robotoer

Was mich ja wahnsinnig macht, ist die Tatsache, dass der Paketbote, wenn er bei uns vorfährt, grundsätzlich erst einmal eine Stunde Mittagspause im anliegenden Kiosk macht. Wenn ich also weiß, heute wird mir etwas geliefert und sehe dann den „DHL“-Wagen vor der Tür, kann ich davon ausgehen, dass es, obwohl er schon da ist, noch eine Stunde dauern wird, bis er mich beliefert. Während ich das schreibe, stelle ich fest, dass es etwas albern von mir ist, so ungeduldig zu sein. Das ist wohl die Vorfreude des kleinen Jungen in mir.

Vergangene Woche habe ich auf eine Lieferung gewartet, die ich wegen gelben Scheins zuhause in Empfang nehmen konnte. Bei einem chinesischen Firmenkonglomerat, das über Jahrzehnte westliche Erfolgsprodukte kopiert hat und nun selber kreativ und innovativ geworden ist, habe ich den „Human Simulator“ geordert. Was haben wir die Asiaten belächelt. Aber sie haben das getan, was aufstrebende Volkswirtschaften schon immer getan haben: kopiert, um dann besser als das Original zu werden. Ein Graus für uns. Aber gut, dennoch wollte ich diesen Simulator haben, den man – ich will das hier nur kurz erklären – mittels eines Kabelsalates mit einem Menschen verbindet. Klingt völlig unrealistisch und nach Science-Fiction, aber der Leser hat hier nicht meine Glaubwürdigkeit in Frage zu stellen. Der Simulator lädt dann eben die Persönlichkeit des Menschen herunter und vergisst dabei auch dessen Gedächtnis nicht. Erfahrungen. Gefühle, das ganze Gedöns eben, das uns so ausmacht. Ich hab‘ das jetzt hier verkürzt dargestellt, aber es klingt ja auch so nachvollziehbar.

Ich nenne meinen Simulator „Seppo-Simulator“ und kürze nicht mit „SS“ ab. Mist. Diese verdammten Nazis. Also nenne ich ihn eben Seppo2. Seppo2 sieht nicht so aus wie ich. Das wäre ja noch schöner, hätten die Chinesen für ihren Humanoiden meine Optik kopiert! Vermutlich würde ich sonst in ganz China als Arbeiter in irgendwelchen Minen eingesetzt, um seltene Erden zutage zu fördern. Seppo2 sieht also nur ein bisschen humanoid aus, eben ganz so, wie man auf zwei Beinen gehende Roboter kennt.

Es war Anfang des Jahres, als meine Mitbewohnerin mir sagte, es sei mitunter anstrengend, mit mir zusammen zu leben. Schön zwar, aber auch sehr, sehr anstrengend.

„Wieso?! Ich behaupte, dass ich unfassbar unkompliziert bin!“, sagte ich ihr.

„Nein. Das denkst du immer. Ich glaube dir sogar, dass du das selber glaubst. Aber deine Art, sie strengt an. Es fängt schon damit an, dass du immer so schnell erschrickst, wenn du mich in der Wohnung triffst.“

„Weil du auch immer völlig unvermittelt im Raum stehst!“

„Ich wohne hier!“

„Ja. Aber nicht so unvermittelt.“

„Soll ich ein Glöckchen tragen?“

„Das würde helfen. So blöd es klingt, es würde helfen.“

Sie schlug mir ein Experiment vor. Ich solle erfahren, wie es ist, mit mir zusammen zu leben. Rein zufällig, so völlig unvermittelt, hatte sie über den „Human Simulator“ aus China gelesen. Man möchte meinen, der sei unerschwinglich, aber zufällig, es passt auch wie die Faust aufs Auge!, ist er gerade für keine hundert Euro zu haben. Also griffen wir zu mit dem Plan, ihn an mir anzuschließen, damit eine humanoide Kopie von mir anzufertigen, sodass ich erleben kann, wie es ist, mit mir zusammen zu leben!

