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Ich las vor einiger Zeit einen Artikel über die Frage, welche Rechte der Mensch eigentlich habe. Fröhlich gehen wir ja davon aus, dass wir ein naturgegebenes Recht auf alles haben, das in unserem, wie ich finde, großartigen Land so selbstverständlich ist. Der Autor, dessen Namen ich vergessen habe, gab zu bedenken, dass wir erst einmal gar keine Rechte habe. Von wem auch gegeben? Wir sind ja hier, weil sich Zellen teilen können. Alles, was dann kommt, entspringt ja unseren eigenen Regeln, keinen vorgegebenen, sieht man von den physikalischen Gesetzen einmal ab. Dennoch haben wir Erwartungen an das Leben. Wenn ich mich nun frage, welche Erwartungen ich an das Leben habe, weiß ich gar keine Antwort. Das klingt nun sehr deprimierend, aber so meine ich es gar nicht. Ich finde es eher etwas überheblich, mit Erwartungen aufzuwarten, letztlich muss man sich alles selber erarbeiten. Als Individuum und als Kollektiv. Irgendwie bin ich eher voller Unerwartungen. Ewige Gesundheit? Unerwartbar. Ich frage mich eher, wann es mich trifft. Ich gehe mitnichten davon aus, dass es so komfortabel für mich bleibt, wie es derzeit ist. Das lähmt mich keineswegs, aber ich werde nicht den Überraschten spielen, der sagt: „Warum aufgerechnet ich?“ Ja, warum denn ausgerechnet ich nicht?! Ich unerwarte also das Erwartbare und erwarte das Unerwartbare.

Menschen mit Unerwartungen kommen erwartungsvoll derzeit nach Deutschland. Es deprimiert mich, dass dieses Land die Erwartungen der von vielen Deutschen leider unerwarteten Menschen, nicht erfüllen kann.

„Die Zeit“ macht gerade mit der Frage auf, wer eigentlich die Verrückten sind: Wir Deutschen, die jeden Flucht suchenden hereinlassen „oder der Rest der Welt, der keine Flüchtlinge aufnimmt“? Die Frage bedarf keiner Antwort, die liegt auf der Hand. Und die Frage löst dieses Problem recht simpel. Natürlich müssen wir jedem Zuflucht bieten, der da kommt. Kein Platz? Albern. Platz genug. Als ob es am Platz scheitert. Ich war nie CDU- oder Merkel-Fan. Aber sie ist derzeit eine der wenigen PolitikerInnen, die auf die große Show verzichtet und sich nicht beirren lässt und möglicherweise wirklich mal einer Überzeugung folgt. Das werfen wir der Politik doch immer so gerne vor, dass sie das Parteiinteresse in den Vordergrund stellt, dass sie kurzfristig handelt. Merkel tut das gerade nicht (auch wenn sie möglicherweise in Teilen derzeit einknickt). Diese schnöde und völlig unspektakuläre Art, die sie an den Tag legt, ist in solchen leicht unruhigen Zeiten, die auch wieder vergehen, genau das Richtige. Ein Seehofer versucht wie auch Gabriel mit Populismus dem Populismus der beispielsweise unerträglichen „AfD“ zu begegnen. Das funktioniert nicht mehr. Im Gegenteil, es macht den Populismus dieser gefährlichen „AfD“-Bewegung erst salonfähig. Es gab mal Zeiten, da haben wir hier über die „Tea-Party“-Bewegung gelacht. Haben geglaubt, den Rechtsruck, den die Franzosen sich gerade eingebrockt haben, hier nicht erleben zu müssen. Mir vergeht derzeit das Lachen. Es ist mir unbegreiflich, wie man tatsächlich auf die Begrifflichkeiten der rechten Seite reinfallen kann. „Lügenpresse“. Ich kotze. Staatlich gesteuerte Presse? Lächerlich. Adenauer hat’s mit dem ZDF versucht und ist weitestgehend gescheitert.

Aus dem AfD-Milieu ist zu hören, Flüchtlingskinder in Schulen zu isolieren, da sie ein Infektionsrisiko darstellten. Öffentliche Schulen mögen doch separate Toiletten für sie einrichten (Die Zeit 5/2016). Sowas wird offen gefordert und ich höre gar keinen Aufschrei! Demnächst dürfen sie in öffentlichen Verkehrsmitteln nur hinten sitzen? „Als sei längst vergessen, dass Apartheit und die Herabwürdigung von Fremden zu Bazillenträgern typische Kennzeichen des Faschismus waren“ (ebd.). Krass. Wie kann eine solche Partei auf zweistellige Prozentwerte kommen?! Wer ist hier unverbesserlich? Der Deutsche oder der Mensch an sich, der schon immer irrational wurde, wenn er Angst vor dem Fremden bekam?

