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„Mikronesien?“, frage ich meine Mitbewohnerin.

„Ouagadougou?“, antwortet sie.

„Das ist Burkina Faso.“

Vor vielleicht sechs Jahren hatte ich offenbar mal viel Zeit. Ich haderte schon immer damit, dass ich nicht in der Lage war, mir die einfachsten Hauptstädte zu merken. Ich habe hier und da ungemeine Lücken im Allgemeinwissen, an anderer Stelle weiß ich Dinge, die keinen interessieren. Aber so ein paar Hauptstädte sollte man schon drauf haben. Noch heute tue ich mich mit den simpelsten europäischen Ländern schwer, wenn ich sie wieder auffrische, die Hauptstädte, während Afrika für mich überhaupt kein Problem darstellt.

Damals wollte ich also zumindest diese Lücke schließen und machte mich ans systematische Lernen. Was in bekannten Regionen und solchen, die gerade unter Bombenhagel leiden und damit in der Presse sind, leicht fällt. Viele Staaten kennen wir ja nur, weil sie gerade in Trümmern liegen.

Afrika war damals die größte Herausforderung. Denn bevor ich die Hauptstädte lernen konnte, musste ich erst einmal mich mit allen 54 Staaten vertraut machen, wobei es damals 53 waren, da es den Südsudan mit Juba noch nicht gab. Swasiland? Kannte ich nicht. Mbabane. Burundi? Ja, irgendwie schon einmal gehört. Aber wo es liegt? Keine Ahnung gehabt. Bujumbura übrigens. Also begann ich damit, mir einen ordentlichen Atlas zuzulegen, derer ich nun acht habe, wobei der beste der „times comprehensive atlas of the world“ ist und als solcher auch anerkannt ist. Und er ist der teuerste. Aber: Er ist korrekter als viele Produkte aus deutschen Verlagshäusern. In deutschen Atlanten ist die Hauptstadt von Kiribati meist Bairiki. Das ist allerdings falsch. Richtig ist South Tarawa. Und die Cook-Inseln sind gar kein eigener Staat, manch Atlas sieht das aber anders. Avarua. Überhaupt, Ozeanien ist die Hölle zu lernen. Inselstaaten wie Mikronesien (Palikir) oder Tuvalu (Funafuti) bereise ich nicht oft. Oder die Kleinen Antillen wie St. Vincent und die Grenadinen (Kingstown, im Gegensetz zu Kingston (Jamaika)) waren mir unbekannt.

Zurück zu Afrika, dem Kontinent mit den riesigen Flächenstaaten. Um mir überhaupt die Länder dort einzuprägen, nahm ich mir vor, jeden Tag etwa nur acht zu lernen. Dazu pauste ich die Ländergrenzen ab, da ich zu allem Überfluss mir auch noch einprägen wollte, welches Land an welches grenzt, was über das bloße Lernen der Hauptstädte hinaus ging. Nicht viele kennen alle Nachbarländer Deutschlands. Aber wer kennt schon die Grenzverläufe von Botswana oder Benin?! Ich kenne sie nun. Mauretanien hat mich mit Nouakchott wahnsinnig gemacht. Das allein schreiben zu können, war wie das Vokabeln lernen einer nicht ganz so einfachen Sprache. Aber es sind gerade diese sehr abstrakten Namen, mit denen man nichts verbindet, die man – einmal gelernt – nicht vergisst. Ich ordne eher Prishtina (Kosovo) falsch zu als Nuku’alofa (Tonga).

Nach einigen Wochen hatte ich also die Welt drauf. Konnte die Staaten in ihren Umrissen zeichnen, wobei ich mir das in Ozeanien erspart habe, ihre Nachbarländer nennen und natürlich: die Hauptstädte.

Es gibt ein paar Lieblingsstaaten: Suriname mit Paramaribo. Für mich extrem abstrakt, aber klangvoll. Oder der Name wie der einer Gelenksalbe: Belmopan von Belize! Toll! Mittel- und Südamerika sind nicht reich an Staaten. Nichts gegen die 54 afrikanischen Länder. Dennoch der für mich schwerste Kontinent, möglicherweise, weil er so simpel ist.

Die mit Abstand schwierigste Ecke ist die um Slowenien (Ljubljana). Grenzt an Kroatien, aber nicht an Serbien. Anders als Ungarn. Und grenzt Kroatien auch an Montenegro? Ja. Aber eben nicht an Albanien. Und warum zur Hölle kann ich mir nie Irlands Hauptstadt merken, aber vergesse nicht die von Kirgisien, das zu allem Überfluss auch noch zwei weitere Namen hat: Kirgistan und Kirgisistan. Bischkek die Hauptstadt. Tadschikistan liegt darunter mit Duschanbe . Beide liegen „auf“ Afghanistan, wie auch Usbekistan und Turkmenistan. Die letztgenannten liegen aber auch „auf“ dem Iran. Aber nur Turkmenistan grenzt ans Kaspische Meer. Georgien wiederum nicht, das grenzt ans Schwarze Meer, dessen Nachbar Aserbaidschan wiederum nur ans Kaspische. Nicht aber an die Türkei. Überhaupt grenzt so vieles an die Türkei. Diese Ecke macht mich auch jedes Mal rasend, wenn ich das Wissen auffrische, was alle paar Wochen geschieht. Denn ich habe inzwischen einen Ruf zu verlieren. Den desjenigen Freaks, der eben alle Hauptstädte der Welt kann. Kürzlich fragte ein Kumpel mich nach Uganda.

