicht einschlafen kann, lasse ich mich einfach von ihr k.o.-schlagen.

Jener Trimmdich-Pfad, den es am Wochenende wieder zu bewältigen gilt, ist deshalb so hart, weil er in einen Lauf integriert wird und meine Mitbewohnerin ihn noch mit kraftraubenden Übungen garniert. Und wie sieht es denn aus, wenn ich vor ihren Augen aufgeben muss?! Wenn sie meint, 50 „Burpees“ machen zu müssen, kann ich wohl kaum sagen „Ich mache 20“. Die Rollenverteilung muss da gewahrt bleiben. Ich mag zwar die Langhantel öfter in die Luft strecken können, aber bei Kraftausdauer ist sie vermutlich vorn. Was ich ihr aber am Wochenende natürlich nicht zeigen werde.

Weitere Planungen für das Wochenende habe ich erst einmal zurückgestellt, da ich mich an das vergangene noch zu gut erinnere, als ich noch am Tag nach dem „Trimmdich“ völlig platt war. Auf eine positive Art, aber auf eine, die weitere Tätigkeiten unmöglich machte. Ich konnte nicht einmal die Kraft für ein Computerspiel aufwenden. Das soll mir nicht ein weiteres Mal passieren, sodass ich in dieser Woche gezielt trainiert habe. Bis gestern. Knapp zwei Stunden Krafttraining am Morgen. Bis die Muskeln brennen. So soll es sein. Die Grenzen finden, möglichst aber nicht überschreiten. Nur leicht. So kommt es schließlich zum Trainingseffekt.

Danach Laufen. Beim Laufen weiß man oft schon innerhalb der ersten Minuten, wie sich der Lauf gestalten wird. Gestern war mir sofort klar, es wird ’ne harte Nummer. Die Beine schwer, die Atmung wenig entspannt. Und es war wieder ein Intervall-Lauf, also ein Lauf mit Sprint-Einheiten. Was dabei hilft, ist Musik wie diese:

Schon in der ersten Einheit war mir klar, das wird nix. Bei der vierten taten mir die Organe weh. Ich kann es anders nicht beschreiben. Ich musste ernsthaft aufgeben. Ein Jogger gibt auf. Ein Läufer natürlich nicht. Also schleppte ich mich in einem Tempo jenseits der sieben Minuten nach Hause.

Zuhause diskutierte ich mit mir über die Ursachen. Die Kälte? Nein, Plusgrade, die kann es nicht gewesen sein. Zuviel Sport? Ich bitte mich! Zuviel Sport! Vielleicht bedarf es eines Pausentages? Ich beschließe, am Freitag, also heute, mich prophylaktisch erst einmal gar nicht zu bewegen. Und vor allem: auszuschlafen. Ich schlief bis acht. Man schläft wie ein Baby, wenn man viel Sport treibt. Obwohl Babys nicht viel Sport treiben. Sollte man denen auch mal unter die Nase reiben.

Auch meine Suppendiät, die mich bislang etwa vier Kilogramm verlieren ließ, ohne dass ich hungere, wurde gestern in Frage gestellt:

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Damit wir uns nicht missverstehen: Ich bereue nichts. Genau so muss es laufen. Ist ja nicht so, dass ich kollabiert wäre. Ich hab‘ lediglich keine Substanz mehr.