Der Ärztepräsident Frank-Ulrich Montgomery betont in der „Welt“, dass die nach Deutschland kommenden Flüchtlinge „übernormal gesunde Menschen“ seien und im Übrigens eine höhere Impf-Bereitschaft zeigten, als der so supi aufgeklärte Deutsche derzeit tut. Mein Gott, das sind keine Neandertaler, die hier Zuflucht suchen, das sind zivilisierte Menschen. Und das attestiere ich dieser braunen laut gröhlenden Masse so gar nicht. Warum werden immer die gehört, die am lautesten rufen?! Beobachte ich auch im Alltag. Die Lautesten haben immer Recht. Dabei lehrt die Geschichte, dass das Gegenteil der Fall ist. Las ich mal einen Artikel drüber, es ist ein psychologisches Phänomen, mensch neigt dazu, dem lautesten zu glauben, während der eher leise, der tatsächlich meist richtig liegt, sich nur schwer Gehör verschaffen kann. Der Aufgeklärte schreit nicht. Das ist irgendwo auch sein Problem. Und alles schreibt derzeit über einen möglichen Kanzler-Sturz. Ja, warum eigentlich?! Das überrumpelt mich völlig. Was hat denn Merkel getan, dass man gleich ihren Sturz herbeischreibt?! Wer schreit denn gerade? Merkel oder Seehofer?! Der Blick zurück zeigt allerdings, dass immer die Kanzler „gestürzt“ wurden, die sich beharrlich für eine Sache eingesetzt hatten. Schröder wurde nicht gestürzt, aber er stürzte über die lang verschleppte Modernisierung des Landes, die sicher hier und da etwas holperig verlief und Schicksale einforderte, die uns aber bis heute eine nicht ganz unbequeme Position ermöglicht. Während wir natürlich gerade die nächste Modernisierung verpassen.

Ich kriege das kalte Kotzen, wenn ich Bürger im Fernsehen sehe, die betonen, man sei ja weltoffen, aber die Grenzen müsse man bitte dichtmachen. Ich kann mir sowas gar nicht ansehen, ich will sofort wegschalten, weil mir ernstlich schlecht wird. Offene Grenzen sind moralisch geboten und führten zu einem ungeheuren Wohlstand, der dem braunen Demonstranten erst die Freizeit ermöglicht, die er nutzt, um zu demonstrieren. Ich gucke nur noch mit einem Eimer neben mir Nachrichten, um nicht auf den frisch gewischten Boden kotzen zu müssen. Ich fürchte, für den nächsten Fackelzug gibt es wieder genug Menschen, die mitmarschieren würden. Wie Frühmenschen, die gerade das Feuer für sich entdeckt haben. Biedermann und die Brandstifter. Immerhin spricht niemand mehr über die Maut.

Arsch Pegida-Wichser vergewaltigen wöchentlich den Begriff der „Montagsdemo“, der doch eigentlich für das Gegenteil dessen steht, für das sie demonstrieren. Obwohl vermutlich die dort mitmarschierende Masse gar nicht weiß, wofür sie gerade marschieren. Einfach mal Maul aufreißen. Das wird man ja wohl noch sagen dürfen. Versinkend in der anonymen braunen Pampe.

An einen großen Teil der Deutschen habe ich wirklich nur Unerwartungen. Kein Volk dürfte doch besser wissen, wohin das alles führen kann. Dabei ist unsere junge Geschichte doch ein historischer Orgasmus. War doch sensationell, als die Mauer fiel. 25 Jahre danach gelingt es noch immer nicht, den entsprechenden Nationalfeiertag, der etwas unglücklich auf den 3. Oktober gefallen ist und nicht auf den 9. November oder 17. Juni, angemessen zu feiern. Die Deutschen sind einfach zu phlegmatisch; manchmal denke ich, sie können nur eines besonders elanös: hassen. Wie ist das möglich, dass das noch in so vielen drin ist?! Das frage ich ganz ernsthaft. Keine äußeren Feinde. Wohlstand bis zum Abwinken. Eine beispiellose Demokratisierung nach 1945. Was ist denn da los?!

Nun denke ich trotz aller Unerwartungen ja im Großen immer positiv. Ich habe das bei meinem Vater immer gehasst. Waldsterben? „Alles nicht so schlimm.“ Ozonloch? „Wird schon.“ Er hatte Recht! Und so wird es auch mit dieser Nummer laufen. Das Land wird sich auf die neue Situation einstellen. Wir haben keine schlechte Migrationspolitik. Wir haben gar keine. Wir fangen erst an. Eine Million Flüchtlinge? 81 Millionen sind schon hier. Also alles noch im Verhältnis. Wir wollten doch Zuwanderung. Sind ja keine Idioten, die da kommen. Normale Menschen, die leider auf einige Idioten hier treffen. Natürlich bringt das Umwälzungen mit sich. Das Ozonloch führte auch zu Umwälzungen. Haarspray, das ich neuerdings auch nutze, ist nun eben FCKW-frei. Nun muss Deutschland halt nazifrei werden. Das Siegel „nazifrei“ sollte unser Ziel werden.

Bei allem finde ich es aber sehr erfrischend, dass der erste Reflex der Deutschen Nation der war, die Grenzen zu öffnen! Das hätte ich nicht erwartet.


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