7grunde

Langer Titel, keine Frage. Aber es geht auch um eine lange Beziehung, deren elf Jahre sich eigentlich gar nicht in eine Überschrift einpassen lassen. Ich befinde mich in der Endzeit. Zum Glück nur in der Endzeit einer für meine Verhältnisse anständigen Grippe. Und an dem Eifer, den meine Mitbewohnerin an den Tag legte, wenn sie mich pflegte, erkenne ich, ob sie eigentlich noch Interesse an mir hat oder eben nicht. Denn wenn nicht, wäre es ihr ein leichtes gewesen, meine Medikamentendosis unauffällig so zu erhöhen, dass ich sanft in das Jenseits herübergleite und so den Weg freimache für einen Neuen. Stattdessen aber hat sie alles dafür getan, dass ich wieder gesund werde, um meinen ehelichen Pflichten nachkommen zu können.

Sieben Gründe für eine Trennung nennt Manuel H. in seinem Dampfbloque, betont aber in den abschließenden Teilen seiner Serie, dass er es mitnichten anstrebt, dass ‚die Frau, die in seiner Wohnung lebt‘, die Reißleine ziehe, denn als moderner Mann, was auch immer den modernen Mann ausmacht, stellt er es ihr frei. Der unmoderne Mann musste zunächst die Erlaubnis zur Trennung geben, heute ist das anders. Der moderne Mann reflektiert sich selbst, findet Fehler und – gibt sie zu! Ist der moderne Mann vielleicht ein bisschen doof?!

Manuels Text ist auch Grundlage für diese Replik.

Sollte sich meine Mitbewohnerin von mir überraschend trennen, also ohne, dass ich ihr beispielsweise fremdginge oder anderweitig mich eines eindeutigen Vergehens schuldig machte, könnte ich vermutlich erahnen, warum sie sich zu einem solchen Schritt entschüde. Ich kenne meine Fehler. Und ich kenne diese besser als sie. Ich kenne sogar Fehler, die sie nicht kennt! Aber die behalte ich hier für mich. Bin ja nicht doof. Und hier geht es auch nur um die Darstellung der von Manuel aufgelisteten Fehler, die ich in meiner Serie umdrehen will, als Argument gegen eine Trennung. Die bisherigen Teile sind hier zu finden.

 

Sieben Gründe, sich schnellstmöglich nicht von mir zu trennen – die letzten beiden.

5. Ich bin zu ruhig

Ich bin ruhig. Bin ich zu ruhig? Manch einer hat mir das schon so gesagt. Ich habe oft damit gehadert, reiferen Alters dann aber festgestellt, dass wenn ich dreißig Jahre lang ruhig war, es möglicherweise ein Wesenszug von mir ist. Sicher, Menschen können an sich etwas ändern, aber grundlegende Eigenschaften zeigen sich immun gegen Veränderung. Das funktioniert dann für ein, zwei Tage – länger aber nicht. Ich zum Beispiel habe mal versucht, cool zu sein. Nichts ist uncooler als der Versuch, cool zu werden. Also bleibt nur ein Ausweg: zu betonen, wie uncool man ist – und schon ist man cool. Souveränität ist das Stichwort. Gehe souverän mit deinen Schwächen um, sofern du etwas als Schwäche ausmachst. Mehr dazu auf meinem Lebensberatungsblog sepporät.

Klar höre ich oft, ich sei etwas zu zurückhaltend. Das wird gerne mit Schüchternheit verwechselt. „Small Talk“ liegt mir gar nicht, weil Small Talk etwas unglaublich Albernes hat. Beide an einem Small Talk Beteiligten wissen, dass gerade nur um des Redens willen gesprochen wird. Das empfinde ich als gnadenlos komisch und kann da nicht ernsthaft mitmachen. Wie verträgt sich das nun mit der Selbstdarstellerei hier und vor diversen Kameras? Küchenpsychologen müssten nun nicht lange nachdenken, aber Küchenpsychologen liegen ja auch meist falsch, denn sonst wären sie keine Küchenpsychologen. Aus meiner Sicht hingegen ist das kein Widerspruch, denn eine Situation vor Publikum ist eine gänzlich andere als jede Alltagssituation; da nimmt man eine Rolle ein, die aber nichts mit Maskerade oder Fassade zu tun hat, was auch wieder viel zu einfach gedacht wäre und mich ehrlich gesagt wahnsinnig nervt. Es ist Teil einer Persönlichkeit, ich schrieb es schon einmal irgendwo. Bald übrigens ein Jahr seppolog, da darf sich das ein oder andere schon mal wiederholen …

Die Ruhe selbst bin ich zumindest äußerlich, wenn es zu Krisen kommt. Innerlich verhält es sich etwas anders, auch wenn ich nicht unbedingt panisch werde, dann aber doch zu einer gewissen Verzweifelung neige. Man könnte mir dann Alkohol geben, ich würde mein Inneres dann umgehend auskehren. Unter Alkoholeinfluss bin ich übrigens nicht mehr ruhig. Ich gröle dann zwar nicht, aber ich höre mich dann gerne reden. Zurecht aber auch.

