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Gestern lief ich mit meinem hier schon häufig erwähnten Kollegen Christopher an zwei von der Decke hängenden Schlaufen vorbei. Es sind Allzweck-Schlaufen, an die man Dinge hängen kann, um sie dann hochzuziehen und sich dann am Gezuge zu ergötzen.

„Wir könnten uns jetzt hier erhängen!“

„Nebeneinander?!“

„Ja. Ich finde, wir arbeiten schon so lange und so eng miteinander zusammen, dass das nur logische Konsequenz wäre!“

„Braucht’s nicht immer einen guten Grund?“

Ja, da hatte er Recht. So ganz ohne Grund ist Erhängen zwar sehr beeindruckend, aber irgendwo auch völlig sinnlos. Also zählte ich ihm zahlreiche Gründe auf, die seinem Leben ein Ende setzen sollten. Und er war erstaunt darüber, dass ich ihm innerhalb weniger Minuten so bereitwillig jeden Lebensmut nehmen konnte. Letztlich aber wurde nichts aus dem Erhängen, da die Schlaufen zu tief hingen und wir jemanden hätten finden müssen, der den Flaschenzug gen Decke zieht. Christopher hatte unabhängig vom Erhängen vier Kilo abgenommen, aber es reicht wohl noch nicht ganz. Also Vertagen wir das Erhängen und hoffen, keinen wirklich guten Grund zu finden.

Gestern Abend, nach der Arbeit, besuche ich meine Nachbarin Lara. Lara ist etwa ein Meter fünfundsiebzig groß, wobei ihre Beine davon mindestens zwei Meter ausmachen. Ihre blonden Haare sind rund vier Meter lang und werden von einem goldenen Schimmer umschmeichelt, sodass ihre Konturen mit einen fließenden Übergang in den jeweiligen Hintergrund übergehen. Ich glaube, Lara sucht sich ihre Hintergründe immer sehr genau aus. Lara stellt sich nicht einfach irgendwo hin. Erst wird der Hintergrund gecheckt, anschließend hingestellt. Sie weiß ganz genau, ihre unfassbare Erscheinung – das muss ich jetzt wirklich mal sagen! – in Szene zu setzen. Bei Frauen finde ich es eines immer sehr entscheidend, wenn es um ihre Attraktivität geht: ob sie um diese wissen. Für mich ist jeder Reiz sofort verflogen, wenn ich merke, Frauen wissen um diese und spielen damit. Finde ich unsexy und zu einfach. Dann bin ich raus. Das Gegenteil hingegen finde ich wahnsinnig reizvoll!

„Lara“, frage ich also, „darf ich dich mal was fragen? Es wird etwas persönlich und auch peinlich … für mich.“

„Wie peinlich kannst du wohl noch werden?!“, grinst sie mich an. Das Grinsen ist wichtig, denn sonst wäre ich beleidigt gewesen.

Weißt du, wie gut du aussiehst?“

„Ich finde mich okay.“

„Im Ernst? Stapelst du tief? Kokettierst du jetzt? Ich frage mich das bei Frauen immer, die mich in ihrer ersten Erscheinung praktisch umwerfen. Weißt du, wie du auf Männer wirkst?“

Bei einigen Frauen kann ich mir die Frage beantworten. Ich kenne eine andere, die wirklich extrem hübsch daher kommt und sich – das ist ihr Fehler – entsprechend auf Facebook präsentiert. Der sieht man anhand der inszensierten „Selfies“ an, dass sie weiß, wie sie aussieht. Eine wieder andere inszeniert sich nahezu als Porno-Püppchen und geht dabei so weit, dass mir regelrecht schlecht wird und ich andererseits nur noch lachen muss, weil sie sich unwissentlich parodiert. Bei ihr glaube ich, sie wäre gerne Wichsvorlage. Warum sonst postet sie solche Fotos von sich?! Mir wird ja Selbstverliebtheit vorgeworfen von Menschen, die mich nicht kennen, aber wenn ich dann solche Bildchen sehe, in denen die Mädels versuchen, mit ihren Lippen in das Innere der Kamera vorzudringen, weiß ich, dass ich es mir dann doch nicht vorwerfen kann.

Lara verweigert ein sichtbares Profil bei Facebook und Co., sodass ich diesen Indikator bei ihr nicht sehe.

„Weißt du um deine Augen? Um dieses Strahlen? Sind deine Augen eigentlich immer leicht feucht? Ist das eine Augen-Erkrankung gar, die dir dieses Glitzern verleiht?“

„Seppo, willst du mich anmachen?“

„Grundsätzlich: ja. Aber nicht im Moment. Das sieht bei mir anders aus. Das sind jetzt ganz ernstgemeinte Fragen!“

„Also, Seppo, ich merke natürlich, dass ich, wenn ich abends rausgehe, permanent von irgendwelchen Typen gerne mit nach Hause genommen werden würde. Ich weiß aber auch, dass manche Typen Abstriche in ihren Ansprüchen machen, je später der Abend. Und ich weiß auch, dass die richtigen Typen, die mehr als nur Ficken wollen, mich eher nicht ansprechen.“

„Weil du eher so aussiehst, als würdest du … also als würdest du nur Sex haben wollen?“, frage ich leicht errötend und stotternd. Selten so ernsthaft mit Lara unterhalten.

„Sehe ich so aus, als wäre ich nur auf Sex aus?!“

Puha, wie doof bin ich eigentlich?! Wollte nur ehrlich sein. Nie ganz offen sein mit Frauen! Oder zumindest versuchen, sie dabei nicht zu beleidigen.

