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37,5°C

Ich neige gelegentlich dazu, an sich auf Schlaf zu verwendende Zeit damit zu verbringen, Dinge zu analysieren, was im Grunde nichts bringt – Gedankenkarussell. Vor zwei Nächten war es extrem und während ich so da lag, zog ich erstmals erhöhte Temeratur als eigentliche Ursache des wirren Denkens in Betracht, hatte aber keine Lust zu messen. Und so bewegte ich mich in einer Welt zwischen Wach und Schlaf mit seltsamen Fieberträumen, die ich leider – wirklich sehr, sehr bedauerlicherweise – für mich behalten muss, obwohl sie so verquer und lustig sind, aber eben auch mein privates Umfeld betreffen. Es ging da um Drogengeschäfte und Affären. Ein Knaller. Mach‘ ich mal ’ne Serie draus.

 

38,5°C

„ist das schon fieber?“

„Ja.“

Fragte ich Sophie, eine Kollegin, der ich dann auch mitteilte, dass ich nicht ins „Büro“ kommen würde. In Sachen Fieber kenne ich mich nicht so aus, ich weiß nicht, ab wann es hoch ist und ab wann nicht. Ich könnte mir vorstellen, dass 40°C nicht ohne sind und bei 41°C ein Arzt konsultiert werden sollte, weil das mit vielleicht 42°C nicht mehr geht. Aber ich selber lehne Arztbesuche eher ab und richtete mich auf dem Sofa ein mit dem Plan, das Ganze zu genießen, da es mir – solange ich liege – an sich ganz gut geht. Sobald ich aber aufstehe, renne ich gegen Wände. Und daher bleibe ich liegen. Unter zwei Decken.

 

38,8°C

Ich stelle fest, dass die Temperatur steigt und ich zwei für mich wesentliche Dinge nicht mehr tun kann: Onanie-, quatsch, Schreiben und Lesen. Das ist aber dann doch schon eine erhebliche Beeinträchtigung meines Daseins, die ich nicht hinnehmen will. So setze ich mich an den Rechner und beginne einen Artikel:

Fieberwahn

Meist sind es Frauen, die mich in eine tiefe Verzweiflung stürzen. Männer vermögen das nicht, denn die verstehe ich in aller Regel.

Mehr schaffe ich nicht. Ich will, aber allein es geht nicht. Damit bleibt im Verborgenen, was mich da genau in Verzweiflung stürzt. Ein Jammer. Man kann tatsächlich zu erschöpft sein, um zu schreiben.

Ich messe gerne. Alles, was man messen kann, messe ich. Ich messe meinen Blutdruck, der mit jeder Messung sinkt, sodass ich nach rund acht Messvorgängen mich über ideale 120 zu 80 freuen kann und ich messe meine Körpertemperatur, bis sie weiter steigt.

 

39,2°C

Ich erkundige mich bei einer Freundin via Facebook, ab wann leichte Beunruhigung bei Fieber angebracht ist. Ich will nicht zuviel Aufhebens machen und erst zum Arzt, wenn ich erste Sinne verliere.

„hey k.!“

„Seppo! Wie ich sehe, bist du krank?“

„vermutlich ja. ich messe ständig fieber, weil das mein einziger zeitvertreib ist!“

„Männerschnupfen?“

„ich klage nicht. aber der trend geht nach oben, ich bin bei 39,2. ist das viel?“

„Ab 41,1 hast du ein Problem. Geh zum Arzt!“

„nein, der findet nur wieder irgendwas. ich gucke den ganzen tag irgendwelche serien. ray donovan. dämmere aber immer wieder weg und habe wesentliche teile der handlung verschlafen.“

Und dann sah ich jeweils die ersten zehn Minuten von ungefähr fünf Filmen. Das ist das Problem eines Überangebotes, das ich bereits aus meinen DVD-Zeiten kenne. Ich habe hunderte Filme auf DVD und kann mich doch nie entscheiden, welchen ich gucke. Und nun Netflix und Ko.: Wieder hunderte Filme und bei jedem angefangenem denke ich, gibt bestimmt noch ’nen besseren. Also „Kunden schauten auch …“ anklicken. In die abstrusesten Geschichten wird zwecks ihrer Verfilmung Geld reingesteckt, es ist unfassbar. Da ist ein Zug, der im Kreis durch Eis und Schnee fährt. Hinten der Pöbel, vorne die Wohlhabenden. Dann bricht hinten die Revolution aus. Am Ende entgleist der Zug.