„Lusaka.“, sagte ich und ahnte, da stimmt was nicht. Mein Ruf war in Gefahr. Mein Kumpel sah nach.

„Nein, Kampala.“

„Verdammt! Ja, stimmt. Uganda, Kampala, Ruanda, Kigali, Burundi, Bujumbura. Natürlich. Hängt alles unterm Südsudan. Juba.“

In dem Moment war klar, dass ich wieder zurück an den Atlas muss, alles neu auffrischen.

Und dann treffe ich jedes Mal auf alte Freunde. Es gibt diese Klassiker, die ich immer relativ schnell wieder vergesse. Ich weiß, dass irgendwo in Südafrika (das Land mit den drei Hauptstädten für die drei Gewalten: Legislative, Judikative, Exekutive) ein Staat liegt. Vergesse ich jedes Mal. Es ist Lesotho mit Maseru. Da Afrika Anfang dieser Woche aufgefrischt, werde ich mir das für einige Wochen wieder merken können.

Durcheinander komme ich gerne bei den afrikanischen G-Staaten: Gambia, Guinea, Äquatorial-Guinea, Guinea-Bissau und Gabun. Da hilft nur stumpfes Pauken. Wie auch bei den vielen Ports. Es gibt einige Hauptstädte auf der Welt, die offenbar über einen Hafen verfügen. Port Vila (Vanuatu), Port Louis (Mauritius), Port Moresby (Papua-Neuguinea), Porto Novo (Benin) und Port of Spain (Trinidad und Tobago). Irgend einen hab‘ ich jetzt mit Sicherheit vergessen. Ja, Porto-au-Prince (Haiti). Port-Monee (Boerse).

Das Ganze muss natürlich in beide Richtungen funktionieren. Hauptstadt – Land, Land – Hauptstadt. Also, Male? Male. Leider denke ich dann an Mali. Mali ist aber Afrika mit Bamako. Achja, Male sind die Malediven. Bei Sri Lanka. Da hielt ich lange Zeit Colombo für die Hauptstadt, was sie aber nur de facto und nicht de jure ist. Denn Sri Jayewardenepura (Kotte) ist die korrekte Lösung. Das Wort habe ich in drei Tagen gelernt, weil es nun wirklich abstrakter nicht mehr geht. Aber einmal verinnerlicht, nie wieder vergessen. Anders als Sucre für Bolivien. Verwechsle ich gerne mit Asunción von Paraguay.

Europa. Ist nah und jeder kennt die Hauptstadt von Polen, Frankreich oder Weißrussland. Hier ist aber die Herausforderung, alle Ländergrenzen zu kennen und dabei Kaliningrad nicht zu vergessen. Kein wirklicher Staat, dennoch gelernt. Nebenbei macht mich wahnsinnig, dass die Hauptstadt Sao Tomé und Prínicepes nicht Príncipe ist, sondern Sao Tomé. Aber das ist ja wieder Afrika. Also, ich bewege mich des Lerneffektes wegen von Deutschland aus waagerecht durch Europa. Die Reihe über Polen bis nach Russland ist einfach. Über Tschechien, Slowakei und Ukraine geht auch noch. Aber dann wird’s kompliziert. Österreich, Ungarn, Rumänien, Moldawien, Ukraine, Russland. Schwieriger. Aber bei Weitem nicht so nervtötend wie die Senkrechten: Estland, Lettland, Litauen (alphabetisch geordnet!), Kaliningrad, Polen, Tschechien, Österreich, Slowenien, Kroatien, Montenegro, Albanien, Griechenland. Da raucht einem irgendwann der Kopf, zumal es eine zweite Senkrechte gibt, die unter Polen ansetzt: Slowakei, Ungarn, Serbien, Mazedonien, Griechenland. Und so weiter. So lerne ich die Waagerechten, Senkrechten und auch Diagonalen, wobei man Vaduz nie vergessen sollte, wie auch Andorra la Vella nicht. Vaduz hat mich gestern in den Wahnsinn getrieben, da ich nicht einsehen wollte, dass es in Liechtenstein liegt. Denn vorher las ich über die bittere Schlacht bei Verdun und setzte Vaduz und Verdun im Kopf versehentlich gleich. Meine Erkenntnis: Dieser Kampf zwischen Franzosen und Deutschen fand offenbar in Liechtenstein statt, was natürlich völlig falsch ist und die Folge von zu detailliertem Lernen. Und Syrien grenzt ans Mittelmeer, Iran ans Kaspische. Grönland ist kein Staat, hat aber ’ne Hauptstadt. Nuuk.