Ah, da fällt mir ein, warum ich kein Kandidat für einen „Personal Trainer“ bin: weil ich ihn mir nicht leisten könnte. Aber auch, weil ich ein Problem damit hätte, dass mir da einer sagen will, was ich zu tun habe. Meine Mitbewohnerin erzählt mir gerne von ihrem Trainer, der sie hier und da „Straf-Liegestütze“ machen lässt. Kommt jemand zu spät zum Sport, muss er meinetwegen 50 Strafliegestütze machen. Am zurückliegenden Wochenende auf dem Trimmdich-Pfad drohte sie mir plötzlich mit Straf-Liegestütze, da ich mich bei einer Übung etwas gehen ließ. Ich sollte die Arme ausstrecken und kreisen lassen. Mir war aber nicht nach kreisen lassen. Also ließ ich auch nicht kreisen. Sie verfiel in einen Trainer-Duktus, was mich aggressiv machte. Ich lasse mir grundsätzlich nur von zwei Instanzen etwas sagen: Vom Staat und vom Arbeitgeber. Ansonsten sollte ja wohl klar sein, dass ich der einzige bin, der hoheitlich über mich verfügen darf. Das wiederum erinnerte mich an Detlef D. Soost, der ja grundsätzlich seine Kandidaten in diversen TV-Sendungen – ob „The Biggest Loser“ oder „Popstars“ – anschreit, weil er stets das beste für sie wolle. Macht mich schon beim Zusehen aggressiv. Was nimmt er sich da raus?! Er schreit ja erst, um dann gerührt von irgendwas zu weinen. Memme. Ich würde mich beispielsweise gar nicht anschreien lassen. Mit welchem Recht will mir jemand Strafliegestütze auferlegen?! Es würde also zwischen „Personal Trainer“ und mir schnell zum Eklat kommen.

Im Schulsport der siebten Klasse habe ich mal, recht pubertär, meinen Sportlehrer, Herrn Uecker, angebrüllt, weil er vom Volleyball-Spielfeldrand mir zurief, er erwarte mehr Einsatz von mir. Ich hingegen war der Meinung, bereits ausreichend Einsatz abgeliefert zu haben. Wie will er denn beurteilt haben können, dass da noch mehr drin gewesen sei?! Dass ich diesen Schulsport überhaupt 13 Jahre über mich ergehen ließ, war schon Einsatz genug. Also brüllte ich ihm irgend etwas zu, was ich natürlich unmittelbar bereuen sollte, da ich eine sechs bekam. Nach dem Fach Musik meine zweite sechs. Aber wie das so ist, ich bin gut im Entschuldigen, ging zu ihm und entschuldigte mich. Obwohl ich meiner Meinung nach völlig im Recht war. Dass man im Sportunterricht überhaupt Noten gibt, ist völlig unangebracht. Ich konnte in Klasse 5 kein Basketball, ich konnte es auch in Klasse 13 nicht. Das Schulsystem hat an mir versagt. Und mich gelehrt: Tue Dinge, die Du nicht tun willst, nicht. Ich bastele nicht und ich befasse mich nicht mit Bällen und verzichte an dieser Stelle auf den albernen Scherz, dass ich bei meinen zwei Bällen da gerne eine Ausnahme mache. Eben besagter Kollege Christopher warf kürzlich mit einem Schneeball nach mir (er brachte Schnee aus seiner Heimatstadt mit, denn hier in Düsseldorf lag noch keiner). Ich sah den Ball, berechnete seine Flugbahn und wie erwartet traf der Klumpen mich zwischen den Beinen. Was für mich aber kein Grund war, in irgendeiner Weise auf das Geschoss zu reagieren. Das ist die Freiheit, die ich meine. Auf Bälle gar nicht zu reagieren. Bälle lösen in meinem Hirn nichts aus. Wäre ich ein Hund, ich wäre ein langweiliger Hund. Andere Hunde würden freudig erregt dem Ball hinterher hechten, ich bliebe schwanzwedelnd stehen.