Nachdem der Zug entgleist war, bestelle ich etwas zu essen. Eine Jumbo-Pizza, einen Burger und Kartoffelecken. So schlecht kann es mir nicht gehen, wenn ich derart Appetit habe, denke ich und breche das Essen nach einem halben Burger ab, da ich keinen Appetit habe. Das allerdings hat zur Folge, dass ich jetzt noch Pizza habe! Nicht umsonst habe ich mich also für den Pizza-Boten schick gemacht!

 

39,5°C

Draußen scheint die Sonne. Ob ich bald wieder mit dem Nachbarsjungen draußen spielen kann? Diesen Scherz übermittle ich via Facebook einer Freundin in die USA, die nun möglicherweise denkt, ich schreibe im Fieber.

Eine seltsame Motivation packt mich: Ich will die 40°C schaffen! Denn ob 38,5°C oder 39,5°C – ich fühle mich noch immer okay, solange ich liege. Nachts, da ich wegen diverser Erkältungsbeschwerden nicht ganz so gut schlafen kann, fange ich an, druckreif zu denken. Fiel mir vor zwei Nächten auf, als ich feststellte, dass „überdacht“ ein schönes Teekesselchen ist. Mich packte dann die Lust, das direkt niederzuschreiben, aber es war eben nicht die Zeit dafür. Also liegt man da und schreibt den Text im Kopf vor. Ich liege da und denke sehr laut. Die denkende Stimme geht runter, wenn ich einen Punkt setze. Ich denke sogar Spiegelstriche. Es ist ein Phänomen, das einem das Einschlafen leider unmöglich macht. An der „überdacht“-Nummer bleibe ich dran. Hab‘ den Text bereits einmal durchgedacht.

 

39,6°C

Meine Mitbewohnerin kommt nach Hause. Ich setze sie über meinen beklagenswerten Zustand in Kenntnis:

„39,6°C!“

„Erhöhte Temperatur?“

„Fieber! Dem Tode näher als dem Leben!“

Ich schiebe noch ein Hüsterchen ein.

*hust* „Gerundet sind das 40°C!“

„Kann ich trotzdem noch zum Sport gehen?“, will sie wissen, die etwa viermal pro Woche abends zum Sport geht.

„Ja, sicher. Ich fange noch ein paar Filme an.“

Plötzlich guckt sie seltsam zerknirscht: „Ich hatte gehofft, du sagst, ich soll bleiben und dich pflegen!“

„Ach Gott. Ich hatte gedacht, du willst hören, dass du zum Sport kannst! Warum sagst du nicht direkt, dass du hier bleiben willst?! Das ist typisch Frau! Es liegt an euch! Wir Männer sparen uns diese Umwege und sagen das, was wir meinen! Also wenn du zum Sport willst, eile zum Sport! Wenn nicht, verweile bei mir! Dann erwarte ich aber permantes Bedauern!“

Sie blieb und machte mir Fieber senkenden Lindenblütentee, vernachlässigte aber für meinen Geschmack etwas das permanente Bedauern.

