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Blickt man zurück, stellt man fest, dass man das ein oder andere besser hätte anders entscheiden sollen. Das trifft bei mir absolut zu, sehe das aber keineswegs als Problem. Lediglich als Dummheit. Denn Entscheidungen treffen wir aus der Gegenwart heraus und leider nicht aus der Position des künftig Rückblickenden, der stets schlauer ist.

Aber wir stellen auch fest – so ist es zumindest bei mir -, dass sich unser Leben in Epochen aufteilt. Angefangen mit der Kindheit, derer man sich nur noch erinnert, sie aber vielleicht gar nicht mehr fühlen kann. Vielleicht erinnert man sich nur noch der Erinnerung. Dann Schule, vielleicht bis zur 13. Klasse. Und dann trennen sich die ersten Wege.

Ich habe mich völlig naiv und ohne bessere Pläne für ein Studium entschieden. Das übrigens war keine Fehlentscheidung, auch wenn mir so etwas durchorganisiertes wie ein Studium so gar nicht liegt, sodass mein akademischer Werdegang auch ein eher untypischer war. Mir kam lediglich zugute, dass ich eines immer gut konnte: Lernen. Stumpfes Lernen. Über Wochen habe ich vor den Klausurenphasen bis zu acht Stunden pro Tag nur gelernt. Das hat mich derart geprägt, dass ich nach dem Studium den Entschluss fasste: Ich lerne nicht mehr. Es hat sich ausgelernt. Das beschränkt sich aber lediglich auf dieses bulimische Lernen, anderen, neuen Erfahrungen bin ich nicht abgeneigt.

Dass ich studiert habe, ist ebenfalls nur noch eine Erinnerung, da auch der Abschluss schon wieder zehn Jahre zurückliegt. Das Studium: eine weit entfernte Epoche des eigenen Lebens. Im Grunde auch das: ein ganz anderes Leben.

Ich befinde mich nun nach Selbstdiagnose in Epoche drei und stelle mir die Frage: Wann endet sie? Und vor allem: wie?

Epochenwechsel im Leben sind in den ersten Jahrzehnten durch die klassischen Bildungswege vorgezeichnet, danach wird’s individueller. Mein Vater hatte großes Glück, seine dritte Epoche war vorgezeichnet und endete mit der Pension, er darf nun die vielleicht schönste Epoche erleben, meinem Neid exklusive Missgunst ist er gewiss.

Glücklich darf sich schätzen, der Epochen verbindende Elemente mit sich herumträgt. In Form von begleitenden Menschen beispielsweise. Hier kommt meine Mitbewohnerin ins Spiel, die mich bei eventuellen Epochenwechseln gerne begleiten darf. Und das macht die Retrospektive mitunter faszinierend. Kennengelernt habe ich meine mich stets begleitende Mitbewohnerin während meiner Endphase des Studiums. Schon da war sie an meiner Seite! Wahnsinn!

Ich musste damals vor sehr vielen Menschen einen Vortrag halten, etwas was mich damals in große Angst versetzt hatte. Das übrigens ist in meiner aktuellen Epoche völlig anders: Reden vor Menschen – inzwischen kein Thema mehr.

An sich hätte mich dieser Vortrag in schlaflose Nächte getrieben, doch das gleichzeitige Kennenlernen meiner Mitbewohnerin stellte diesen alles entscheidenden Vortrag völlig in den Schatten, er lief nur noch so nebenher. Was möglicherweise auch erklärt, warum er mir völlig überraschend gut gelungen war; ich möchte sogar sagen, dass er Spaß gemacht hatte.

Und damit endete nach einer Teil-Epoche beim Radio die Münster-Epoche. Schon in jungen Jahren war ich ein alter Baum, den man nicht verpflanzen sollte, dennoch zogen mich diverse berufliche Aussichten nach Düsseldorf und damit in die zweite Epoche meines Daseins.

Während meine Mitbewohnerin noch einen „Frozen Yoghurt“-Laden in Münster mit aufzog und sich zeitweise von nichts anderem mehr als von gefrorenem Joghurt ernährte, glitt ich recht munter in meine neue noch bis zum heutigen Tage andauernden Epoche. Die das derzeit wahrgenommene Leben ausmacht. Das, was jetzt ist, ist mit absoluter Sicherheit irgendwann in der Zukunft nicht einfach nur Zurückliegendes, sondern Vergangenes. Welch‘ faszinierende Vorstellung: das, was jetzt gerade mich ausmacht, ist irgendwann nichts mehr als eine bloße Erinnerung, zu der ein fühlender Bezug möglicherweise fehlt – je nachdem, wie viele Jahre ins Land gezogen sein werden. Denn natürlich weiß ich, dass ich mal im Kindergarten meine Kleingeld-Sammlung unter die Leute gebracht habe, was schon damals exemplarisch für meinen Geschäftssinn stand, aber ich fühle es nicht mehr. Es könnte auch ein anderer Fünfjähriger gewesen sein, der nur zufällig so gut aussah wie ich. Obwohl – ich war ein hässliches Kind.

Ich erstelle regelmäßig kleine Videos von mir selbst. Sehr private Videos, die ich mir dann nach einigen Jahren ansehe. Sehe dann, was mich beschäftigt hat und sehe vor allem: dass sogar ich altere. Aber das Altern meint es gut mit mir. Soviel Bescheidenheit darf sein.

Und das bringt mich zu dem nächsten Punkt: Jede Epoche war bislang besser als die vorangegangenen. Das ist leider kein Naturgesetz, aber ich denke, dass viele es ähnlich sehen: Das, was hinter einem liegt, will man nicht unbedingt ein zweites Mal durchleben. Es war gut, aber bitte nicht nochmal.

Blöd wird es, wenn mit sich dem Ende zuneigenden Epochen auch Menschen verabschieden, die jeweilige Epochen begleitet haben. Einige bleiben auch nach dem Bruch, andere nicht. Manch einen wird man nicht vermissen, andere schon. Liegt natürlich immer an einem selber, wen man mit in die nächste Epoche nimmt, wen man außen vorlässt.

Da aber nichts ungewisser ist als die Zukunft, kann es allerdings zu bösen Überraschungen kommen. Die kommen eh, da mache ich mir nichts vor. Böse Überraschungen können Epochen trüben – oder sie einläuten. Eine Epoche, die von Trauer oder schwerstem Leid geprägt wäre, ist sicherlich keine, die man als einen weiteren Höhepunkt betrachtet. So hilft nur, was mir immer hilft: Krankhafter, blinder Optimismus. Während ich kleine Katastrophen immer gern zu großen Debakeln mache, werden große Unglücke bei mir stoisch positiv ausgeschlachtet. Andernfalls würde ich verzweifeln. Vieles relativiert sich, einiges leider nicht. Nicht von allem bin ich bereit, mir die Stimmung verderben zu lassen, auch, wenn da einiges ist, vor dem ich maximale Angst habe. Was sich eben nicht relativiert. Wie doch alles an einem seidenen Faden hängt, wie fragil die Grenze zwischen Glück und Leid ist – man sollte nicht darüber nachdenken.

Ein Menschenleben ist inzwischen so lang, wenn’s denn gut läuft, dass wir unsere Epochen rückblickend nicht mehr nachfühlen können. Als wären wir mehrere Menschen.


Meine digitale Epoche nahm vor sechs Jahren ihren Anfang auf Facebook.

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