Ich kam also gestern vom Lauf maßlos erschöpft wieder. Ich aß Bananen, trank Tee und Kaffee. Einen Löffel Zucker für den Kreislauf. Duschte heiß und kalt im Wechsel. Doch spätestens am Arbeitsplatz wusste ich, das würde nichts mehr werden an diesem Tag. Und nun sitze ich arbeitsbedingt den ganzen Tag auch noch auf einem Sofa. Darüber würde ich mich nie beklagen, aber so ein Sofa lädt zum Schlafen ein. Ich schlief nicht, saß aber kraftlos nur da und trank „Energie-Tee“, Holunder-Ingwer. Nein, Orange-Ingwer. Und in mir reifte der Plan, noch am Abend fettes Essen zu bestellen. Selbst ich weiß, dass irgendwann der Körper Signale von sich gibt, die ihren Grund haben. Und wenn der Körper nach einem Burger-Lieferservice ruft, dann mit Recht. „El Greco“ liefert zügig und zuverlässig. Habe das Trinkgeld großzügig erhöht, um sie zu einer noch schnelleren Lieferung zu bewegen. Hat funktioniert. Es gab sogar gratis Erdnüsse dazu!

Heute also sportfrei, was mir frühes Schreiben dieser Zeilen erlaubt. Meine seitlichen Bauchmuskeln schmerzen noch heftig, meine Mitbewohnerin darf mich seit 24 Stunden nicht berühren. Ich lebe im Zölibat. Meine Rippen schmerzen. Wir reden hier aber von einem positiven Schmerz, Muskelkater muss man nicht unbedingt provozieren, aber wenn vorhanden, schon gar nicht gegen an trainieren.

Um weitere Missverständnisse zu vermeiden: Ich werde weitermachen wie bisher. Habe noch literweise Suppe eingefroren. Und am Wochenende werde ich die Früchte meiner Arbeit ernten und meine Mitbewohnerin plattmachen.

Schnoizelchen, ich lieb‘ Dich so, warum wohnst Du nur in Gütersloh, den Sex hol‘ ich mir anderswo.

Was tun drei Wochen intensiven Sports mit dem Körper? Man macht deutliche Fortschritte. Übungen, die am ersten Tag noch sehr schwer fallen, funktionieren bereits am dritten Tag viel besser. Vor einigen Monaten nahm ich mir zum Ziel, zehn Mal 100 Liegestütze zu schaffen. Ich begann damit, täglich fünf mal 20 zu machen. Steigerte dieses Pensum dann alle paar Tage um fünf weitere Liegestütze. Das geht erstaunlich schnell. Der Körper begreift irgendwann, was er tun muss. Man ist zügig bei 60 Liegestütze, danach wird’s zumindest bei mir etwas härter. Und irgendwann schafft man 100 am Stück. Ich behaupte, das ist keine große Kunst, es ist Übungssache. Der Körper stellt sich auf diese monotone Übung ein; ich weiß nicht mal, wie viel das überhaupt mit Kraft zu tun hat. Leider bin ich derzeit aus diesem Training wieder raus, es reicht vielleicht für 30 Liegestütze.

Es reizte mich ja, heute Alkohol zu trinken. Das verbietet sich nun natürlich auch völlig. Verdammt, jetzt ein Weinchen wäre nicht unbedingt schlecht. Aber die Abstinenz ergibt sich völlig automatisch, wenn man die Erfolge des Sports sieht. Ganz automatisch beginne ich, auf etwas zu achten, was man „gesunde Ernährung“ nennt, was ich sonst immer ablehne. Stimmungsmäßig bin ich derzeit auf einem Hoch. Ich war nie höher.

Um Weihnachten herum habe ich mir einige neue Hemden gekauft. Die ich erst jetzt anziehen kann, weil die Knöpfe wieder zugehen. Ich stand in den Umkleiden und stellte fest, dass „M“ („SlimFit“) mir nicht mehr passte. Natürlich kaufte ich trotzdem, denn „M“ hat immer gepasst! Passt wieder. Alles gewohnt richtig gemacht. Ich kann das Korsett wieder weglassen! Aber die Ärmel spannen. Das ist natürlich geil. Nennt mich „Kampfmaschine“. Ein Seppo würde einen Thorsten Legat plattmachen. Naja. Man sieht, man überschätzt sich auch schnell.


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