„Das ist ja nicht beleidigend gemeint! Das meine ich doch, du siehst aus wie die Ausgeburt des Wahnsinns.“

„Was?!“

„Also im positivsten aller Sinne. Verdammich, du siehst halt wahnsinnig gut aus, das kann schon abschrecken. Ich kenne Frauen, die würde ich unter keinsten Umständen anmachen, da ich mich Klassen unter sie einordne.“

„Und deine Mitbewohnerin?“

„Da hatte ich das unverschämte Glück, dass sie mich ansprach! Sonst wäre da auch nie etwas raus geworden!“

Und ich glaube, Lara weiß, wie sie aussieht, was ja auch völlig okay ist. Aber sie versucht, es zu verbergen, was mir sympathisch ist. Sie ist bescheiden.

Eine andere Freundin von mir stellt ihr Licht derart unter den Scheffel, dass es mich schon wieder sauer macht. Auch ein Phänomen, dass sich mir nicht erschließt. Sieht sie denn ihr Spiegelbild nicht?! Sieht sie nicht, was ich sehe? Vielleicht die schönste Frau in einem weit entfernten Umkreis.

Warum war ich bei Lara? Achja, wegen des Erhängens.

„Lara, was müsste passieren, damit du dir eine Schlaufe anlegst?“

„Eine Schlaufe? Schleife?“

„Ich ging heute an einer Schlaufe vorbei, die auf Halshöhe hing und dachte, ich könnte direkt reinlaufen und jemand müsste mich nur hochziehen. Welchen Grund brauchst du, um dich zu schlaufen?“

„Schlaufen?! Ich verstehe wieder einmal nicht, was du meinst. Immer, wenn du hochkommst, redest du wirr.“

„Ja, ich hab‘ mich da etwas verrannt. Stichwort Selbstmord. Ja oder nein?“

„Was? Jetzt?!“

„Nein. Also nicht zwingend. Ich meine, wie würdest du es tun?“

„Wenn ich dir das jetzt sage, kann ich es morgen nachlesen, oder?!“

„Hmm. Also daran habe ich jetzt nicht einmal gedacht. Aber ja, die Gefahr besteht.“

„Dann sag‘ ich es dir nicht.“

„Würde es eine Sauerei geben?“

„Ja.“

 

Es ist März, das Jahr noch relativ jung und bereits zweimal war ich in großer Sorge um Mitmenschen, dass sie sich das Leben nehmen. Beide erfreuen sich noch bester Gesundheit, auch wenn ich bei dem einen erhebliche Zweifel habe. Beides sind aber auch Menschen, bei denen ich jetzt nicht unbedingt eine schwarze Zukunft sehe. Beide sind aber auch Kandidaten, bei denen ich eine Kurzschlusshandlung nicht ausschließen kann. Wenn der Suizid wenigstens gut durchdacht und begründet ist. Dann: okay. Aber wenn es so eine Kurzschluss-Nummer wird, bin ich doch etwas böse über dieses Unterfangen mit nicht selten tödlichem Ausgang. Hätte ich mich mit, sagen wir mal, mit 19 umgebracht, was nie meinen Absichten entsprach, was wäre mir da alles diesseits der 19 entgangen?! Hätte ich gewusst, was die Dreißigerjahre, die besten vielleicht eines Menschen, mir zu bieten haben, hätte ich es besser gelassen. Also habe ich ja auch. Alles sehr hypothetisch hier. Suizid ist eine Wette auf die Zukunft, bei der man nur in den seltensten und tragischsten Fällen etwas zu gewinnen hat.

Mich hält die Angst vor dem Sterben vom Selbstmord ab, und um nichts anderes geht es ja dabei. Wie groß muss also die Verzweiflung sein von Menschen, die den Schritt aufs Gleis oder vom Dach wagen? Dabei fällt mir ein: Springt eigentlich noch irgendwer von Hochhäusern? Also freiwillig? Das seppolog rät ab.

Unser Nachbar Herr Kitzler wollte sich jüngst das Leben nehmen. Um mich herum ist es derzeit angesagt, die eigene Lebenserwartung auf den Tag genau selbst zu bestimmen. Herr Kitzler realisiert in regelmäßigen Abständen, dass seine Frau schon lange tot ist. Zwischendurch allerdings vergisst er es. Herr Kitzler versucht es immer wieder mit Erhängen. Er vergisst auch, dass er es schon öfter versucht hat. Und er vergisst gottseidank auch, dass er es immer wieder falsch macht. Wenn wir im Haus hier ein bestimmtes Krachen hören, wissen wir: Herr Kitzler ist wieder vom Stuhl gefallen.

An sich möchte man ihm ja schon wünschen, dass es ihm gelingt, denn der Mann ist verzweifelt. Heute Morgen hatte es schon wieder gekracht. Es ist dann immer große Aufregung im Haus. Zumal er wirklich einige aus dem Schlaf gerissen hat. Wie zum Beispiel Herrn Fahrenheit, dem inzwischen jedes Verständnis dafür fehlt. Doch das ist in der Tat eine den Rahmen sprengende Geschichte.

Bleibt gesund, denkt an die Dinge, die Ihr habt! Also an die gute Dinge. Ihr wisst, was ich meine. Lara weiß es nie!

Nebenbei: Es gibt „sex“ und „sexy“. Und „unsexy“. Gibt es dann auch „unsex“? Ist Unsex Non-Sex?!


Wer ernsthaft mit dem Gedanken des Suizids spielt, dem entgehen nicht nur weitere seppolog-Geschichten, sondern auch mögliche Chancen auf ein unverhofft besseres Leben. Beratung gibt es bei der Telefonseelsorge: 0800 111 0 111. Außerdem hilft die Deutsche Gesellschaft für Suizidprävention. Einen Versuch ist es wert, bevor man den letzten, ultimativen Schritt geht und damit auch andere Menschen ins Unglück stürzt.


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