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Kennt der Leser das: den Traum von der eigenen Todesanzeige? Ich gott sei dank nicht. Aber ich würde darauf achten, dass sie als „post“ auf meiner Facebook-Seite beworben wird. Und nicht unwichtig ist, dass die Adresse des seppologs mit abgedruckt wird, um posthum noch eine explodierende Abruf-Statistik generieren zu können.

Wir schreiben das Jahr 2019, als ich völlig überraschend nicht mehr aufwache. Vielleicht habe ich wie jedes Jahr viel zu viel Energie dafür aufgewandt, meinen Geburtstag totzuschweigen, was das Schicksal zu wörtlich genommen hat. So oder so, das Ergebnis ist, dass ich das penetrante Fiepen meines Radioweckers nicht höre. Hier ahne ich zum ersten Mal, dass etwas nicht stimmt. Denn der Wecker ist an sich nicht zu überhören.

Ich öffne leicht beleidigt ob der tragischen Wendung in meinem Leben die Augen, nur um festzustellen, dass es da nichts mehr zu öffnen gibt. Ich habe keine Augen mehr. Aber es gibt auch nichts zu sehen, denn ich befinde mich im Nichts. Nur kurz denke ich darüber nach, dass das Nichts offenbar schwarz ist, was eigentlich nicht geht, denn im Nichts ist alles, auch Schwarz, nichts. Aber hier scheint die menschliche Vorstellung des Nichts, die ja eigentlich unmöglich ist, zuzutreffen. Und so frage ich etwas überrumpelt in den nicht vorhandenen Raum hinein:

„Bin ich im Nichts?“

„Ja. Überraschung!“, antwortet Gott.

„Tot?“

„Ja.“

„Das ist aber etwas ungünstig terminlich. Hatte vor vier Jahren noch gebloggt, wie ich mit 90 durch den Park eines Seniorenheims jogge! Für den Leser stehe ich nun absolut unglaubwürdig da!“

„Ja, du warst da etwas voreilig. Hochmut kommt vor dem Fall.“

„Wie sieht denn nun das weitere Verfahren aus? ‚Tschuldigung, wenn ich da etwas naiv nachfrage, aber die Situation überfordert mich ein wenig.“

„Ja, es ist auch neu für dich. Übrigens für jeden, egal welchen Alters. Wobei die ganz Alten irgendwie weniger überrascht sind.“

„Bleibe ich hier? Ist das der Himmel?“

„Du bleibst irgendwo. Und Himmel?! Haha, ich bitte dich. Sebastian! Habe zwar versucht, dich da noch unterzubringen, aber selbst da herrscht irgendwann Platzmangel. Wir mussten schon die Turnhallen …“

„Wegen eines Platzmangels bleibt mir die Himmelspforte verwehrt?!“

„Ja, was will man machen. Die Stimmung im Himmel ist etwas schlecht derzeit, wir parken dich wie etwa 50 Millionen andere erst einmal in einem Auffanglager.“

„Auch nicht ganz unwichtig für mich: Was ist meine Todesursache? Ich ging lediglich etwas vollgefressen ins Bett. Doch zuviel Sport?“

„Nein, Sportpensum war okay. Nur traurige Ironie, dass es dir nichts gebracht hat! Was hättest du alles in der Zeit bewirken können! Hehe.“

„Objektiv wirklich humorig. Aber so ganz subjektiv ist das für mich eher ungünstig. Liegt mein Körper noch im Bett?“

„Ja. Aber der Notarzt belebt dich gerade wieder. Wird aber nicht funktionieren.“

„Auch kein berufliches Erfolgserlebnis für ihn.“

„Aber Alltag. Er verzählt sich bei der Herz-Massage. Immer. Armer Kerl.“

„Ja, ich bin aber gerade auch nicht unbedingt vom Glück gesegnet. Körperlich war ich doch in bester Verfassung!“

„Meinst du, du gehst ja nie zum Arzt.“

„Alle Krankheiten, die man bei mir diagnostizieren kann, habe ich mir bereits selbst eingebildet. So gesehen wollte ich keine schlafenden Hunde wecken. Also, woran hat’s gelegen?“

„Das weißt du. Für deine Wiedergeburt, die allerdings noch nicht ganz durch ist, gebe ich dir mit auf den Weg, nicht alles in dich hineinzufressen, sondern dich auch mal ordentlich auszukotzen.“

„Es geht mir bestens.“

„Nein. Schlechter könnte es dir nicht gehen, denn du bist ja hier.“

„Welche Möglichkeiten bietet mir denn so das Nichts?“

„Im Grunde keine. Du hast jetzt halt Zeit für endlose Monologe. Im wörtlichen Sinne.“

„Genau mein Ding eigentlich. Aber wer hört zu?“

„Zuhörer kannst du in deinem Fall direkt aus der Hölle rekrutieren. Die sind froh, wenn sie mal rauskommen.“

„Ob sich Hitler für meine Geschichten interessiert?!“

„Warum wollen alle immer gleich Hitler treffen?! Der ist in Sicherheitsverwahrung und wird jeden Tag aufs Neue hingerichtet.“

„Gott, wusstest du, dass ich wie Willie Tanner bin?“

„Von ‚Alf‘?“

„Ja. Hat man mir letztens gesagt. Vor vier Jahren. Ist es schlimm, wie Willie Tanner zu sein?“

„Die Frage ist doch, ob es besonders toll ist. Ich bin „Alf“-Fan. Klar, Willie Tanner ist der Inbegriff von Spießigkeit, die eben mit Alf auf dessen Gegenteil trifft. Wer ist dein Alf, Sebastian?“