Glückwunsch dem, der bis hier gelesen hat. Der sich möglicherweise fragt, was das Ganze bringt. Ich weiß es nicht. Wobei, lese ich etwas über die glücklose Kolonialzeit der Deutschen (glücklos für alle Beteiligten), wird es interessant. Wenn man dann kapiert, welches Land aus welchem entstanden ist, wo die willkürlichen Grenzen lot-gerade gezogen worden sind. Warum Ost-Indien nicht mehr Ost-Pakistan ist. Man weiß, wo das glücklichste Volk lebt (Bhutan, Timphu), dass Dakar nicht Dhaka ist. Dass Indonesien sich über unzählige Inseln zieht und Fans der „Drei ???“ wissen, woher der Name „Java-Jim“ kommt, und dass auf Java die Hauptstadt Indonesiens liegt, welches sich Borneo und mit zwei weiteren Staaten teilt und auf Timor, welches zu Indonesien gehört, noch der frische Staat Osttimor (Dili) liegt. Man kapiert, dass die Vereinigten Arabischen Emirate zwar ein Staat sind, aber nur über einen nicht ganz genau festgelegten Grenzverlauf verfügen. Und man ahnt, dass es eine Katastrophe ist, wenn Algerien zerfällt.

Antananarivo, die Hauptstadt Madagaskars: Wie viele „na.s“ kann eine Stadt in sich tragen? Stolpere ich gerne immer wieder drüber, zumal es viele Druckwerke ebenfalls tun.

Basseterre ist die Hauptstadt von St. Kitts und Nevis in der Karibik. Nicht zu verwechseln mit Basse-terre, wieder eine ganz andere Stadt. Und schon gar nicht durcheinander zu bringen mit St. Vincent und die Grenadinen, die in der gleichen Ecke liegen. Und irgendwann weiß man nicht mehr, ist Yaren jetzt die Stadt und Nauru das Land? Nein, es verhält sich umgekehrt.

Einige Menschen in meinem Umfeld testen mich gerne mal. Derzeit würde ich den Test fehlerfrei bestehen. Auffällt, dass überwiegend immer nach afrikanischen Ländern gefragt wird. Dabei liegen die Fallen doch woanders: Australien ist doch der Klassiker. Die Masse antwortet „Sydney“. Nie fragt jemand nach Neuseeland. Oder Peru. Kolumbien. Europa wird als klar vorausgesetzt, obwohl ich behaupten würde, viele stolperten über den Balkan. Aber warum werde ich immer nach afrikanischen Ländern gefragt?, wobei auch nie nach den Kapverdischen Inseln (Praia) gefragt wird, ebenfalls einer eigenständigen Republik. Wie auch

Palau.

Melekeok!

Vergesse ich auch nie. Man hat kuriose Eselsbrücken. Die keinen Sinn ergeben, aber funktionieren. Bei Palau stelle ich mir jemanden vor, der einen mit einem fröhlichen „Palau!“ begrüßt, woraufhin „Melekeok“ der Rückgruß ist. Oder zurück zu Tadschikistan. Klingt wie ein Niesen, auf das man „Duschanbe“ wie „Du Schande“ antwortet. Geographische Lagen merke ich mir über das Alphabet: wie oben erwähnt: Estland, Lettland, Litauen. Oder eben dadurch, dass etwas nicht alphabetisch angeordnet ist: Usbekistan, Turkmenistan. Wobei mir nie klar ist, warum man sich Eselsbrücken merken kann, aber nicht den dahinter liegenden Tatbestand.

Da ich das vor Jahren mir alles in langer Arbeit eingeprägt habe (später kamen noch Flüsse und Meerengen, dann Gebirge und Seen dazu), wäre es fatal, das wieder alles zu vergessen, was mich dem Zwang aussetzt, es tatsächlich in gewissen Abständen zu wiederholen. Man erkennt Zusammenhänge, die einem, zumindest mir, sonst entgingen. Wie nah sich die USA und Russland sind, sieht man auf den hier gebräuchlichen euro-zentrischen Kartendarstellungen überhaupt nicht. Und damit kommt man zum nächsten Punkt. Keine zweidimensionale Kartografie vermag die Erde wirklich abzubilden. Europa ist auf unseren Karten viel zu groß im Vergleich zu Afrika. Die Wahl einer Karten-Darstellung hat immer viel damit zu tun, was man politisch ausdrücken möchte. Europa ist leider sehr winzig. Vor einigen Jahren kam mir eine Karte entgegen, auf der ein Erdteil zu sehen war, den ich partout nicht zuordnen konnte. Es stellte sich als monumentales Grönland heraus. Hintergrund war das Kartenzentrum, das die Umgebung massiv verzerrte, sodass einige Staaten gar nicht mehr wiederzuerkennen waren. Da hilft letztlich nur noch ein Globus. Der wiederum brachte mich dazu, mich auch noch mit Breiten- und Längengraden auseinanderzusetzen. Ungeahnte Möglichkeiten ergaben sich dadurch. Auch solche, die einen zusätzlich verwirrt haben.

Also, ein weites Feld. Und möglicherweise der lehrreichste, aber auch langweiligste Artikel im seppolog. Das war mir aber einfach mal lungo! Und nun mache ich mich über Südafrika her.


Kennt angeblich keine Grenzen: Facebook samt meiner Präsenz.

NURBART