Ich weiß, es soll gesund sein, Schwitzen herbeizuführen. Also lege ich mich ins Bett unter zwei Decken mit einer zusätzlichen Wärmequelle. Dazu nehme ich ein Mittelchen, das mich niederstreckt. Und ja, ich weiß, es hilft nicht. Ich gehöre aber nicht zu den Menschen, die gerne und laut betonen, dass sie bei einer Erkältung alles, aber keine Medikamente nehmen. Ich kann es nicht mehr hören und nehme umso mehr. Und „Wick MediNait“ lässt mich umgehend wegdämmern. Ein paar Schmerzmittel werden mich schon nicht umhauen. Aber das tun sie. Welch‘ Segen. Ich schlafe etwa eine Stunde, um dann in einer Pfütze aufzuwachen. Ach, was sage ich. In einem Planschbecken. Die Decken total durchnässt, das Kopfkissen triefnass, wie ich es bei Frauen sehr schätze, und die Matratze ein Problemfall. Ich ahne, ich muss das Bett neu beziehen, um weiterschlafen zu können. Nun rächt sich für meine Mitbewohnerin, dass sie geblieben ist. Denn ich bin ganz objektiv betrachtet zu schwach, um die Bett-Situation in den Griff zu bekommen. Ich klopfe an die Wand zum Nebenraum, wo aller Wahrscheinlichkeit meine Mitbewohnerin sitzt. Denn zum Rufen bin ich zu schwach, die Glocke kann ich nicht finden.

„Das Bett“, stammele ich, „Nass! Und so kalt!“

Ich friere wirklich bestialisch und beschließe, nie wieder etwas auszuschwitzen, weil es einfach widerlich ist. Unter Hinzuzug einiger Handtücher werden Bett und ich trockengelegt, sodass ich wieder wegdämmern kann.

Husten. Husten ist bei mir problematisch wegen meines ein halbes Jahr zurückliegenden Leistenbruchs. Bei jedem Huster schmerzt die Narbe und ich sorge mich um das Gewebe, das jederzeit wieder „brechen“ könnte. Also drücke ich meine geballte Faust bei jedem Hustenanfall auf die Leiste in der Hoffnung, dass das irgendeinen Zweck erfüllt.

 

38,5°C

Ah, neuer Tag. Und ich beginne mit der Vortagestemperatur. Einigermaßen gut geschlafen. Ich pfeife mir Hustenlöser und ein paar andere tolle Dinge ein und beschließe, auch heute zuhause zu bleiben, da ich nach wie vor gegen Türrahmen laufe.

Allerdings stelle ich fest, dass ich nun auf dem Sofa sitze und nicht mehr liege. Außerdem reizt es mich, etwas zu schreiben. Ich beginne etwa drei Mal und scheitere die ersten beiden Male. Entscheide mich für ein Nickerchen.

 

38,0°C

Es geht, so schnell es kam. Ich kann wieder lesen, der Kopf fühlt sich besser an, auch nehmen die Wahnvorstellungen ab. Hatte ich ernsthaft über Drogengeschäfte nachgedacht gepaart mit einer Affäre? Halte das nach wie vor nicht für unrealistisch und verfolge die Sache. Ich messe abermals meine Temperatur, übrigens unter der Zunge. Ist nicht das genaueste, allerdings kommen alle meine Referenzwerte von Zungenmessungen, also msus ich dabei bleiben. Nicht das Niveau interessiert mich, sondern die Tendenz.

 

37,7°C

Verdammt. Die 40°C werde ich wohl nicht schaffen. Vermutlich ist das nicht einmal mehr erhöhte Temperatur. Erkältungen dauern bei mir bis zu drei Wochen. Sachen mit Fieber scheinen schneller zu gehen und wieder einmal fühle ich mich darin bestätigt, dass es übertrieben gewesen wäre, einen Arzt auszusuchen. Nach eineinhalb Tagen Nahtoderfahrung kehre ich zurück ins Leben. Ich habe bereits Wäsche gewaschen ohne dabei zu stöhnen! Ich hätte Lust auf Sport! Aber eben nicht auf eine Herzmuskelentzündung.

 

37,6°C

Schaffe ich die 35°C?


Ich bitte ausdrücklich darum, auf Bei- und Mitleidsbekundungen zu verzichten, da ich eindeutig nicht leide und es als eine Art Urlaub sehe!

Darüber hinaus freue ich mich über die rege Teilnahme an der „Seppo Blog-Auszeichnung“ 2016, die übrigens kein „award“ ist, sondern eine Auszeichnung. Die ersten Interviews sind hier gelistet!

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