„Lange Zeit dachte ich, meine Mitbewohnerin sei mein Alf. Aber sie ist eben doch sein Gegenteil. Sie ist auch Willie Tanner! Sagte ich ihr auch, das fand sie nicht lustig. Dabei war es als Kompliment gemeint. Berechenbar. Im Grunde sehne ich mich nach Berechenbarkeit.“

„Umso überraschender muss dein Tod mit 40 für dich sein.“

„Oder 41. Meine Geburtsurkunde ist da etwas im Unklaren geblieben.“

„Ja, das hat hier für bürokratisches Aufsehen gesorgt. Bereust du jetzt, deine Geburtstage nie gefeiert zu haben?“

„Nein. Ich wäre ja dann dennoch hier. Mein Plan war eigentlich, ab 60 wieder zu feiern. Wenn das Leben nicht mehr selbstverständlich ist.“

„Ist es das jemals?“

„Nein. Natürlich nicht. War’s das, was du mich lehren wolltest? Ich wusste es schon vorher. Aber warum hätte ich denn zum Beispiel meinen 37. Geburtstag feiern sollen?“

„Weil es einer deiner letzten war. Zurück zu deinem Alf. Was ist dein Problem mit Unberechenbarkeit?“

„Das Unberechenbare. Ich kann es ja nicht ablegen, meinen Sinn für Ordnung. Das fängt ja in der Wohnung schon an. Die ich übrigens denkbar unaufgeräumt hinterlassen habe. Nun wird der Notarzt, der arme Kerl, der nicht zählen kann, denken, ich sei unordentlich. Wäre er hingegen morgen gekommen, wäre alles aufgeräumt gewesen. Da lass ich einmal alles unaufgeräumt und schon sterbe ich. Was für ein Timing.“

„Du hättest zumindest deine vom Laufen nassgeschwitzte, stinkende Unterhose wegräumen können!“

In persönlichen Zeiten, die, sagen wir mal, sich etwas unruhig oder ungünstig gestalten, versuche ich mich allen Ernstes an das Positive zu halten. Es klingt wie der weise Rat eines alten Mannes, aber zu meinem eigenen Erstaunen klappt das tatsächlich. Mit 20 war ich noch nicht so drauf, da gab ich mich dem Unglück gerne vollumfänglich hin, aber inzwischen ist man natürlich reifer. Und dass im Leben nicht alles gut läuft, sollte ja wohl klar sein; das zu erwarten, wäre etwas unbescheiden. Und mich selber erstaunt immer wieder, wie viel Humoriges man aus miesen Zeiten extrahieren kann. Die gestrige Geschichte „seppo90“ entsprang einer gewissen Verzweifelung und wurde doch recht lustig.

„Als was oder als wer werde ich denn wiedergeboren? Wenn meine Wiedergeburt denn genehmigt wird? Und: Muss ich an Wiedergeburt glauben?“

„Nein, musst du nicht. Aber du kannst dich auch nicht dagegen wehren. Du selber bist im Übrigen bereits die 3.458. Variante deiner selbst.“

„Und noch immer nicht perfekt?“

„Nein, du bist ein Problemfall. Sag‘ ich dir ganz offen. Mit Toten sollte man offen reden.“

„Wie wird denn die 3.459. Variante von mir aussehen?“

„Wir versuchen, dich als weibliche Variante auf Erden unterzubringen.“

„Was?! Ohne Bart?“

„Mit wäre dir kaum lieber. Alles schon getestet. War auch nur ein Scherz, du kannst dich ja selber als Frau nicht vorstellen.“

„Ich wäre wunderschön. Und Pornodarstellerin.“

„Ja, mit Sicherheit … Du wirst wiederkehren als Samuel.“

„Wie der Samuel aus der „Netflix“-Serie ‚Sad Samuel‘?“

„Jener der noch zu schreibenden Serie? Nein. Samuel. Du wirst in Düsseldorf zur Welt kommen und nach 28 Jahren nach Münster ziehen. Kreativ, was?“

„Gefällt mir an sich besser als die letzte Reihenfolge.“

„Dir wird Münster aber nicht gefallen. Es wird dir zu spießig sein.“

„Unvorstellbar!“

„Du wirst großer Karnevalist mit Hang zu einer krankhaften Unordnung.“

„Ich hab‘ den Eindruck, ich komme als Gegenteil meiner selbst zurück.“

„Ja, du wirst Alf im gewissen Sinne. Ist doch lustig?“

„Wie sieht’s mit Frauen aus?“

„Achso, du wirst asexuell.“

„Na toll. Was mach‘ ich dann an Karneval?!“

„Scherzkeks.“

„Kann es sein, dass wir gerade in der Geschichte auf der Stelle treten?“

„Ja, du solltest kurz kreativ pausieren und vielleicht einen neuen Aspekt reinbringen.“

„Werde ich bereits vermisst?“

„Ja, also das hält sich in Grenzen. Klar, deine Familie, deine Mitbewohnerin. Keine Frage. Es werden aber schon Testamente umgeschrieben. Du fällst ja nun raus. Was hast du eigentlich zu vererben?“

„Hm. Also reich mache ich niemanden. Ich hinterlasse Briefe. Für einige wichtige Menschen. Es sind nicht viele Briefe. Und vor allem sind sie nicht auf dem aktuellen Stand. Die Briefe werden mehr Fragen aufwerfen als beantworten. Wie unangenehm. Ich wusste von vornherein, dass man sie permanent aktualisieren muss. Aber man tut’s ja nicht.“

„So, mein Freund, ich hab‘ noch andere Tote zu versorgen. Du hast noch einen Wunsch frei; Du darfst dir einen Menschen aussuchen, dem du den Tod wünscht!“

„Oh, da muss ich nicht lang überlegen!“

Hehe.


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