Die Ruhe, die ich mir gönne, bedingt aber auch, dass ich gerne zusehe. Es ist ja nicht so, dass mir Situationen entgehen, nur weil ich eher passiv teilnehme. Im Gegenteil: Ich sehe alles. Es ist vielleicht ein Beobachten, das mir gelegentlich im richtigen Moment die Platzierungs eines geeigneten Bonmots erlaubt, bei dem dann auch die ersten merken, dass ich überhaupt da bin:

„Ach, hallo Seppo!“

„Ja, Hallo. Ich stehe schon die ganze Zeit neben dir.“

„Hatten wir uns schon begrüßt?“

„Ja. Also ich dich.“

Kommt vor. Finde ich nicht schlimm. Ich sehe andere Menschen, sind sie noch so ruhig.

Manuel, der Dampfblogger, meint aber auch eine andere Ruhe: „die Kraft der ruhigen Stimme“. Dazu eine Anekdote meines langjährigen Deutschlehrers. Der hat so leise gesprochen, dass wir nichts gehört haben. Er sagte, dass wir Schüler auf die Weise uns ebenfalls ruhig verhielten, um ihn verstehen zu können. Er hatte Recht. Wir waren ruhig. Haben ihn nur trotzdem nicht verstanden. Ich erahne auch nur, dass er uns Deutsch unterrichtet hat, er kann alles mögliche erzählt haben und damals konnte ich noch nicht von den Lippen lesen.

Meine ruhige Stimme führt dazu, dass es in der Beziehung mit meiner Mitbewohnerin nie laut wird. Streit haben wir ohnehin nie, also kann ich nur mutmaßen, ob ich in einem Streit laut werden würde. Ich glaube sehr ernsthaft, ich würde das nicht. Ich neige eher zur Deeskalation, weil ich eskalierende Konflikte fürchte, in denen Dinge geschehen, die man nachher nicht nur bereut, sondern auch nicht mehr zurücknehmen kann. Im unmittelbaren Konflikt sage ich auch erst einmal gar nichts, wobei das auch vom jeweiligen Gegenüber abhängt. Weiß ich, dass derjenige sachlich bleibt, kann ich auch offensiv werden, da ich weiß, es artet nicht aus. Muss ich Hysterie erwarten, bleibe ich stumm. Ich versuche also offenbar, kein Öl ins Feuer zu gießen. Und rückblickend kann ich mich auch an keine großen Konflikte mit meiner Beteiligung erinnern. Übrigens müssen sich Konflikte lohnen. Wenn Konflikt auf Konflikt folgt, bin ich raus, da zu anstrengend.

Meine Ruhe ist also meiner Meinung nach ein großes Plus, zumal meine Mitbewohnerin gerne redet und dann braucht sie jemanden, der ihr nicht ins Wort fällt. Also höre ich hochkonzentriert zu, um ihr folgen zu können und am Ende gibt es ein kleines Fazit aus meiner Sicht.

Nur beim Autofahren, da ist alles anders. Wie bei so vielen von uns. Grundsätzlich bin ich da aber ruhig und defensiv. Aber wenn jemand vor mir meint, 40 bei 50 fahren zu müssen, dann lasse ich gerne meinen Motor aufheulen – was natürlich in einem roten Toyota unfassbar albern wirkt – und fahre auch schonmal dicht auf, um zu zeigen, dass ich gerne 50 führe, wenn schon erlaubt. In diesen Situationen nimmt man mich wahr. Den Mann mit hochrotem Kopf im roten Auto. Über die Parkplatzsuche habe ich mich bereits ausgelassen, da werfe ich besetzten Parkbuchten „Arschfotzenarschloch“, „Arschfickerfotze“ oder „Fickfotzenarsch“ an den Kopf, aber auch nur, weil ich alleine bin und es niemand hört. Danach muss ich oft selber schmunzeln. „Fotze“ ist meiner Meinung nach das kräftigste Schimpftwort und auch eines, das man besser für sich behalten oder eben nur im Kreise mit sich selbst ausrufen sollte.

Aber: Meine Mitbewohnerin hat mich auch das schon rufend erlebt. Es ist dann natürlich nicht gegen sie gerichtet, das wäre auch in der Tat unverzeihlich, aber sie ist dann schon beeindruckt, sodass sie erstmal besser nichts sagt, mir dann aber mitteilt, dass sie sich nicht sehr wohl dabei fühle, wenn ich dermaßen an die Decke gehe.

„Ja, aber das hat dann ja nichts mit dir zu tun, sondern mit der Situation. Das ist mein Ventil. Und nach zwei Minuten ist ja auch alles wieder vorbei. Immerhin schlage ich nicht um mich.“

Nun, ich halte mich jetzt immer zurück und denke mir einfach diese Wortkonstrukte.