„Das kann ja nur geil werden!“, rief ich aus, „Ich kann mir dann endlich selber einen blasen!“

„Und ich bekomme meinen Dreier!“

Darum also steht nun der Simulator bei uns. Und ich habe eine halbe Woche bereits mit mir leben können.

Am Dienstag kam die Lieferung, nachdem der Paketmann seine Mittagspause beendet hatte. Hochgradig aufgeregt packe ich den Humanoiden aus und stelle fest, dass er noch zusammengebaut werden muss. Sowas kann ich. Aber: Wenn ich zu aufgeregt bin aus Vorfreude, werde ich übereifrig und ungeduldig und mache Dinge kaputt. Es galt also, mich zusammenzureißen. Ich breite also den Simulator in seinen Einzelteilen geordnet auf dem Boden aus. Ich hasse es, wenn Kleinteile in diesen Plastiktütchen verpackt sind. Die kriege ich nie auf. Mit den Zähnen, das geht. Ja. Dann: die vielen Kabel. Alle mit diesen Kabelbindern verpackt. Nervt mich auch – denn die sammle ich. Ich habe eine ganze Kiste nur mit diesen kleinen Drähten, da man die ja irgendwann mal gebrauchen könnte. Seit 20 Jahren sammle ich sie und brauche sie eigentlich nie.

„Hoffentlich sind Batterien dabei!“, rufe ich in die leere Wohnung.

Das war als Kind immer mein Horror. Das ferngesteuerte Auto zu Weihnachten. Meine Eltern vergaßen, Batterien dazu zu kaufen. Und dann sitzt da Kleinseppo am heiligen Abend mit seinem ferngesteuerten Auto, das er anschieben muss. Trauma.

Aber die Chinesen haben natürlich die Akkus mitgeliefert. Die schließe ich direkt an, während ich die Finger an die Hand montiere, die Hand an den Arm, den Arm an die Schulter, die Schulter an den Hals und das Ganze noch einmal mit der anderen Seite.

Panikmoment! Wo ist der Kopf?!

„Der Kohooopf!“, rufe ich wie ein Irrer!

Ah, der Kopf war unter den Tisch gerollt beim Entpacken. Wie auch die Augen. Kamera-Linsen natürlich. Auf eine wäre ich fast draufgetreten, weil ich vor lauter Aufregung durch die Küche tänzle. Ich mag diese technischen Spielzeuge!

Ich überlege, ob es egal ist, welches Auge ich links, welches rechts einsetze. Wird sich zeigen. Der Seppo-Simulator wird sich schon melden, wenn er einen Knick in der Optik hat. Würde ich ja auch tun.

Ein bisschen rot vor Scham werde ich beim Zusammenbau der Leistengegend. Der Simulator hat natürlich kein Glied. Aus der Traum vom Ego-Blasen. Aber gut, darum ging es ja auch nicht primär. Und Sex mit Maschinen – ich weiß nicht. Wenn sie gut aussieht, die Maschine, ja, warum nicht?!

Nach sechs (!) Stunden steht der Simulator aufgerichtet in der Küche und starrt ins Nichts. Die Akkus sind derweil aufgeladen und ich komme mir irgendwie wie eine Hebamme vor, als ich ihm die Akkus hinten reinschiebe. Die Amme macht das Gegenteil, das ist mir schon klar, aber es hat etwas von einem Geburtsvorgang. Ich drücke auf „Power“. Nichts passiert. Panik. Ruhig bleiben. Blick in den „QuickStart Guide“. Ah, zehn Sekunden gedrückt halten. Zehn quälend lange Sekunden. Dann leuchtet ein Lämpchen auf.

„Hello!“

Er spricht!

„Please choose your language!“

„Äh, Deutsch! German!“

„Bereit zum Koppeln!“


Doch gekoppelt wird später. Einen schönen Start ins Wochenende! Folgt mir gerne bei Facebook!

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