Meine Mitbewohnerin selber ist im Grunde auch ruhig. Sie redet zwar deutlich mehr als ich, wird in Räumen auch wahrgenommen („Übrigens, Seppo steht auch hier!“), aber sie rastet nicht aus. Gut, wenn sie Auto fährt. Oder wenn Jan Hofer die „Tagesschau“ liest. Den hat sie gefressen. Inzwischen hasse ich den auch. Weil sie ihn hasst. Man wird Co-Hasser. Rastet sie aus, bleibe ich ruhig. Aber sage dann auch wirklich nichts. Denn nichts kommt schlimmer an als beruhigende Worte gegenüber einem Ausrastenden.

„Beruich‘ dich!“

„ICH GEB DIR GLEICH BERUICH DICH!“

Als „ruhenden Pol“ bezeichnet sich Manuel in der Vorlage zu diesem Text und ja, so will ich mich zumindest auch sehen. Es gibt Frauen, die suchen genau das. Und sie fand mich ja auch.

 

6. Ich vernichte ihre Pflanzen

Das sage nicht ich, das sagt der Düsseldorfer Blogger Manuel Höttges in seinem Dampfbloque und deutet an, dass das Vernichten der Pflanzen der Frau, die in seiner Wohnung lebt, dieser nicht gefallen dürfte. Die Botanik in der Wohnung meiner Mitbewohnerin und mir ist übersichtlich und erstreckt sich lediglich auf irgendwelche Zimmerpflanzen, die im Grunde unkaputtbar sind. Ich habe hier Pflanzen, die mir seit acht Jahren ans Herz gewachsen sind, die ich mir zulegte, als ich in Düsseldorf meine erste Wohnung bezog. Ich habe allen Ernstes Fotos von ihnen, wie sie noch ganz klein im Topf sind und inzwischen riesig und mehrere Ableger gespendet haben. Mein bester Freund war mein Efeu. Das rankte sich über die Wand und ich war begeistert vom Wachstum.

Bis meine Mitbewohnerin etwas Gutes tun wollte. Sie topfte ungefragt um. Ich mache es kurz: Das Efeu ging sofort ein. Wir hatten nie Streit bislang, aber die Situation hätte einen Krieg auslösen können. Doch da ist sie wieder: meine Ruhe. Bevor ich eskaliere, gehe ich erst einmal. Ich halte das für ausgesprochen ratsam.

 

7. Ich bin vergesslich

Manuel, nicht ich. Im Gegenteil. Ich vergesse nichts. Bloß die vielen Termine, die meine Mitbewohnerin eintütet, die uns aber beide betreffen. Ja, sie sagt mir durchaus mehrere Wochen vorher Bescheid, aber ich sage ihr dann auch:

„Sag‘ es mir kurz vorher nochmal!“

„Aber dann beklagst du dich, dass ich dich zu kanpp informiere!“

Damit hat sie Recht. Darum gibt es bei uns einen analogen Kalender, in den ich reingucken soll. Ich sollte das jeden Tag tun. Tue ich natürlich nicht, weil ich das vergesse. Und der Kalender hängt auch recht ungünstig hinter einer Tür. Es ist also nicht meine Schuld.

Termine muss man mir sehr weit im Voraus mitteilen, weil ich ja alles irgendwie für mich planen muss. Spontaneität am Arsch. Vielleicht vergesse ich auch gerne die Dinge, die mir misshagen. Und ich weiß auch nicht, wie ich den Aspekt meiner Vergesslichkeit jetzt ihr als Vorteil verkaufen soll. Vielleicht so:

Ich vergesse auch all Deine Untaten recht schnell. Abgesehen davon, dass sie nicht mit Untaten auffällt, vergesse ich Untaten nicht. Ich bin nicht nachtragend, aber ab einer gewissen Fülle an Untaten merke ich sie mir.

(Übrigens habe ich allen Ernstes diesen siebenten Punkt ursprünglich vergessen. Einige frühe Leser wissen gar nichts von meiner etwaigen Vergesslichkeit …)

Manuel brüstet sich zurecht der Tatsache, dass er vermeintliche Nichtigkeiten nicht vergisst. Geht mir auch so. Weil es aus meiner Sicht eben keine Nichtigkeiten sind. Ich merke mir die abstrusesten Daten, sie bleiben einfach hängen. Find‘ ich irgendwie toll, muss ich mir weniger aufschreiben.

Also letztlich bin ich nicht vergesslich. Und damit möglicherweise zwangsläufig nachtragend. Ja, ein wenig schon. Deprimierendes Ende, oder?

 

Und damit endet diese heitere Serie, die meiner Mitbewohnerin sieben weitere Gründe dafür gegeben hat, mit mir zusammen zu bleiben. Damit kommt sie auf insgesamt 1.007 Argumente, die für mich sprechen. Das setzt sie jetzt unter Zugzwang. Aber sie muss mir gar keine Gründe auflisten, die weiß ich alle bereits. Mein Dank gilt überdies Manuel.


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